Garbage-Sängerin Shirley Manson ist eine Frau der klaren Worte. Im Interview mit Benjamin Fiege spricht sie über private und künstlerische Krisen, über Frauen im Popbusiness, über Gender-Diskurs und Klimawandel. Am 2. Juli rockt die vor 30 Jahren gegründete Band den Schlachthof in Wiesbaden.
Shirley, sind Sie eine Vinyl-Liebhaberin?
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Ich bin 57 Jahre alt, natürlich ist Vinyl wichtig für mich. Bis ich 30 Jahre alt war, war es ja auch der einzige Weg für mich, um Musik zu hören. Heute ist es immer noch mit weitem Abstand meine liebste Methode. Junge Leute sind ja oft von Älteren genervt, die von Schallplatten schwärmen, aber das hat schon was Aufregendes, eine Platte aufzulegen und sich dann hinzusetzen und wirklich zuzuhören. Man kann wunderbar in einer anderen Welt aufzugehen.
Sammeln Sie richtig?
Das habe ich mal. Dann aber hatte ich eine furchtbare Überschwemmung in meinem Haus in Schottland und das hat den Großteil meiner Sammlung zerstört. Heute kaufe ich eher sporadisch. Ich habe immer noch eine vernünftige Sammlung, aber sie ist nicht mehr so groß wie früher.
Was war denn die letzte Platte, die Sie sich gekauft haben?
Eine Platte von einer schottischen Band namens The Plastic Youth. Den Sänger Jack (Graham) kenne ich gut, er datet eine meiner Nichten.
Sind Sie denn eine nostalgische Person?
Eher nicht. Auch wenn in mir natürlich Sentimentalitäten angelegt sind, gerade was die eigene Familie angeht. Aber abseits meiner Familiengeschichte: nein, eher nicht.
„Eine frustrierende Erfahrung“
Wenn Sie sich nun an die Aufnahmen zu „Bleed Like Me“ zurückerinnern, lädt das wahrscheinlich auch nicht unbedingt zu nostalgischen Anwandlungen ein. Es war keine einfache Zeit für die Band, die mit Spannungen, aber auch gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Es war keine glückliche Zeit. Aus vielerlei Gründen. Wir wurden damals zu Interscope Records geschoben. Die wollten uns eigentlich nicht, und wir wollten auch nicht dort sein. Das Label wollte unbedingt, dass wir uns neu erfinden, dass wir mit Hip-Hop-Künstlern arbeiten, wir fanden das aber nicht authentisch. Das haben wir so auch ausgedrückt, weshalb uns das Label dann gedroht hat, uns fallenzulassen. Unter diesem Druck, mit dieser Drohung im Hinterkopf, kreativ arbeiten zu müssen, war herausfordernd. Eine frustrierende Erfahrung. Wir wussten, dass wir kein Label-Support haben würden, haben die Platte aber dennoch fertiggestellt. Wir waren stolz darauf, das Label war total desinteressiert – und am Ende war es in den USA unser bis dato erfolgreichstes Album.
Danach gab es – wie sonst üblich – keine Tour und habt erst einmal eine lange Pause eingelegt …
Wir haben eine Tour angefangen, aber die Stimmung in der Band war miserabel. Wir sind miteinander nicht klargekommen, was für uns ungewöhnlich war. Jeder hat damals den anderen für unsere Probleme verantwortlich gemacht. Tief im Inneren, denke ich, hat sich aber auch jeder selbst verantwortlich gemacht. Eine Blaming-Kultur, die es uns sehr schwer gemacht hat. Wir haben dann die Reißleine gezogen und die Tour abgebrochen. Zumal unsere Ticketverkäufe in Großbritannien auch schlecht waren. Da haben wir dann den Stecker gezogen. Bei einem Band-Meeting habe ich den Jungs dann gesagt, dass ich eine Pause brauche. Ich hatte das Gefühl: Wir hätten auch unser „Sergeant Pepper“ schreiben können, es wäre trotzdem runtergemacht oder ignoriert worden. Die Leute waren einfach müde von Garbage, das Musikgeschäft hatte sich leicht zu unseren Ungunsten verschoben. Wir waren plötzlich im Abseits dieser neuen Musikszene, die viel mehr Garage-Rock orientiert war. Bands wie die White Stripes oder The Strokes waren angesagt. Wir waren plötzlich „outdated“.
Hätte das damals auch das Ende der Band sein können?
Nein, es sollte wirklich nur eine Pause sein. Ein paar meiner Bandkollegen hatten nämlich vor, direkt wieder ins Studio zu gehen und ich wusste, dass es reine Energieverschwendung wäre. Damit lag ich auch richtig. Wir mussten einen Schritt zurückgehen und uns fragen, wie wir weitermachen wollten. Dann aber wurde meine Mutter sehr krank und ich bekam einen Job beim Fernsehen in der Serie „Terminator: The Sarah Connor Chronicles“. Und plötzlich waren fünf Jahre rum, ehe ich wieder bereit war, mit offenem Herz Musik zu machen.
Damals haben Sie ja auch an einem Soloalbum gearbeitet, dass dann aber nie erschienen ist.
Ja, das stimmt. Mein Herz hat am Ende doch nicht so sehr in dem Projekt gesteckt und das Label hat nicht so sehr an die Person geglaubt, mit der ich damals zusammen gearbeitet habe. Ein damals unbekannter Produzent namens Greg Kurstin. Er wurde später zu einem der erfolgreichsten Produzenten der USA. Ein raffinierter Musiker. Wir haben das Projekt frustriert hinter uns gelassen. Sollten wir uns jemals entscheiden, nochmal zusammenzuarbeiten, würden wir komplett von vorne anfangen.
„Bin jeden Tag aufs Neue überrascht“
Was hat Garbage denn am Ende wieder zusammengebracht nach der langen Pause?
Meine Mutter verstarb, mein TV-Job war irgendwann zu Ende und ich war frustriert, wollte wieder kreativ sein. Ich traf dann meinen Bandkollegen Butch Vig auf der Beerdigung des sechsjährigen Sohnes eines gemeinsamen Freundes. Ich sang dort, und Butch sagte: Es ist schön, dich wieder singen zu hören. Und ich fragte ihn: Warum arbeiten wir nicht wieder zusammen? Wir riefen dann die restlichen Garbage-Mitglieder an und Monate später waren wir wieder zusammen bei der Arbeit. Dieser zweite Karriere-Abschnitt dauert nun schon länger als der erste.
Überrascht Sie das?
Ich bin jeden Tag aufs Neue überrascht, dass wir immer noch die Möglichkeit haben, Platten aufzunehmen, bei einem Label unter Vertrag stehen und mit unglaublich tollen Künstlern auf Tour gehen können. Das ist schon wild.
Ich denke, die Gründe dafür, dass wir noch zusammen sind und miteinander arbeiten können, sind komplizierter als das. Man muss sich anpassen können, man muss sich respektieren und viel hat auch mit Glück zu tun. In unserer Karriere ist viel fürchterlich schief gelaufen, es gab auf verschiedenen Eben auch Leid in unserem Leben und unserer Karriere. Aber wir hatten trotzdem auch Glück. Auch die Größten sind darauf angewiesen – und auf Gesundheit.
Trotz des ganzen Chaos drumherum: Sind sie zufrieden mit „Bleed Like Me“?
Ich bin überraschend stolz auf die Platte. Das ist komisch, weil es diese ganzen negativen Ereignisse drumherum gab. Aber über die Jahre wurde es ein echter Fan-Liebling. Viele der Songs spielen wir noch heute. Und viele Tracks sind mindestens noch genauso relevant wie 2001, als wir sie geschrieben haben.
Ein Song wie „Sex Is Not The Enemy“ etwa, in dem es um LGBTQ-Rechte oder das Recht auf Abtreibung geht. Ist das nicht geradezu frustrierend, wie aktuell das noch ist?
Ja. „Metal Heart“ ist auch so ein Song, der noch schmerzlich aktuell ist. Ein Song über die Brutalität von Krieg. Oder „Boys Wanna Fight“. Damals fehlten uns noch die Vokabeln dazu, aber es war schon eine Erforschung der Gender-Binarität und der Wunsch, diese bizarren Kategorisierungen zu durchbrechen, die wir uns auferlegen. Diese Klischees, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein. Heute haben wir mehr sprachliche Möglichkeiten als 2001. Es ist gut, dass diese Grenzen eingerisssen werden. Daher bin ich rückblickend auch so stolz auf das Album: Unser Songwriting war stark – und wir hatten gute Absichten. Das bleibt.
„Kann es mir nicht leisten, keine Hoffnung zu haben“
In Deutschland ist die Gender-Debatte ein emotional sehr heißes Thema. Wie sieht das in Großbritannien aus?
Ich würde es nicht als „heißes Thema“ bezeichnen. Vieles rührt daher, dass viele Leute noch nicht richtig verstehen, über was da gesprochen wird. Ultimativ geht es doch um Freiheit für alle. Warum ist das so eine große Sache? Warum verschwendet man nur einen Funken Energie darauf, aktiv die Freiheit von anderen einzuschränken? Die Abkehr der Idee von Gender-Binarität ist Freiheit für dich, für mich und für uns alle. Die Furcht der einen verhindert die Freiheit der anderen. Es muss also weiter gestritten werden.
Sind Sie optimistisch, dass da früher oder später Akzeptanz erreicht werden wird?
Ich kann es mir nicht leisten, keine Hoffnung zu haben. Wenn wir uns als Menschheit nicht anpassen, zerstören wir uns selbst. Wir müssen aus Geschichte lernen und irgendwie scheitern wir immer wieder. Das lässt mich manchmal verzweifeln. Das sieht man ja auch am Umgang mit dem Klimawandel. Ich habe aber junge Menschen in meinem Leben, für die es sich zu kämpfen lohnt, also darf man nicht aufgeben.
Hat es denn in der Musikindustrie einen Wandel zum Besseren gegeben? Wenn man sich so anschaut, wer die Charts dominiert, sind das vornehmlich Frauen. Von Billie Eilish und Miley Cyrus über Rihanna, Adele und Beyonće bis hin zu Taylor Swift.
Es ist tatsächlich so, dass weibliche Superstars gerade das meiste Geld verdienen. Aber das verzerrt. Wenn man sich sonstige Statistiken rund um die Musikindustrie anschaut, sieht das schon deutlich düsterer aus. Da wären viele überrascht. Female Empowerment ist da leider nur eine hübsche Fassade, die vieles überdeckt.
„Ihr müsst das Alter nicht fürchten“
Haben Sie sich selbst da als Vorbild oder Wegbereiterin gesehen?
Jede Frau, die in einem öffentlichen Raum über ihre Jugend hinaus arbeitet, ist ein Vorbild. Denn es gibt nicht viele, die das schaffen. Das ist noch eine ganz neue Idee, das Frauen eine Karriere über ihre fuckable Jahre hinaus haben kann. Jeder, der da gegen Misogynie, Sexismus, Ageisum wirkt, ist ein Vorbild. Für mich waren das damals Patti Smith, Stevie Nicks oder Dolly Parton. Das war die erste Welle, die jungen Frauen klargemacht hat: Ihr müsst das Alter nicht fürchten.
Sie haben da öffentlich nie zurückgescheut, Ihre Meinung zu äußern. Hat Sie da eher Optimismus oder Wut angetrieben?
Ungleichheit hat mich angetrieben. Erst heute morgen habe ich einen Artikel gelesen, dass nirgends auf der Welt Frauen die selben Privilegien wie Männer genießen. Unglaublich. Ich bin optimistisch, dass sich das ändern kann. Die Generation, die da nach mir heranwächst, ist da viel gebildeter und organisierter. Als ich mich damals gegen Sexismus aussprach, wurde ich als wütende Feministin abgestempelt. Das war ein Tabu, ein Stigma. Heute begehren mehr Frauen, auch Superstars auf. Das gefällt mir sehr.
Ein kurzer Blick in die nahe Zukunft: Ihr kommt in diesem Jahr auch für Konzerte nach Deutschland. Deutschland scheint ja immer ein guter Markt für Euch gewesen zu sein.
Jedes Land, in dem man unsere Musik gerne hört, auch nach 30 Jahren, ist für uns ein toller Markt. Für mich ist das nicht selbstverständlich. Ich bin froh, dass es Teil meines Jobs ist, an all diese tollen Orte, in alle diese schönen Städte, zu reisen. Berlin, München. Mit einer meiner früheren Bands haben wir in der Wendezeit in den Hansa-Studios aufgenommen. Wahnsinnig aufregend. Das Schlimmste an Corona war, dass man nicht mehr unterwegs sein konnte. Wer weiß, wie oft wir in unserem Alter noch nach Deutschland kommen können.
Was können Fans von den Shows in Deutschland erwarten?
Es wird etwas Wundervolles. (lacht). Es wird keine „Bleed Like Me“, auch keine „No Gods No Masters“-Show. Ich will den Begriff „Greatest Hits“ aber auch nicht verwenden, denn so sehe ich unsere Karriere nicht. Wir schauen, was sich aus unserem Katalog am besten zusammenfügt und was uns und unseren Fans in dem Moment bedeutet.
Und wie geht’s danach weiter?
Wir sind gerade im Studio und nehmen unser achtes Album auf. Es soll Anfang nächsten Jahres bei BMG erscheinen. Die letzte Platte war sehr klar in ihrer Intention. Die neue wird mehr Fragen stellen. Aber allzuviel kann ich dazu noch nicht verraten …
Wird denn davon etwas in Deutschland zu hören sein?
Definitiv nicht! Songs live antesten, bevor sie veröffentlicht sind, das haben wir noch nie gemacht.
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