Santiano in Mannheim. (foto: Fiege)

Live: Santiano in Mannheim – Freiheitshymnen voller Seebär-Romantik

Wenn es um die deutschen Charts geht, liefern Santiano so zuverlässig ab wie Taylor Swift. Was macht aber den Reiz der Shanty-Rocker aus? Ein Annäherungsversuch in der Mannheimer SAP-Arena.

Der Spitzenplatz. Drunter machen es Santiano nicht. Jedes Album der Band aus Schleswig-Holstein landete bislang auf Platz eins der deutschen Charts. Jedes. Angefangen vom Debüt „Bis ans Ende der Welt“ aus dem Jahr 2012 bis hin zum bis dato letzten Album „Doggerland“, das 2023 auf den Markt kam. Keine Frage: Der wilde Mix aus Rock, Irish Folk, Pop, Schlager und Shanty ist hierzulande ungeheuer anschlussfähig. Die kernigen Santiano-Matrosen können sogar problemlos mit Helene Fischer auf Tour gehen und sind gleichzeitig auf dem Wacken-Festival willkommen. 

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Wie ist das möglich? Und vor allem: Wie kann es eigentlich sein, dass eine Band, deren Lieder sich vor allem mit der Idee der Freiheit beschäftigen, so erfolgreich ist, in Zeiten, in denen Politik und Gesellschaft doch immer lauter nach Freiheitseinschränkungen schreien? In denen ständig gefordert wird, Grenzen zu schließen und Schutzzäune hochzuziehen? Wer andere aussperrt, schließt sich bekanntlich immer auch selbst ein.

Santiano feiern mit 9200 Menschen

Vielleicht lassen sich Antworten bei dem Santiano-Konzert in Mannheim finden. Es ist das letzte Konzert der Band in diesem Jahr, das große Finale einer Tour, die unrund begann (ein paar Mitglieder der Band mussten mit Magen-Darm ins Krankenhaus), die aber hernach gewohnt erfolgreich ablief. Das Santiano-Spektakel zieht. In die SAP-Arena Mannheim sind  9200 Menschen gekommen, um mit Björn Both, Pete Sage, Axel Stosberg und Hans-Timm Hinrichsen in See zu stechen. Gitarrist Andreas Fahnert absolviert aus gesundheitlichen Gründen grundsätzliche keine Live-Auftritte, dafür ergänzen drei weitere Musiker das Quartett bei den Konzerten.

Los geht es erst einmal mit einem lauten Knall, ehe der Opener „Es klingt nach Freiheit“ erklingt. Die Seebären haben kräftig aufgefahren, neben dem Knall-Effekt  gibt es allerlei Pyrotechnik und Feuerwerk. Auf die Leinwände werden Videos geworfen, meist von Wellen, Stürmen oder Wolken, das sorgt für die passende Atmosphäre. Das Publikum ist von Anfang an gut dabei, die eine oder andere Landratte hat sich in quer gestreifte Matrosen-Shirts übergezogen, ein paar wenige haben sogar ein komplettes Seemann-Kostüm übergeworfen. Immer wieder wird mitgesungen, die Songs sind ja auch maximal mitgröl- und schunkeltauglich.

Freiheit, immer wieder Freiheit

27 Songs stehen  auf der Setlist. 27 Songs über Freundschaft, Heimat, Fernweh, das Meer, Liebe, das Alter, Hoffnung, und Freiheit, immer wieder Freiheit. Santiano gehören dabei nicht zu der Sorte Band, die ihre neuen Stücke verschämt zwischen alten Klassikern versteckt. Im Gegenteil. „Doggerland“ nimmt bei dieser Tour viel Raum ein, stolze neun Songs werden aus dem jüngsten Santiano-Album gespielt. Und warum auch nicht, die Lieder dieser überaus abwechslungsreich geratenen Platte – benannt nach einer von der Nordsee überspülten Landzunge, die das europäische Festland mit der britischen Insel verband – funktionieren live prächtig.

Die Band, die ja erst im gestandenen Alter ihren unwahrscheinlichen Durchbruch schaffte, ist „Zu alt um jung zu sterben“, erzählt „Seine Geschichte“ oder von der Reise zurück in heimische Gewässer (in „Angekommen“). Auch das Duett der Platte, „Wenn ich dich je vergesse“, wird auf die Bühne gebracht, sogar mit der Sängerin der Platte, Lina von Lina Bó. Praktisch, dass sie und ihre Gruppe auch die Anheizerin vor der Santiano-Show gaben.

Zu den Glanzlichtern an diesem Abend gehörten aber auch „Wenn die Kälte kommt“, „Gott muss ein Seemann sein“ und das gefühlige „Hoch im Norden“, gleichzeitig das Finale der Show, durch die Björn Both mit seinen unterhaltsamen Ansagen führte,  mal humorig, mal nachdenklich.

Sorgen wegen Rechtsruck

Am Ende hat das Publikum etwas mehr als zwei Stunden mit den Klabautermännern gefeiert. Und die Frage, was es denn mit Santiano, dem Publikum und seiner Freiheitssehnsucht auf sich hat? Man kommt der Antwort bei dieser Show zumindest näher. Den heißesten Hinweis gibt Björn Both, als er das Publikum fragt, ob es seine Freiheit gerade fühlt. Auf das kollektive „Ja“ gibt Both eine Antwort, die viele  verblüfft: „Das ist schlecht.“ Und er erklärt auch gleich, warum: „Nur wem die Freiheit langsam davon gleitet, wem sie langsam zwischen den Fingern zerrinnt, der spürt, was es heißt, frei zu sein oder eben nicht. Der wird sich der Freiheit bewusst.“

Um den Rechtsruck in der Gesellschaft, machen sich Freddy Quinns Erben Sorgen. Die politische Mitte warnt sie davor, sich  an den Rechtspopulisten zu orientieren. Both: „Lasst euch das von einem alten Seemann sagen: Wenn der Kahn nach rechts kippt, ist es nicht ratsam, die andere Seite zu verlassen.“ Allzu pessimistisch lässt die Kapelle die Passagiere  aber nicht von Bord: „Am Ende des Tages“, singt sie, „wird alles wieder gut“. Und vielleicht ist genau das die Botschaft, die es in diesen Zeiten gerade braucht.

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