Wenn Bands Anniversary-Editionen ihrer Erfolgsalben veröffentlichen, haben diese zumeist schon einige Jahre auf dem Buckel. Bei den Stones ist das anders. Ein Jahr nach dem Release ihrer Erfolgsplatte “Hackney Diamonds” hauen die britischen Rock-Götter nämlich nun eine Geburtstagsedition raus.
Keine Frage: „Hackney Diamonds“ war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon eine Sensation. Mick Jagger und Kollegen waren zwar in den letzten zwei Jahrzehnten als Live-Band immer äußerst umtriebig, wirklich viel Neues kam von den Rock-Dinos aber nicht auf den Markt. Hauptsächlich wurden in enger Taktung Live-Mitschnitte unters Volk gebracht, 2016 gab es auch mal eine Platte mit Cover-Stücken, dazwischen ein paar Singles. Ein ganzes Album mit wirklich neuem, eigenen Material gab es zuletzt 2005 (!) mit „A Bigger Bang“.
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18 Jahre später also: „Hackney Diamonds“. Seit 2019 hatte die Band leise, still und heimlich an den zwölf Songs für diese Platte gebastelt, weshalb auch der 2021 verstorbene Drummer Charlie Watts hier noch auf einigen Stücken zu hören ist. Mick Jaggers überschaubare Lust, neues Material aufzunehmen, die Corona-Pandemie und Keith Richards‘ Arthritis hatten die Aufnahmen in die Länge gezogen. Der Tod von Watts sorgte schließlich dafür, dass sich die Band zusammenriss und mit mehr Fokus an die Sache ging. Man wollte dem verstorbenen Freund nochmal ein Denkmal setzen.
Schaulaufen der Promis
Gleichzeitig lud man eine ganze Reihe an Weggefährten und alten Freunden zu den Aufnahmen ein. So greift Elton John bei „Get Close“ und „Live By the Sword“ in die Klaviertasten, Paul McCartney für „Bite My Head Off“ in die Bass-Saiten, Benmont Tench spielt in „Depending On You“ und „Dreamy Skies“ die Hammond-Orgel, Lady Gaga steuert für „Sweet Sounds of Heaven“ Gesang bei, während Stevie Wonder bei diesem Song unter anderem den Synthesizer bedient. Und das frühere Stones-Mitglied Bill Wyman greift ebenfalls nochmal für die alten Kollegen zum Bass („Live By the Sword“). Um nur einige der Mitwirkenden zu nennen. Schade, dass für Rhythmus-Spezialist Darryl Jones, eigentlich in den letzten Jahrzehnten bei den Stones immer mit am Start, diesmal kein Platz war.
Bei Musikern, die sich allesamt um die 80 Lenze bewegen, ist man versucht, von einem „Alterswerk“ zu schreiben, aber das würde der Sache nicht gerecht. Denn die Stones klingen auf der Platte ungeheuer frisch und spritzig, die zeitgenössische Kritik ordnete das Album völlig zu Recht als eines der besten der Stones der vergangenen 50 Jahre ein. Auch ein Verdienst des von McCartney empfohlenen Produzenten Andrew Watt, der gleich bei drei Stücken als Co-Autor auftrat und die Stones in die Spur brachte.
Ein Album voller Glanzlichter
Klar, mit den ganz großen Würfen aus den 1960er und 1970er Jahren lassen sich die neuen Songs nicht vergleichen. Mehr Biss als alles, was danach kam, haben sie aber auf jeden Fall. Zu den großen Glanzlichtern des 24. Studioalbums der Stones gehören das wilde „Angry“, die Ballade „Depending On You“, der Rocker „Bite My Head Off“ (eben auch dank McCartney Bass-Spiel), das eingängige „Whole Wide World“, das countryeske „Dreamy Skies“ und das ebenso epische wie gospelige „Sweet Sounds Of Heaven“. Ausfälle gibt es eigentlich nicht. Gut, ein Song wie das Disco-getränkte „Mess It Up“ kommt etwas anbiedernd daher. Jagger nimmt man den im Text auftretenden Normalo nun nicht unbedingt ab.
Beim Schlusspunkt, dem Muddy-Waters-Cover „Rolling Stone Blues“, wischt man sich ob dieser Symbolik eine Träne aus dem Augenwinkel. Ob’s der letzte große Ritt der Stones war? Es ist nicht auszuschließen, auch wenn Jagger angedeutet hatte, dass es nochmal einen Nachschlag geben könnte.
Ein Jahr später kommt nun bereits eine Neuauflage auf den Markt. Darauf enthalten ist als besonderer Bonus „Live at Racket NYC“ mit den sieben Titeln, die die Band bei der intimen Eröffnungsveranstaltung in New York am 19. Oktober 2023 aufführte, darunter die ersten Live-Auftritte von “Angry“, “Bite My Head Off“, “Whole Wide World“ und “Sweet Sounds of Heaven“ mit Lady Gaga. Das 24-seitige Booklet enthält Fotos des Auftritts von Kevin Mazur.
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