The Cinematic Orchestra (foto: Ninja Tune)

The Cinematic Orchestra

Jason Swinscoe will keine Songs machen, die mal für zwei, drei Wochen im Radio gespielt und dann vergessen werden. Swinscoe liebt das Kopfkino und ein solches will er bei seinen Hörern entstehen lassen. Mit The Cinematic Orchestra hat er da das perfekte Outlet geschaffen. Eine Würdigung.

Keine Frage: The Cinematic Orchestra sind Game Changer. Das Kollektiv hat nicht die Nu-Jazz-Szene gehörig umgekrempelt, indem sie gekonnt Jazz mit Soundtrack-Elementen und elektronischer Musik vermählt haben. Mastermind Jason Swinscoe und Co haben den Weg geebnet für Acts wie Kendrick Lamar, Floating Points, Kamasi Washington, Ólafur Arnalds und BADBADNOTGOOD. Für Künstler, die Grenzen einreißen.

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Die frühen Jahre

Ja, offiziell ging es mit The Cinematic Orchestra eigentlich erst im Jahr 1999 los. Die Wurzeln der Band reichen aber bis ins Jahr 1990 zurück. Damals gründete der britische Kunststudent Jason Swinscoe, Jahrgang 1972, die Gruppe „Crabladder“, mit der er sogar eine Single über sein eigenes Power Tools Label auf den Markt brachte. Schnell war’s mit der Formation aber Essig, weil Swinscoe hier nicht konnte wie er wollte. Seine Leidenschaft für das Sampling war damals schon ausgeprägt, nur umsetzen konnte er sie noch nicht so, wie er sich das vorstellte. Obwohl bei Crabladder schon so einiges angelegt war, was den Multiinstrumentalisten auch in Zukunft beschäftigen würde: das Experimentelle, das Fusionieren von Jazz mit unwahrscheinlichen Stilen und Elementen.

Nach dem Ende der Band und seines Studiums widmete sich Swanscoe vor allem dem DJing, trat dabei sogar im russischen St. Petersburg auf – als erster Ninja-Tune-DJ überhaupt. Zwischenzeitlich arbeitete er für Heart FM, einen Piratensender aus Südlondon. Nebenher nahm er solo Musik auf, sampelte dabei immer wieder Elemente aus Soundtracks oder dem Jazz der 1960er und 1970er Jahre.

1999 gründete Swinscoe schließlich das Kollektiv The Cinematic Orchestra, zu dem zunächst Tom Chant (Piano/Saxofon), Phil France (Bass) und Daniel Howard (Drums) gehörten. Swinscoes Idee: Die Live-Musiker sollten zu gesampleten Bass- und Schlagzeugspuren improvisieren.

Motion

Noch im selben Jahr, genauer: am 27. September 1999, kam mit „Motion“ das Debütalbum des Kollektivs auf den Markt. Dieses setzte seine Grundidee auf sechs Titeln (44 Minuten Spielzeit) auch direkt gekonnt um. Das Online-Magazin “Pitchfork” erkannte in dem Machwerk eine beatgetriebenen Tribut an Miles Davis und dessen Kollaborationen mit dem Komponisten Gil Evans. Kurzum: einen Game Changer im Bereich des Nu-Jazz. Überhaupt überschlugen sich die Kritiker mit Lob. The Cinematic Orchestra wurden sogar eingeladen, bei den Director’s Guild Awards 1999 aufzutreten, bei denen Stanley Kubrick der Lifetime Achievement Award verliehen wurde. Natürlich der perfekte Rahmen für eine Band, die Filme in den Köpfen ihrer Hörer entstehen lassen will. Danach ging es erst einmal ausgiebig auf Tour.

Every Day

Kurz darauf wurde die Band gebeten, für den 1929 in der Sowjetunion produzierten Stummfilm „Man With A Movie Camera“ einen neuen Score zu schreiben. Die dazugehörige Premieren-Performance auf dem Filmfestival in Porto: ein Riesenerfolg. Die Band veröffentlichte diesen nicht nur als Album, sondern ging damit sogar auf Tour.

Einige der Kompositionen, die in dieser Zeit entstanden sind, landeten am Ende aber auch auf dem zweiten regulären Album der Band: „Every Day“, erschienen am 27. April 2002. Hier arbeitete Swinscoe, der zwischenzeitlich auch viel in Paris unterwegs war, auch erstmals mit Soulgröße Fontanella Bass zusammen, die auf mehreren Tracks erschien und dem Album wirklich guttat. Auch Roots Manuva war hier mit von der Partie, auch er: ein Gewinn.

Insgesamt ist das Album emotional um einiges zupackender als der gefeierte Vorgänger. Es mag an der neugewonnenen Natürlichkeit liegen, die dem Sound der Band mittlerweile zu eigen war.

Ma Fleur

2007 stand für die Gruppe die Veröffentlichung ihrer vierten Platte an. Streng genommen war es aber ihres drittes reguläres Studio-Album: „Ma Fleur“. Eine ruhige, recht verträumt Scheibe, die damals für ihren mutigen Ansatz gelobt wurde. Denn die Gruppe löste sich seinerzeit von dem Sound der Vorgänger. Sie schraubte die elektronischen Spielereien ein wenig zurück und ließ es etwas erdiger angehen. Heißt: viele akustische Gitarren, viele Streicher und Klavierklänge. Eine Weiterentwicklung. Klar, das gefiel seinerzeit nicht jedem Fan der ersten Stunde. Es war aber retrospektiv keine falsche Entscheidung.

Inhaltlich drehte es sich auf „Ma Fleur“ vornehmlich um Themen wie Liebe und Verlust. Zu den Glanzlichtern dieser atmosphärisch dichten, recht melancholischen Platte gehören der schmerzlich schöne Opener „To Build A Home“, eine wunderbar gefühlige Ballade, und die erneuten Kollaborationen mit der großartigen Fontanella Bass, „Breathe“ und „Familiar Ground“. 2021 wurde die Platte auf Vinyl neu aufgelegt.

2007 füllen The Cinematic Orchestra auch die Royal Albert Hall. Der Mitschnitt erscheint 2008 als Live-Album.

To Believe

Zwölf Jahre gingen ins Land, ehe sich The Cinematic Orchestra nach „Ma Fleur“ mit einem regulären Album zurückmeldeten. Klar, untätig waren die Briten in dieser Zeit nicht. Jason Swinscoe mischten hier und da bei diversen Projekten mit, vor allem im avantgardistischen Soundtrack-Bereich (unter anderem für „The Crimson Wing“). Und außerdem konzentrierte er sich mehr aufs Papasein.

2019 war es aber mal wieder an der Zeit für ein neues Album. Die zentrale Frage auf „To Believe“: Woran soll man eigentlich noch glauben? Wo steuert die Gesellschaft gerade eigentlich hin? Die US-Wahl, der Syrien-Konflikt, das Dschungelcamp und der gesellschaftliche Umgang damit – Dinge, die Swinscoe in diesen Jahren beschäftigten, wie er dem „Guardian“ in einem Interview zu der Zeit verriet. 

Ganz alleine wollten Swinscoe und sein musikalischer Partner Dominic Smith diese Frage nicht beantworten. Sie holten sich Gastbeiträge von Moses Sumney, Roots Manuva, Heidi Vogel, Gray Reverend, Dorian Concept und Tawiah mit ins Boot. Am Ende sprang Platz 19 in den UK Charts heraus, sogar Platz eins in den UK Dance Albums.

DISCOGRAPHY

1999: Motion
2000: Remixes 1998-2000
2002: Every Day
2003: Man With A Movie Camera
2007: Ma Fleur
2008: Live at the Royal Albert Hall
2009: Das Geheimnis der Flamingos (The Crimson Wing: Mystery of the Flamingos)
2010: Late Night Tales: The Cinematic Orchestra
2012: In Motion #1
2019: To Believe

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