Hamburg war schon immer ein Anziehungspunkt für Künstler. Viele haben hier auch Fotos für Plattencover aufgenommen. 33 von ihnen haben der Fotograf Bernd Jonkmanns und der Journalist Christoph Dallach für ihr Buch „Hamburg Vinyl: 33 Hamburg-Cover und ihre Geschichte“ zusammengetragen. Ein Buch, das weitaus mehr als Plattenhüllen zeigt: nämlich eine Großstadt im radikalen Wandel.
Es ist meistens unmöglich, einen Ausgangspunkt für eine Bewegung, einen Trend, eine Entwicklung auszumachen. Irgendwie ist ja alles immer im Fluß und nicht immer gibt es eben diesen einen bestimmten Auslöser. Wenn es aber um den Beginn des Pop in Hamburg geht, dann sind sich Bernd Jonkmanns und Christoph Dallach einig. Für sie fand am 8. Oktober 1958 eine Zäsur statt. Es war der Tag, als der Spirit des Rock n Roll über die Stadt kam. „An jenem Abend trat der US-Rock-’n‘-Roller Bill Haley mit seinen Comets in der Ernst-Merck-Halle auf, und das junge Publikum rastete kollektiv so aus, wie man es in Hamburg noch nie erlebt hatte“, schreiben die Autoren. 6000 Halbstarke ließen damals Stühle fliegen, zerlegten die Bühne und lieferten sich Kämpfe mit überforderten Ordnungshütern. Es war der totale Kontrollverlust. Die totale Entfesslung. Der Geist war aus der Flasche, „der globale Siegeszug der Teenager-Kultur hatte Hamburg erreicht“.
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Dort traf sie auf den perfekten Nährboden. Hamburg hatte immer etwas Magisches, und das liegt auch am Kiez. „Hamburg ist die Stadt ohne Sperrstunde“, so die Autoren. Hier wird nicht der Bürgersteig hochgeklappt, hier ist auch zu später Stunde noch Party und Ramba Zamba möglich. Ein Umstand, der schon immer Feierwütige an die Elbe gelockt hat – und eben auch viele Künstler.
Die Strahlkraft der Hansestadt
Ein Künstler-Magnet dabei: der Star-Club an der Großen Freiheit 39. Ein Ort, an dem viele auftraten, die später mal ganz groß werden sollten. Ray Charles, Chuck Berry, Little Richard, Cream, Jimi Hendrix, Gene Vincent, Jerry Lee Lewis, Fats Domino, The Everly Brothers – und, klar, die Beatles. Hamburg war immer ein Anziehungspunkt für Künstler verschiedenster Genres, hier war und ist immer alles möglich gewesen. Die Stadt gebar aber auch eigene Künstler, die eine große Strahlkraft mitbrachten. Allen voran natürlich Udo Lindenberg.
Dennoch: „Dass Hamburg mal das Zentrum der deutschen Musikindustrie war, ist jedenfalls eine gefühlte Ewigkeit her“, konstatieren Bernd Jonkmanns und Christoph Dallach in ihrem Buch. Die großen Labels seien bis auf Warner Records nicht mehr da, dafür habe sich aber viele kleine Plattenfirmen in der Hansestadt breitgemacht, von Romantikern betrieben, die immer noch auf physische Tonträger setzen.
Von John Lennon bis Jan Delay
Und so kommt es, dass Hamburg unglaublich oft auf Plattencovern verewigt worden ist. „Der Hamburger Hafen ist auf unendlich vielen Plattencovern verewigt worden – was oft dekorativ anzuschauen ist, aber nur selten das Hören der Platten lohnt“, so die Autoren. Daneben gebe es aber viele Plattenhüllen, die ihren Hamburger Kontext erst auf den zweiten Blick verraten und im Zweifel auch besser anzuhören sind. Da ist etwa das Bild des jungen John Lennon, lässig in einem Hauseingang auf St. Pauli posierend, aufgenommen für das Artwork des Albums „Rock ’n‘ Roll“. Oder das Cover von Sonny & Cher für ihr selbstbetiteltes Album, aufgenommen auf dem Höhepunkt ihres Ruhms vor dem Hotel Atlantic an der Alster. Die US-Beat-Band The Monks hat es hingegen für eine Fotosession in den Hirschpark nach Blankenese verschlagen.
Es gibt unzählige dieser Beispiele. Über viele Jahre hat der Hamburger Fotograf und Plattensammler Bernd Jonkmanns auf Flohmärkten und in den Plattenläden eine erstaunliche Zahl an Platten aufgespürt, die einen Hamburger Bezug haben. Platten von Ella Fitzgerald über The Clash bis zu Jan Delay und Die Zimmermänner. 33 dieser Plattenhüllen hat er ausgewählt und die geschichtsträchtigen Cover an den Originalschauplätzen erneut in Szene gesetzt.
Entstanden ist so ein wunderbar nostalgisches Buch, das eindrucksvoll die Popgeschichte Hamburgs erzählt, in Wort und Bild. Natürlich sind viele dieser Originalschauplätze mittlerweile verschwunden oder haben sich optisch radikal gewandelt. Das „Onkel Pö“ etwa, wo sich heute ein italienisches Restaurant findet. Oder die Sternbrücke, die bald verschwinden soll. Weshalb das Werk auch ein Dokument der Großstadt im ewigen Wandel ist. Die Entstehungsgeschichten hinter den ausgewählten Platten und Details zu Künstlern (mit denen, sofern noch möglich, auch gesprochen wurde) und Orten hat der in Hamburg geborene Journalist Christoph Dallach beigesteuert, ebenfalls ein leidenschaftlicher Tonträger-Sammler.
Lesezeichen
Bernd Jonkmanns & Christoph Dallach – Hamburg Vinyl: 33 Hamburg-Cover und Ihre Geschichte, 1. Auflage, 2019, 96 Seiten, Junius Verlag.
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