Die berühmte Eisenbahnüberführung „Sternbrücke“ in Hamburg ist mehr als nur ein zentraler Verkehrsknotenpunkt der Hansestadt. Sie ist auch ein kulturelles Biotop. Ein Ort, der Identität stiftet. Dennoch soll die Brücke nun verschwinden und einem riesigen Neubau weichen. Der Hamburger Fotograf Stephan Pflug hat ihr mit dem Buch „Die Sternbrücke: Hamburgs letzter urbaner Ort“ ein Denkmal gesetzt.
Stephan Pflug arbeitet seit 1989 als freier Fotograf in Hamburg. Er wohnt in Altona-Nord und blickt vom Küchenfenster auf ein Politikum: die Sternbrücke, die die Hamburger Innenstadt mit dem Hamburger Westen verbindet. Das denkmalgeschützte Bauwerk soll bald verschwinden und durch eine 26 Meter hohe Neubau-Konstruktion ersetzt werden. Auch umliegende Gebäude müssen weichen. Die ersten Entwürfe dazu wurden der Öffentlichkeit schon 2019 von der Bahn vorgestellt.
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„Überdimensioniert“, schimpfen Kritiker über die Neubau-Pläne, Bürgerinitiativen haben sich gebildet. Aber das eigentliche Problem ist nicht der Neubau, sondern das Verschwinden der Sternbrücke an sich. Denn hier, wo sich vier Bahngleise und zwei Hauptstraßen kreuzen (auch die Wohlers Allee mündet hier ein), wo seit fast einem Jahrhundert der Verkehr durch Hamburg fließt, S-Bahnen, Regional- und Fernzüge, Busse, Fußgänger und Radfahrer, hat sich ein kulturelles Biotop entwickelt. Das Bauwerk ist zur Ikone geworden. „Sehr geliebt, manchmal umstritten und höchst lebendig“, wie die Mitautoren des Buchs „Die Sternbrücke: Hamburgs letzter urbaner Ort“ schreiben.
Sternbrücke als Pop-Ikone
Seit Ende der 1990er Jahren fanden vor allem in den Kasematten unterhalb der Brücke, die schon immer gewerblich genutzt wurden, Clubs, Bars und Kioske ihre Räume, schreiben sie. „Zu Beginn nur als Zwischennutzung gedacht, blieben sie viele Jahre: Waagenbau, Fundbureau, Astra Stube, Brückenkiosk, Beat Boutique, Bar 227 und das Künstlerhaus Faktor.“ Längst hat sie daher auch Einzug in die Popkultur gefunden. Jan Delay hat ihr 2009 das Cover seines Albums „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ gewidmet. Und Regisseur Fatih Akin hat einige Szenen seines Films „Soul Kitchen“ unter der Brücke und in der „Astra Stube“ gedreht.
Der Hamburger Fotograf Stephan Pflug hat dieses Biotop zwischen 2018 und 2023 in Bildern festgehalten. In dem Bewusstsein, dass er etwas für die Ewigkeit festhält, das es bald nicht mehr geben würde. Seine Fotos zeigen die Akteure und den Alltag unter der Brücke, uninszeniert, wahrhaftig, schnörkellos.
Begleitet werden die Bilder durch informative, aber auch emotionale Texte von Kristina Sassenscheidt (Denkmalverein Hamburg) und Axel Bühler (Verein ‚Sternbrücke, aber richtig“), die über die denkmalgeschützte Brücke und den Protest der Anwohner gegen deren geplanten Abriss schreiben. Für sie ist die Sternbrücke mehr als ein funktionales Bauwerk, das nach rund 100 Jahren Betriebszeit „das Ende seiner technischen Nutzungsdauer“ erreicht hat, wie es die Bahn etwas kühl auf ihrer Webseite ausdrückt. Für sie ist die Sternbrücke vor allem eines: ein Stück Heimat.
Wichtig für das Stadtgefühl
„Wer schon einmal einen Abend durch die verschwitzten Fenster der Astra Stube auf die orange beleuchtete Kreuzung geschaut hat, weiß, was er meint: Auf eine ungeplante und paradoxe Art führt das Übermaß an Verkehr im Aufeinanderprallen mit der Musikszene dazu, dass die Kreuzung fast ständig vibriert und voller Energie steckt“, schwärmt Sassenscheidt. Die Brücke, so sagt sie, sei auf den ersten Blick zwar keine Schönheit. Aber: Die Patina des Brücken-Ensembles lasse Geschichte spürbar werden. „Mit ihren zahlreichen Schichten an Graffiti, Plakaten und Aufklebern wirkt sie wie ein Palimpsest von persönlichen Erinnerungen und ist auch deswegen unverzichtbar für das Stadtgefühl“.
Keine Frage: Das Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer für den Erhalt der Brücke. Eines, das einen nachdenken lässt. Über den Preis, der für den Fortschritt zu zahlen ist. Über das Gegeneinander von Funktionalität und Lebensgefühl im Städtebau. Und die Frage, was eine lebenswerte Stadt eigentlich ausmacht – und was es mit uns macht, wenn mehr und mehr identitätsstiftende Orte verschwinden.
Lesezeichen
Stephan Pflug – Die Sternbrücke: Hamburgs letzter urbaner Ort. 1. Auflage, 2024, 96 Seiten, Junius Verlag.
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