Wenn man an Mauerfall und Wiedervereinigung denkt, bilden den Soundtrack dazu eigentlich immer die üblichen Verdächtigen: Die Scorpions („Winds of Change“), Marius Müller-Westernhagen („Freiheit“) und David Hasselhoff („Looking for Freedom“) sind mit der Wende-Zeit untrennbar verbunden. Aber: Was haben die Deutschen denn in der damaligen Zeit wirklich gehört? Wir haben die ersten gesamtdeutschen Jahrescharts unter die Lupe genommen – und geschaut, welche zehn Singles 1990 am erfolgreichsten waren – und somit tatsächlich den Soundtrack zur Wiedervereinigung gebildet haben.
10. Depeche Mode – Enjoy The Silence
Depeche Mode hatten im Laufe ihrer langen Karriere eine ganze Reihe an Hits, dieser gehört zweifellos zu den größten: „Enjoy The Silence“. Der Text stammt aus der Feder von Martin Gore, war in der ursprünglichen (nie veröffentlichten) Fassung deutlich langsamer. Bandkollege Andy Wilder und Produzent Flood fummelten den Track aber um, machten ihn deutlich schneller. Gore ließ sich überzeugen. Das wurde belohnt: 31 Wochen lang hielt sich die Nummer in den deutschen Charts, die höchste Position war die zwei.
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09. Guru Josh – Infinity
Der Name Guru Josh (bürgerlich: Paul Walden) mag heute den wenigsten noch etwas sagen, an der Nummer gab es damals aber kein Vorbeikommen. Walden gelang mit „Infinity“ ein Klassiker der Old-School-House-Music – und das gleich mit seiner Debütsingle. 26 Wochen hielt sich das Lied in den deutschen Charts, peakte dabei auf Position zwei. Nicht schlecht für den gelernten Zahnarzt, der aber ein One-Hit-Wonder blieb. Nach der nächsten Single „Whose Law (Is It Anyway?)“, die noch ein leidlicher Erfolg war, verschwand Guru Josh in der Versenkung. Auch weil er mit seiner Unterstützung konservativer britischer Politiker die Raver-Szene vor den Kopf stieß. Guru Josh starb 2015 im Alter von 51 Jahren auf Ibiza.
08. UB40 – Kington Town
Ihre ersten Instrumente kauften sich UB40 durch das Schmerzensgeld, das Sänger Alistair „Ali“ Campbell nach einer Schlägerei zugesprochen wurde. Gut investiertes Geld. Der Band aus dem britischen Birmingham gelang in den 1980ern und 1990ern eine ganze Reihe an Hits, darunter „Red Red Wine“ und „Can’t Help Falling In Love“. Und auch „Kingston Town“ gehörte dazu. Das Lord-Creator-Cover hielt sich 36 Wochen in den deutschen Charts, Platz fünf war dabei die Spitzenposition.
07. Nick Kamen – I Promised Myself
Mitte der 1980er Jahre wurde der Brite Nick Kamen durch einen Werbespot für die Jeans-Marke Levi’s weltberühmt, in dem er sich in einem Waschsalon die Boxershorts auszog. Kurz danach startete der Gute seine Musikkarriere. Für seinen ersten Hit „Each Time You Break My Heart“ steuerte Madonna den Background-Gesang bei. Die zweite große Nummer gelang Kamen 1990: „I Promised Myself“, ein Song über ein Liebespaar in der Krise. Das Stück hielt sich 42 Wochen in den deutschen Charts, peakte auf Rang fünf. Der letzte große Hit für Kamen. Er verstarb 2021 mit 59 Jahren an den Folgen einer Knochenkrebserkrankung.
06. DNA feat. Suzanne Vega – Tom’s Diner
Ein Song, der im dritten Anlauf zum Hit wurde. Ursprünglich hatte US-Singer-Songwriterin Suzanne Vega den Song als Acapella-Stück geschrieben. Er erschien 1984 als Beilage des Fast Folk Musical Magazines. Nachdem Vega mit „Luka“ einen Riesenhit landete, wurde „Tom’s Diner“ wiederveröffentlicht. Doch erst als sich 1990 zwei britische Produzenten, die unter dem Namen DNA firmierten, dem Song annahmen und einen Remix anfertigten, wurde die Nummer zum Hit. Der Remix hielt sich 26 Wochen in den Charts, sieben davon auf Platz eins. Fun fact: Damit war er die erste gesamtdeutsche Nummer eins! Historisch bedeutsam ist das Stück auch, weil der Erfinder des Audiodatenkompressionsverfahrens MP3, Karlheinz Brandenburg, es nutzte, um sein Verfahren zu testen.
05. Snap! – Oops Up!
04. Snap! – The Power
Gleich zweimal Snap! in den Jahres-Top-Ten des Jahres 1990. Kann man mal so machen. Snap! waren ein deutsches Eurodance- und Trance-Projekt, das 1989 zusammenfand und hinter dem die beiden Frankfurter Produzenten Michael Münzing und Luca Anzilotti steckten. Gleich das Debüt „The Power“ wurde ein internationaler Hit. Einer, den es fast nicht gegeben hätte, weil die Ursprungsversion voller Plagiate war. So musste mit Rapper Turbo B eine neue Version aufgenommen werden. Der Song hielt sich 32 Wochen in den deutschen Charts, fünf davon sogar auf Platz zwei.
Auch die Nachfolge-Single „Oops Up!“ – ein Song über „Murphy’s Law“ – wurde ein Hit. Im Grunde ist er eine Überarbeitung des The-Gap-Band-Hits „I Don’t Believe You Want To Get Up“. Snap!-Mitglied Penny Ford war seinerzeit Bestandteil dieser Kapelle. 25 Wochen hielt sich „Oops Up!“ in den deutschen Charts, neun Wochen davon verteidigte es dabei als Platz zwei.
03. Phil Collins – Another Day In Paradise
Keine Überraschung, dass auch Phil Collins in dieser Liste landet. Wenn es einen Musiker gab, der in den 1980ern und frühen 1990ern allgegenwärtig war, dann der Ex-Genesis-Drummer und -sänger. Mehr Mainstream als Collins ging nicht. Dabei verhandelte der Gute auch durchaus sperrige Themen in seinen Songs. In „Another Day In Paradise“ etwa geht es um Obdachlosigkeit, das Video griff das Problem entsprechend auf, zeigt Fotos von Obdachlosen und Fakten-Schnipsel (etwa „One Billion People Have Inadequate Shelter“, „3 Million Homeless In America“). David Crosby steuerte den Background-Gesang bei. 30 Wochen hielt sich die Nummer in den deutschen Charts, neun davon auf Platz eins.
02. Sinéad O’Connor – Nothing Compares 2 U
Das Video mit der Träne, die Sinéad O’Connors in Nahaufnahme gezeigtes Gesicht herunterkullert: ebenso steinerweichend wie ikonisch. Die Irin wurde durch diesen Cover-Song auf einen Schlag weltberühmt, schaffte es aber nie wieder an diesen Erfolg anzuknüpfen. Ja, wir sagen Cover-Song, weil die Ballade nicht nur von Prince geschrieben wurde, sondern von diesem auch aufgenommen und veröffentlicht wurde. Die Variante von Sinéad O’Connor ist aber deutlich stärker, keine Frage. 32 Wochen hielt sich der Liebeskummer-Song in den deutschen Charts, elf davon auf der eins.
01. Matthias Reim – Verdammt ich lieb‘ dich
Der Platz an der Sonne gehört nicht den Scorpions, nicht Marius Müller-Westernhagen, nicht David Hasselhoff, nein, er gehört Matthias Reim. Mit „Verdammt ich lieb‘ dich“ gelang dem Deutsch-Rock- beziehungsweise Schlager-Sänger der beliebteste Hit des Jahres 1990. 39 Wochen hielt sich die Nummer in den Charts, 16 davon auf der Pole-Position. Zwischen 1971 und 2017 verteidigte keine andere Single ohne Unterbrechung länger auf Platz eins. Mit Reim haben wir in diesem Jahr übrigens über die Nummer gesprochen.
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