Mit seinem neuen Album „Zeppelin“ ist Matthias Reim gerade auf Tour. Der 66 Jahre alte Sänger spricht mit Benjamin Fiege über seinen Hit „Verdammt, ich lieb Dich“, die Höhen und Tiefen seiner Karriere – und über Pils zur richtigen Zeit.
Herr Reim, Ihren Durchbruch haben Sie 1990 mit „Verdammt ,ich lieb Dich“ geschafft. Sie waren ja zuvor eher als Komponist unterwegs. Ist es wahr, dass der Song anderen Künstlern angeboten wurde und ihn niemand singen wollte?
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Nee, das ist eine dieser Legenden. Die Plattenfirma, an die wir uns da gewandt hatten, dachte: Das wäre doch eigentlich was für Jürgen Drews. Ich hatte die Nummer so mehr als Hobby für mich gemacht, weil ich meine Karriere eigentlich an den Nagel gehangen hatte und nur noch als Produzent und Songwriter unterwegs war. Aber mein damaliger Partner hat gesagt: Nö, machen wir selber. Die Plattenfirma war erst skeptisch, hat uns dann aber grünes Licht gegeben. Der Rest ist Geschichte.
Hattest du damals gleich das Gefühl, das ist ein Hit?
Ja, ich dachte: Es wäre total geil, wenn ich damit auf Platz 80 in den Charts lande und dann wieder rausfliege. Weiter habe ich nicht gedacht.
„Verdammt, ich lieb Dich“ war die erfolgreichste deutsche Single seit Einführung der Charts – bis sie jetzt von „Komet“ von Udo Lindenberg/Apache 207 abgelöst wurde.
Nicht ununterbrochen, aber die haben das überholt, mit 17 Wochen an der Spitze, glaube ich. Aber das ist mir egal. Ich freue mich für den Udo und den Apache. Ich bin da völlig entspannt, weil der Song ein Evergreen ist, er funktioniert bei jeder Veranstaltung und ist die schönste Zugabe, die man haben kann.
Mitte/Ende der 1990er Jahre ging es ja dann kommerziell so ein bisschen auf Talfahrt. Sie haben mal gesagt: Da hing ich tot überm Zaun, kommerziell und was das Live-Geschäft anging. Wie erklären Sie sich das heute?
Das war logisch, ich war Popstar. Bravo-Star. Und die haben eine Haltbarkeit von maximal zwei Jahren und mehr geht da nicht. Ich wusste also, dass das kommt und war auch nicht so unglücklich drüber.
Gab es also damals einen Plan B, wenn Sie die Kurve als Solo-Künstler nicht wieder bekommen hätten?
Ich hätte das wieder gemacht, was ich früher auch gemacht habe. Ich ha be ein Tonstudio, hätte wieder Songs für andere und ein bisschen für mich geschrieben und geguckt, was passiert. Als Songschreiber war ich immer gut. Vorher hat’s gereicht zum Leben warum hätte es das nun nicht mehr gesollt? Ganz im Gegenteil: Ich war ja nun dafür bekannt, dass ich erfolgreiche Songs schreiben konnte.
Fluch oder Segen
War da „Verdammt, ich lieb Dich“ nicht irgendwo auch ein Fluch? Die erste Single, gleich so ein Riesending. Das hat doch auch zu einer Erwartungshaltung geführt. Haben Sie da Druck verspürt?
Ja, natürlich. Klar, hast Du da Druck. Und Du hast ja auch das Gefühl, Du weißt, wie es geht. Ich hatte damals gleich das erfolgreiche „Ich hab geträumt von Dir“ hinterher geschossen. Aber: Irgendwann ist das eben vorbei, auch Modern Talking waren endlich. Man muss schauen, dass man seinen Stil findet und dabei bleibt. Dass man dann auch wieder den langen Weg zurück beschreitet, nachdem man mit der Rakete nach oben geschossen war – ohne Fallschirm. Die zweite Karriere, die ich jetzt habe, ist viel stabiler. Die hat eine erspielte Basis, mit Leuten, die zu meinen Konzerten kommen und diese Musik seit 34 Jahren kennen, vielleicht wiederentdeckt haben, zwischen den Jahren 2000 und 2024.
Später häuften sich ja dann in den Boulevard-Medien Schlagzeilen über Beziehungen, Ihre Verschuldung, die Insolvenz. Wie hält man das aus, so unterm Brennglas zu sein?
Mit viel Gelassenheit. Damals war ich gelassen. Das war dann eben so, zum Teil hatte ich es selbst verbockt, zum Teil nicht. Aber ich musste die Nummer ausbaden und schauen, was passiert. Meine Musikalität hatte das nie tangiert. Ich hatte dann eben zwischendurch kein fettes Auto und keine Kohle mehr. Aber das war ich ja von vorher gewohnt: War also nicht so schlimm.
Auffallend war ja wirklich, dass Sie nach außen hin immer den Humor bewahrt haben. Ich erinnere mich da an die Sixt-Werbung: „Verdammt, ich hab nix“ …
Dadurch dass das alles eh öffentlich war und ich öffentlich damit umging, da passte so eine „Guck mal, das Leben ist trotzdem noch schön“-Werbung einfach. Das war auch meine Grundeinstellung: Irgendwie geht es immer weiter.
Ein neuer Manager und ein neues Label, die Unterstützung des Bruders brachten dann die Wende. Und seit 2003 erreicht jedes Ihrer Alben mindestens eine Top 20-Platzierung.
Top drei, sogar. Außer zwei Alben haben alle Gold und Platin gewonnen. Die hängen alle bei mir im Studio.
„In Deutschland herrschte immer Schubladen-Denken“
Fühlen Sie sich da genug wertgeschätzt?
Die Wertschätzung spüre ich ja. Die spüre ich beim Zulauf bei Live-Konzerten, wie die von den Menschen gefeiert und geliebt werden. Gold und Platin ist schön an den Wänden, auch in den Charts zu landen ist klasse, aber ich genieße es vor allem in den Live-Konzerten. Das sind die Momente, für die sich dieser lange Weg einfach gelohnt hat.
Der Umstand, dass dieser Riesenerfolg vielleicht bei dem einen oder anderen unter dem Radar läuft: Hat das was mit dem Genre „Schlager“ zu tun?
Ich glaube schon, dass in Deutschland immer ein Schubladen-Denken herrschte. Gerade in den 1990er Jahren war das extrem. Wenn Du da mal in einer Schlager-Sendung dabei warst, warst Du der Schlagersänger. Das bin ich dann auch nie losgeworden, obwohl ich den musikalischen Unterschied nie so wahrgenommen habe. Ich komme vom Rock. Wenn man meine Songs nehmen würde und Englisch singen würde, wäre das Mainstream-Rock. Durch die deutsche Sprache und die Themen wird das in die Schlager-Schublade gesteckt. Was auch immer Schlager sein soll. Weiß ich bis heute nicht. Zum Glück löst sich dieses Schubladendenken aber langsam auf.
Die Grenzen verwischen …
Ja, die Generation heute ist musikalisch nicht so gespalten, wie wir das damals waren. Die wachsen mit allem auf. Die Unterscheidungen, wie sie noch im Rundfunk gemacht werden, interessieren den normalen Verbraucher heute einen Scheißdreck. Man sieht auch an der Deutsch-Pop-Phase, die seit ein paar Jahren anhält, dass es da eine neue Akzeptanz der deutschen Sprache gibt.
Gab es für Sie ernsthaft Gedankenspiele, auf Englisch zu singen?
Für mich war das immer ausgeschlossen. Einmal habe ich ein Album auf Englisch gemacht, das wurde in Kanada veröffentlicht und hat keinen interessiert. Das verliert auch an Zauber, bei mir ist der Mix aus der Musik und der Art und Weise, wie ich texte, wichtig. Auf Englisch würde ich Belanglosigkeiten besingen. Im Deutschen muss ich eine Geschichte erzählen, da kann ich keine gut klingenden Phrasen aneinanderreihen.
Man liest im Zusammenhang mit Ihnen immer wieder den Begriff „Kultstar“. Können Sie damit was anfangen?
Durch die Länge der Karriere und den wiederkehrenden Erfolg ist etwas zum Kult geworden. „Verdammt, ich lieb Dich“ ist ein Kultsong geworden, den kann jeder mitsingen. Und wer das interpretiert, geht dann da halt eben mit, der wird auch irgendwo zum Kult.
Im Mai kommen Sie mit Ihrem neuen Album „Zeppelin“ nach Mannheim. In der Ankündigung des Albums ist von einer gesteigerten Wahrhaftigkeit die Rede. Was meint das Label damit?
Spannend. Das Label hat auch gesagt, es ist das beste Album, das ich je gemacht hätte. Ich selbst kann das nicht beurteilen, ich mache das, was mir gerade einfällt und wie ich mich fühle. Je älter du wirst, desto mehr hast du erlebt, es kommt ein bisschen mehr Weisheit dazu, Vernunft. Und das ist dann vielleicht die gesteigerte Wahrhaftigkeit. Whatever that means …
Was können wir von der neuen Scheibe denn musikalisch erwarten?
Es ist eine bunte Mischung aus Musikarten, auf die ich gerade Bock hatte. Ob das 90s-Rock oder Ghost-ähnliche Balladen sind, worauf ich gerade Lust hatte, so wurde das arrangiert. Und in den anderthalb Jahren hatte ich viel Lust auf gut arrangierte Rockmusik, die ich gerade für mich entdeckt hatte. Steve Walsh, Ghost, die neueren Ozzy-Osbourne-Alben. Da waren tolle Ideen drin, an die ich mich gern mal angelehnt habe.
Auftritt in Mannheim
Und von dem Auftritt in Mannheim? Liegt der Fokus auf der neuen Platte – oder gibt es einen Greatest-Hits-Abend?
Ich habe mir die schönsten Songs aus 34 Jahren herausgesucht. Letztes Jahr waren es noch die besten Songs aus 33 Jahren. Es kommt immer wieder was dazu, auch wenn das vielleicht nicht die nächsten zehn Jahre im Programm sein wird. Was in zehn Jahren im Programm sein wird: „Verdammt, ich lieb Dich“ und „Ich hab geträumt von Dir“. Die alten Dinger, die wollen die Leute haben. Und ich spiel sie wirklich gern.
Ist man bei neueren Songs dann noch nervös, bevor man Sie das erste Mal live spielt?
Ja, denn gerade im Vergleich zu den alten Stücken haben die es schwer. Die Leute ordnen die Songs direkt neben den Kultsongs ein. Ich müsste die neuen Sachen 15 Jahre spielen, ehe die vielleicht ähnlich wahrgenommen werden würden. Das tu ich aber nicht. Ich weiß, dass die Menschen die Songs aus den ersten beiden Alben wollen. Die bringe ich dann auch. Das muss man auch. Stell dir mal vor, die Scorpions gehen raus und spielen „Winds of Change“ nicht.
Die Dexys Midnight Runners hatten das doch mal eine Weile so gemacht und „Come On Eileen“ grundsätzlich nicht live gespielt.
Und es ist ihnen nicht gut bekommen! Wenn man einen Song spielt, den die Leute abfeiern, das ist doch ein Hammergefühl für einen Künstler. Ich brauche diese Reaktion. Das gibt Adrenalin, gute Laune und Selbstbewusstsein.
Sie hatten ja erst neulich Ihr 1500. Konzert gespielt – und trotzdem immer noch Lampenfieber? Gibt es da Rituale, die man hat?
Ja, ich habe Lampenfieber und bekomme das auch nicht weg. Man fühlt sich nicht wohl, ist nervös, hat Selbstzweifel. Ich hab auch schon verschiedene Rituale entwickelt. Aktuell: Wenn ich in die Halle komme, kriege ich zwei Bier gebracht – und dann ist das Lampenfieber weg. Das muss zu einer bestimmten Zeit da stehen, schön kalt, im Plastikbecher.
Die Marke ist egal?
Hauptsache Pils. Ein echtes Bier sein, kein Altbier, kein Kölsch. Ein ganz normales Pils.
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