Sarah Lesch (foto: markus mlynek)

My Soundtrack: Sarah Lesch

Gerade erst hat uns die Liedermacherin Sarah Lesch mit ihrem neuen Album „Da draussen“ begeistert, schon steht uns die Wahl-Leipzigerin für eine „My Soundtrack“-Ausgabe zur Verfügung. Darin erzählt Lesch über nackte Rebellion, schlecht geplante Touren, Lullaby-Erinnerungen, Gänsehaut-Momente und Theaterabende.

1. Rage Against The Machine – Killing In The Name Of

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Dieser Song hat mich durch die Pubertät gerettet. Ich hatte ihn MINDESTENS im Schulbus und auch ansonsten so gut wie immer dabei auf meinem Sony-Walkman. Ich muss irgendwann früher mal ein echt braves, nettes und handliches Mädchen gewesen sein und ich fürchte meine Mutter muss sich sehr erschrocken haben vor mir, denn plötzlich hatte ich echt hart Pubertät (so ungefähr klingt das jedenfalls immer, wenn sie erzählt). Mein Gott, war ich wütend. Als emanzipiert und frei erzogenes Ossi-Arbeiterkind in einem schwäbischen Dorf unter modernen „Geigen-Unterricht-Kindern“, deren Eltern Carport und Gästeklo besaßen und Bausparverträge hatten, fühlte ich mich immer wie ein Fremdkörper. Die älteren Mädchen hassten mich. Und ich mochte Jungs lieber. Überhaupt hassten sich die Mädchen. Und es war alles unfassbar prüde und sexistisch. Nacktheit war sexualisiert. Wir wurden plötzlich zu Monstern gemacht, weil wir Brüste hatten. Und irgendwas war anders. Ich merkte das. Und ich hasste es. Auf einmal war so vieles nicht mehr okay, weil man ja damit was auslösen könne und sich dann nicht wundern brauchte wenn… und so. Meine Rebellion waren freizügige Outfits und auf der Theke tanzen. “FUCK YOU, I WON’T DO WHAT U TELL ME!” – jetzt erst recht. Und Brüste blank legen am See im Schullandheim. Die Lehrer riefen bei meiner Mutter an – ob man mich jetzt heimschicken müsste. Sie hat sie laut und herzlich ausgelacht. Danke Mama. I love you.

2. The Growlers – One Million Lovers

Es war der Sommer, in dem mein Album „Von Musen und Matrosen“ entstand. Ich fuhr mit ein paar spontan aufgegabelten Musikern und Freunden los auf Tour. Sternförmig durch die ganze Republik. Das Booking machte ich damals selbst und meine Einschätzung für Entfernungen war noch nie der Brüller. Tübingen und dann am Leuchtturm links? Ach klar – was soll der Geiz? Kommt, ich fahr euch zum Strand! Ich war die einzige mit Führerschein, hatte mich gerade selbstständig gemacht um von der Musik zu leben und alles war Sommer und überall Konfetti. Wir haben sogar Festivals an der polnischen Ostsee gespielt, auf schrägen Elektro-Festivals mit lauter Kaputten – samt uns. Und alles war Glitzer und echt anstrengend und die Zukunft sah voll sexy aus und ich hatte trotz tagelanger Touren nachts noch Muse, Songs zu schreiben und ganze Nächte zu acht in irgendwelchen Badwannen zu zerfeiern. Und die Menschen, die mich umgaben waren so anders. So inspirierend und frei im Geist und im Herzen. Heinrich (mein damaliger Gitarrist) und ich haben eine wundervolle Verbindung gehabt, die wahnsinnig spirituell war. Er und die Dinge, die wir erlebt haben, waren ein Anstoß endlich mein „Testament“-Lied zu schreiben. Er hat mir diesen Song gezeigt. Und die Growlers liefen rauf und runter in unserer hässlichen lila-blass-blauen Tourkarre. Ein Riesentattoo und ein Album habe ich aus dieser Zeit mitgenommen. Und ganz viel Liebe und Verbundenheit. Noch immer.

3. Die Gedanken sind frei

Das habe ich jahrelang meinem kleinen Jungen abends am Bett vorgesungen. Er hat es so geliebt. Und immer nochmal und nochmal. Manchmal musste ich es eine Stunde lang singen. Und wenn ich dachte, er schläft endlich, und gaaaaanz vorsichtig aufstand und wenn ich es dann muksmäusschenleise in Mama-Bravour bis zur Tür geschafft hatte, dann hob er das Köpfchen und fiepste: „Mami? Du sollst nicht aufhören mit singen! Ich schlaf noch gar nicht.“ Es war zum Verzweifeln manchmal. Und in der Erinnerung das Einzige im Leben, was ich mir wieder zurück wünschen würde. Noch einmal den Geruch von diesem weichen Haarschopf inhalieren und zwei Stunden lang „Die Gedanken sind frei“ singen an einem Samstag Abend. Während all meine Freunde ausgehen oder Auslandssemester machen. Einmal noch. Das wär was. Und dann mit dem Wissen, dass ausschließlich die Gedanken frei sind. Und kein Faktor von außen dieses Gefühl erzeugen kann.

Hach.

4. The Tallest Man On Earth – I Won’t Be Found

Ich liebe es, zu diesem Song durch den Wald zu rennen und mich absichtlich zu verlaufen. Er hat eine unfassbar krasse Wirkung auf mich, jagt mir sofort Gänsehäute auf den Körper und Tränen in die Augen und ich höre auf zu denken und existiere nur. Er nimmt vom ersten Ton an mein Herz an die Hand und galoppiert mit ihm davon. Ich kann den in Dauerschleife Tage, Wochen hören und will immer immer wieder. Es ist wundervoll, was das macht. Wenn meine Sehnsucht eine Konsistenz hätte oder Farben oder einen Geruch, wenn sie irgendwer malen und klingen lassen kann, dann ist es dieser Song mit genau dieser Aufnahme von seinem Album „Shallow Grave“. Das Einzige, das mir ein ähnlich überragendes Gefühl macht, ist etwas, das ich jetzt nicht verrate oder die restlichen Songs vom Album. :-)

5. The Beatles – Come Together

Das erinnert mich sehr an die Zeit, in der ich zu Hause auszog mit meinem Baby und ich lernte einen Mann kennen, der eine große Bedeutung in meinem Leben bekommen sollte. Er arbeitete als Regie-Assistent in der nächstgrößeren Stadt am Theater und nahm mich mit in diese (für mich) völlig faszinierende Welt. Wir lebten in einer kleinen Reihenhausbude ziemlich im Ghetto der Stadt, in dem nur Schauspieler lebten. Das Theater war nur ein paar hundert Meter weit entfernt. Wir verbrachten zehn wundervolle Jahre unseres Lebens zusammen. Es war wild und frei und Alltag und total inspirierend. Mit den Theaterleuten fühlte ich mich endlich unter meinesgleichen. Das ganze Ensemble bestand aus wahnsinnig guten Schauspielern, die echt was auf dem Kasten hatten, auch musikalisch. Sie spielten ein ganz wundervolles Beatles-Stück und einer der „Beatles“ (er hieß Henning) war ein sehr enger Freund und wohnte unter uns. Er zeigte mir die ersten Gitarrengriffe und brachte mir viel über Musik bei. Unser Küchentisch war immer zu klein für alle, die dran sitzen mussten nachts, nach den Proben und wir haben IMMER auch was von den Beatles gesungen irgendwann am Abend. Es war der Anfang meiner Musik. Ich war megaschüchtern immer, weil ich nie was gelernt hatte auf der Gitarre oder so.  Einmal sagte Henning zu mir: „Sarah, Rock’n’Roll hat nichts zu tun mit Akkorden. Stell dir vor, jemand vergräbt ein Songsheet von den Beatles. Die Menschheit stirbt aus und in tausend Jahren findet einer dieses Blatt Papier. Und jemand sagt zu ihm: ‚Das ist Rock’n’Roll. Spiel ma nach‘. Dann steht da nur ‚A-moll und E-moll‘ auf dem Blatt. Und das bedeutet rein GAR NICHTS. Rock’n’Roll ist ein Lebensgefühl. Weißte wie ich meine?“

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