In den 1980er und 1990er Jahren war das „Café Schöne Aussichten“ in Hamburg ein echter Ort der Begegnung, in dem sich Underground, Avantgarde, Hipster, Hedonisten, Stars und welche, die es werden sollten, die Klinke in die Hand gaben. In dem Bildband „Schöne Aussichten: Von Tagedieben und Nachtgestalten“ erinnert sich Mitgründer Uriz von Oertzen an eine aufregende Zeit.
Ein bisschen mehr Abenteuer. Das war der Grund, weshalb sich Uriz von Oertzen vor gut 40 Jahren entschloss, sein Leben auf links zu drehen. Hatte er bis dato als Assistent bei einem Schiffsmakler gearbeitet, entschloss er sich 1982 gemeinsam mit zwei Partnern ein Café zu eröffnen, das in Hamburg zu einer echten Kultstätte werden würde: das „Café Schöne Aussichten“ im Park „Planten un Blomen“. Aus einem ehemaligen Oma-Lokal – der Vorbesitzer ging pleite – wurde ein Szene-Treff, in dem sich Hipster und Hedonisten, Underground und Avantgarde über den Weg liefen.
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Wo sich Klaus Meine Tipps von Annie Lennox abholt
Es muss eine spannende Zeit gewesen sein. Tagsüber lief der ganz normale Café-Betrieb, abends gab es im „Schöne Aussichten“ Theater, Performance und auch Musik. Das Spektrum der Konzerte war groß. Die Bandbreite reichte von den sanften Tönen der Niederländerin Mathilde Santing bis zum brachialen Rock einer Band wie Universal Congress Of. Spätere Stars wie Suzanne Vega, Alanis Morissette, Sheryl Crow oder Lenny Kravitz zeigten sich hier erstmals einem deutschen Publikum. Harry Belafonte legte dort eine Breakdance-Einlage hin. Otto Waalkes probte, entgegen seinen Gewohnheiten mit einer Band, für einen Auftritt bei „Rock am Ring“. Die Eurythmics gaben nach einem Auftritt in der „Sporthalle“ noch ein Mini-Konzert für geladene Gäste im Café; Scorpions-Sänger Klaus Meine holte sich bei der Gelegenheit noch Tipps für die Stimmband-Pflege ab. Und natürlich wurden viele Partys gefeiert. Mal lud die Musikzeitschrift „Spex“, mal feierten die Kollektive „Effendee“, „Secret Garden“ oder die Band Alphaville. Und manchmal, nur mit Freunden, die Musiker von Depeche Mode.
„Was in den frühen80ern aus Punkszene und Popperszene entstand, war etwas ganz Besonderes. Als ob plötzlich Die Linke und die FDP koalieren würden. Für diese neue Szene war das Café Schöne Aussichten genau der richtige Ort“, resümiert Journalist, Produzent und Labelchef Tim Renner.
Erinnerungen von Menschen vor und hinter dem Tresen
Von Oertzen hat viele Erinnerungsstücke aus dieser Zeit aufgehoben. Vom Kassenbon über Flyer bis hin zu Zeitungs- oder Magazinartikeln. All das findet sich nun abgedruckt in diesem opulenten Bildband wieder. Interessant vor allem eine „Spiegel“-Titelgeschichte aus dem Jahr 1982, in der das Magazin die damalige Jugend („Eine neue Boheme“) und ihren „entschlossen-bizarren Narzißmus, ihren extraschrillen, ultraschrägen Stil“ beleuchtete und in diesem Zusammenhang auch das „Café Schöne Aussichten“ würdigte. Der damalige Autor Arnd Schirmer darf sich ausführlich erinnern. Überhaupt lebt dieses Werk nicht nur von schönen Bildern, sondern auch von den Erinnerungen vieler Zeitzeugen, von Menschen vor und hinter dem Tresen.
1990 hat von Oertzen die Veranstaltungsagentur Hi-Life gegründet. Im neuen Jahrtausend stiegen dann seine langjährigen Partner aus dem Café-Betrieb aus, mit den Nachfolgern findet von Oertzen keinen gemeinsamen Nenner. Auch für ihn ist das „Schöne Aussichten“ daher nun vor allem eins: eine schöne Erinnerung.
Lesezeichen
Uriz von Oertzen – Schöne Aussichten: Von Tagedieben und Nachtgestalten. 1. Auflage 2023, 256 Seiten mit über 350 Farb- und s/w-Abb. Junius Verlag.
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