Vier Jahre nach „10 Songs“ legen unsere Lieblingsbriten von Travis ihr nunmehr zehntes Album vor. Es ist eine Rückkehr zu den Wurzeln der Band – in mehr als nur einer Hinsicht.
„Los Angeles. Ganz unten.“ So moderierte das ZDF-Auslandsjournal neulich einen Beitrag über den Bezirk Skid Row in Los Angeles an und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass dieser die übelste Gegend der Metropole sei – „und die gefährlichste in ganz Amerika.“ Das Armenviertel ist geprägt von Drogensucht, Obdachlosigkeit und Ausgrenzung. Fast 10.000 Menschen leben in Skid Row auf der Straße. Bilder der Hoffnungslosigkeit.
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Genau in diesem Bezirk liegt das Studio von Travis-Frontmann und Songschreiber Fran Healy. Im Interview mit NEON GHOSTS bezeichnet er den Ort als einen der schlimmsten der westlichen Welt. „Die Obdachlosensituation hier ist anders als alles, was ich je gesehen habe. Eines Tages ging ich vom Einkaufen zurück und sah einen leuchtend gelben Lamborghini die von Obdachlosenzelten gesäumte Straße entlangfahren. Leute liegen in der Gosse, andere stolpern durch den Verkehr. Der Fahrer hatte sein Fenster heruntergelassen. Er trug eine verspiegelte Pilotensonnenbrille und eine weiße Weste, sein tätowierter Arm hing aus dem Fenster, an dem Juwelen im Wert von mindestens 100.000 Dollar klirrten“, so Healy. Dieser Gegensatz brannte sich in sein Hirn ein. „Der ganze Ort fühlt sich an, als könnte er jeden Moment explodieren.“ Im Titelsong des neuen Albums greift die Band das Thema auf.
Tragödien und Melancholie
Die krassen Bilder von Skid Row sind nicht die einzige Tragödie, mit der Healy zuletzt konfrontiert war. Er musste auch den Tod seines engen Freundes Ringan Ledge verkraften. Der Musikvideo-Regisseur starb an Krebs, Healy wachte an seinem Krankenbett. Ihm ist auf der neuen Platte der Song „Alive“ gewidmet. „Ein Taxifahrer hat mir mal vor ein paar Jahren gesagt: Du verbringt eine ganze Menge Zeit unter der Erde. Der Song greift das auf. Was auch immer dich vor einer halben Stunde geärgert hat, just let it go. Für eine ganze Ewigkeit wirst du nicht mehr da sein. Es ist, wie auf eine heiße Pfanne zu spucken – so schnell ist das Leben vorüber.“
Tragödie und Melancholie waren schon immer Zutaten in der Mixtur, den Fran Healy und seine Kollegen anrührten. Mittlerweile hat der Gute das Songwriting wieder komplett selbst in die Hand genommen, vielleicht fühlt es sich für ihn auch deswegen unglaublich persönlich an. Das überraschend fröhlich klingende „Gaslight“ ist einer dieser persönlichen Songs, eine Abrechnung mit einem Menschen (nein, nicht mit einer Verflossenen), der Healy über viele Jahre manipuliert hat. Während dieser Song gesungene Rache ist, hat Fran für seine Ex-Frau Nora, mit der er auch ein Kind hat, auf dem intimen „Live It All Again“ nur warme Worte übrig. Die trägt er im wunderbaren Falsett vor. Das zum Mitwirken einladende „Home“ und das beschwingt-hymnische „The River“ handeln davon, Vater zu sein.
„Bus“ als großes Glanzlicht
Das große Glanzlicht der Platte, die von Tony Hoffer produziert wurde, ist aber das bittersüße „Bus“, der Opener der Platte. Die Melodie ist typisch Travis, atmet aber dabei auch West-Coast-Luft. Fran besingt hier seine Zeit in Glasgow, erinnert sich daran, wie er in seinen jungen Jahren an der Bushaltestelle auf die 75 Richtung Hampden Park wartete. Der Song beschreibt dabei den Zustand zwischen dem Verlassen eines Ortes und dem Ankommen. Heute, so sagt er, wartet er nicht mehr auf den Bus, sondern darauf, dass ihn neue Songs finden. Fran: „Manchmal wird man ungeduldig und geht zur nächsten Haltestelle, und auf halber Strecke fahren drei Busse vorbei. Also lernt man lernt, einfach abzuwarten. Man glaubt nie, dass ein Bus kommen wird, aber wenn man lange genug wartet, taucht normalerweise einer auf.“
Geduld war auch beim Song „Naked In New York City“ gefragt. Geschlagene 25 Jahre sind seit der ersten Idee zu dem Lied bis zu seiner Fertigstellung vergangen. Die Inspiration kam damals beim ersten New-York-Besuch von Travis, die Band – die mal eine Weile größer als Coldplay waren – stand damals noch am Anfang ihrer Karriere. Fran und seine Kollegen waren euphorisch, aber irgendwie auch nervös, all diese Möglichkeiten, die sich einem da eröffneten. New York stand wie eine Metapher für dieses Gefühl. Manchmal dauert es eine Weile und braucht vielleicht auch ein bisschen Lebenserfahrung, damit man begreift, was einem das Unterbewusstsein damals eigentlich sagen wollte. Auch „Raze The Bar“ ist von NYC – genauer: einer mittlerweile geschlossenen Bar dort – inspiriert. Hier sind Chris Martin (Coldplay) und Brandon Flowers (The Killers) als Gäste mit am Werk, treten aber dabei kaum in Erscheinung.
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