Travis (foto: Steve Gullick)

Interview: Fran Healy über das neue Travis-Album, Los Angeles und Gaslighting

Das neue Travis-Album ist der Stadt der Engel gewidmet. Dabei zeigt „L.A. Times“ aber nicht nur die himmlischen Seiten der Stadt auf, sondern auch ihre höllische. Benjamin Fiege sprach mit Sänger Fran Healy über das neue Album, Los Angeles und Macht-Spielchen. Dabei verrät der Schotte, warum er nicht gern Lieder seiner Bandkollegen singt.

https://youtube.com/watch?v=2lcFSS7b5nc%3Fsi%3DLpiJjcDa8LfHkMew

Fran, vor der Veröffentlichung Eures neuen Albums ist bereits die Single „Gaslight“ erschienen. Um welche Art des Gaslightings geht es Ihnen da?

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Das klassische. So ein Verhalten gibt es ja schon immer: Jemand versucht Macht und Kontrolle über eine andere Person zu erlangen und manipuliert diese so, dass letztere anfängt, an ihrem Verstand zu zweifeln. Sie sagt vielleicht: Draußen ist es kalt. Und der Manipulierende behauptet: Stimmt doch gar nicht. Wenn es schlecht läuft, ist man in einer Beziehung, in der das chronisch passiert. Dem Opfer ist es dann oft unmöglich, diese Beziehung zu verlassen, weil es in eine Abhängigkeit gebracht wurde.

Erfahrungen mit Gaslighting

Spielen da persönliche Erfahrungen eine Rolle?

Ich kann nicht sagen, um wen es in dem Song geht, aber zumindest verraten, dass es ein sehr persönliches Thema für mich ist. Denn mir ist das 14 Jahre lang passiert. Vielleicht lag es an der Pandemie, dass mir dann ein Licht aufgegangen ist. Oder die Person hat sich einfach zu sehr in die Karten schauen lassen. Entweder man nimmt das dann hin oder sagt: Fuck off. Ich habe in vielerlei Hinsicht mein Leben zurückbekommen. Die Person, über die ich diesen Song geschrieben hat, wird wissen, dass er von ihr handelt. Es wird sich für sie so anfühlen, als wüsste jeder Bescheid. Das ist vielleicht die bestmögliche Rache. Eigentlich bin ich kein Typ, der auf Rache aus ist, aber in einem Song geht das. Ich habe das vorher aber erst einmal so gemacht. Es gibt eben echte Arschlöcher da draußen.

Die persönliche Story war also die Inspiration für den Song, genannt werden in ihm aber ja vor allem etwa Lehrer oder Politiker. Fühlen Sie sich durch Politiker manipuliert?

Es gehört natürlich zum politischen Handwerkszeug, dass Politiker Fragen von Journalisten nicht beantworten wollen und dann ausweichen oder ablenken. Das sieht man in fast jedem Fernseh-Interview. Als Zuschauer denkt man sich: Beantworte doch jetzt die verdammte Frage! Trump hat das dann noch mal auf ein neues Level gehoben, in seiner Präsidentschaft haben ja Fakten überhaupt keine Rolle gespielt. Seither leben wir in einer Art postfaktischen Realität. Das nutzt ja auch ein Vladimir Putin mit seinen Desinformationskampagnen aus. Das führt dazu, dass die Menschen irgendwann nicht mehr wissen, was vor sich geht und glauben, die Erde sei eine Scheibe. Die BBC hat da mal eine gute Doku („HyperNormalisation“) zu dem Thema gemacht, kann ich nur empfehlen.

Desinformation und der Brexit

Sie sind aus Großbritannien, da haben solche Desinformationskampagnen ja letztlich zum Brexit geführt …

Ja, da denkt man direkt an Cambridge Analytica. Diese Firma, die in großem Stil Daten gesammelt und analysiert hat und so Muster im Verhalten und den Ansichten der Menschen gefunden hat. Die Erkenntnisse haben sie dann ausgenutzt, Ängste geschürt und so Wählerverhalten manipuliert. Das hat wohl im US-Wahlkampf, aber auch beim Brexit eine Rolle gespielt.

Jetzt kommt ja noch Künstliche Intelligenz mit ins Spiel. Macht Sie das pessimistisch?

KI ist eigentlich faszinierend. Ein Freund von mir arbeitet in dem Bereich. Gerade in der Kunst, in der Musik bietet KI als Tool spannende Möglichkeiten. Wird sie jemals in der Lage sein, gute Geschichten zu erzählen? Das weiß ich nicht. Aber ich möchte eine Prognose abgeben: In der nahen Zukunft werden Streaming-Dienste einen Service anbieten, der auf Basis dessen, was Du gerne hörst, Songs für dich generiert. Es wird sich dabei an allen Songs bedienen, die existieren. Denn all diese Infos, all diese Daten haben sie ja bereits auf ihren Servern. Dein Geschmack wird also der Erschaffer dieses Songs sein, den du dann irgendwo hochladen und damit einen Hit wie „Let it Be“ landen kannst. Ohne auch nur eine Zeile des Songs im klassischen Sinne selbst geschrieben zu haben. Das ist aufregend, aber das wird meinen Job als Songwriter zu einer Nische machen. Und wenn AI dann wirklich auch noch gute, persönliche Geschichten erzählen kann, kapituliere ich komplett.

„Marathon in den Schuhen anderer Leute“

Jetzt sind Sie ja aber ja erstmal noch voll im Einsatz. Beim neuen Album geht jeder Songwriting-Credit an Sie. Das war ja mal eine Weile anders bei Travis.

Ja, bei den letzten beiden Alben habe ich wieder das komplette Songwriting übernommen. So wie früher. Dann aber haben Andy und Dougie irgendwann auch angefangen, Songs zu schreiben, die ich dann gesungen habe. Das habe ich lange Zeit gemacht und versucht, weil ich ein netter Kerl sein wollte. Aber: Ich mag das einfach nicht, ich kann nicht gut die Songs anderer Leute singen. Das gilt auch für Cover-Versionen. Es ist die Essenz anderer Leute, die ich da vortragen muss. Das fühlt sich für mich so an, als müsste ich in den zu großen oder zu kleinen Schuhen anderer Leute einen Marathon bestreiten. Klassisch Travis ist es, wenn ich schreibe und singe und die anderen spielen.

Gewidmet habt Ihr das Album Los Angeles. Wie kam das?

Ich lebe hier seit sieben Jahren. Früher habe ich ja beispielsweise in London, Glasgow und Berlin gelebt. Dass sich meine Jahre in Berlin nie auf einem Album gespiegelt haben, lag einfach daran, dass ich damals sehr aufs Vatersein und weniger auf das Songwriting fokussiert war. Jetzt nehme ich mehr von dieser aufregenden Stadt Los Angeles war, die zwar sehr spannend ist, aber auch sehr harte Seiten hat. Ganz anders als New York beispielsweise, gerade in Sachen Kommunikation, die einem hier echt erschwert wird. Das ist ärgerlich und frustrierend, aber man schreibt auch leichter Songs darüber. Man fühlt sich danach einfach besser.

„Schlimmste Gegend der westlichen Welt“

Ihr Studio in Los Angeles soll ja jetzt auch nicht im glamourösesten Teil der Stadt liegen …

(lacht) Ja, in der Tat. Es liegt am Rande von Skid Row, ich muss also durch eine der schlimmsten Gegenden der westlichen Welt fahren, um dort hinzukommen. Jeden Tag. Man sieht dort die ganze Ungerechtigkeit dieser Welt, man sieht Rassismus, den Gegensatz zwischen Arm und Reich, sieht Menschen in dicken Autos an Menschen vorbeifahren, die wirklich nichts haben, oft Afro-Amerikaner, um die sich einfach niemand kümmert. All das in einem der reichsten Länder der Welt.

Sie haben mich vorhin gefragt, ob ich ein Pessimist bin: Manchmal habe ich das Gefühl, wir leben in der schlimmsten aller Zeiten. Dann aber wieder: Dass wir uns ja doch, wenn auch langsam, sehr langsam, in vielen Dingen doch in den letzten 70, 80 Jahren zum Besseren entwickelt haben. In kleinen Schritten, die man oft im Alltäglichen übersieht. Ich bin also tagsüber ein Pessimist und ein Optimist über das ganze Leben betrachtet.

Im Moment habt Ihr rund vier Jahre zwischen euren Alben. Ist das Absicht?

Ein Plan steckt nicht dahinter. Aber: Aus Sicht eines Songwriters ist das eigentlich eine optimale Zeitspanne. Ich schreibe und probiere jeden Tag, nehme ein bisschen was auf, vieles landet dann in der Schublade und man kramt es erst vier Monate später wieder hervor. Und wenn man es dann immer noch gut findet, fängt man an, daran zu kneten, dann landet es wieder in der Schublade. Das wiederholt sich. Ich nenne das: Der Song hat einen Puls. Nicht jeder Song überlebt in der Schublade, aber im Idealfall hat man irgendwann zehn dieser lebenden, atmenden Lieder da drin und macht ein Album draus. Das dauert eben seine Zeit. Ich mag es nicht, schnell sein zu müssen.

Support für die Killers

Im Sommer unterstützt Ihr jetzt die Killers. Wie kommt es denn, dass Travis plötzlich die Vorband geben?

Ich habe gehört, dass sie Shows spielen werden und habe sie einfach gefragt. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, schätzen uns gegenseitig als Künstler und Bands sehr. Das wird sicher lustig – und für die Leute lohnt sich da sicherlich ein Ticket.

Wie fühlt sich das dann aber an, den Support zu geben?

Großartig! Ich bin aber auch jemand, der Vorbands nicht als „Support“ bezeichnet. Letztlich teilt man sich doch die Bühne an einem Abend, versucht jeweils, das Publikum zu unterhalten. Ich fühle mich den Vorbands nicht überlegen. Und daher fühle ich mich jetzt auch nicht unterlegen. Wir sind alle Künstler, auf Augenhöhe. Mir ist es egal, ob jemand zwei Millionen Platten verkauft oder nur zwei, wenn er denn einen Song singt, der bei mir etwas auslöst. Und außerdem mag ich diese Konstellation, weil der Druck jetzt nicht bei uns liegt und die anderen uns nachfolgen müssen. (lacht)

Die bitten Euch hinterher, nicht Eure Hits zu spielen …

Ja, dann wird uns hinterher noch die Lautstärke runtergedreht und uns werden nur zwei Lichter angemacht. (lacht)

Kommt ihr mit dem Album dann aber auch nach Deutschland?

Ja, im September kommen wir auf jeden Fall nach Deutschland, sind in Köln, Berlin und Hamburg. Wir freuen uns drauf, ich wäre gerne noch öfter hier.

https://youtube.com/watch?v=AIM6XzlAD5A%3Fsi%3D_la4pKWG_xi03Jab

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