Fettes Brot sind seit Ende 2023 Geschichte, König Boris ist die Gegenwart: Mit „Disneyland After Dark“ legt der Hamburger Hip-Hop-Musiker Boris Lauterbach alias König Boris sein zweites Solo-Album vor.
30 Jahre sind eine lange Zeit. Genauso lange haben Fettes Brot die deutsche Musiklandschaft mitgeprägt. Die drei Vorstadt-Rapper Doktor Renz, König Boris und Björn Beton standen für gute Laune und intelligente, wortgewandte, witzige Texte. Mit Songs wie „Nordisch By Nature“, „Jein“ oder „Emanuela“ schufen sie Klassiker des deutschen Hip-Hops. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist beziehungsweise: solange einen die Leute noch hören wollen. Genau das haben Fettes Brot hinbekommen, Ende 2023 sagten sie vor 50.000 Menschen auf der Hamburger Trabrennbahn mit ihrem Brotstock-Festival endgültig „Tschüss“.
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Mit König Boris beschreitet nun der Erste aus dem Trio Solo-Pfade. Zum zweiten Mal, wenn man so will. Denn schon 2012 legte Boris ein Solo-Album vor: „Der König tanzt“ hieß das gute Stück, hatte damals aber eher weniger mit Hip-Hop zu tun, sondern stellte einen Ausflug in den Dance- und New-Wave-Bereich dar.
Wieder auf Solopfaden
Nun also, zwölf Jahre später: „Disneyland After Dark“. Boris schrieb und produzierte die Platte über einen längeren Zeitraum hinweg gemeinsam mit Kumpel Arne Diedrichson (Fettes Brot, DJ Koze, Parcels). Die Inspiration zum Album ist Boris während der Pandemie gekommen. Wie so viele ist er viel spazieren gegangen, an Orte, die er kannte, aber auch an etliche, die er noch nie zuvor besucht hatte. Dabei ist ihm aufgefallen, was damals fehlte, was in dieser Zeit nicht da war: die Menschen, die die Szenerie normalerweise beleben, und ihre großen und kleinen Erlebnisse. Im Rückschluss ist ihm sehr bewusst geworden, was in der Stadt normalerweise passiert.
Der rote Faden auf „Disneyland After Dark“ ist daher nun das urbane Leben in all seinen Facetten. Die Geschichten, die König Boris auf dieser Platte erzählt, spielen in Hamburg. Auf seinem musikalischen Rundgang zeigt uns Boris die hellsten Ecken und die düstersten Abgründe der Großstadt. Gute-Laune-Musik, wie man sie von Fettes Brot kennt, ist das hier nicht. König Boris ist solo doch direkter sozialkritischer unterwegs. Hier kriegen auch die Marginalisierten eine Stimme. Die Abgehängten. Es geht um Drogen, Armut, Gentrifizierung.
Ein Album voller Überraschungen
Man kann das Album im Grunde grob in zwei Hälften unterteilen, die hellere erste und die dunklere zweite. Im Vergleich schneidet Hälfte zwo deutlich besser ab, so ehrlich muss man sein. Im Opener „Zuhause angekommen“ leuchten die nächtlichen Lichter der Großstadt noch bedrohlich und beruhigend zugleich. „Auf dem Balkon“ von Radiomoderatorin Anne Raddatz (die hier auch einen Wortbeitrag liefert) wird dann Party gemacht. Ein erstes Highlight dann: „Lieferservice“. König Boris erzählt hier die traurige Story vom einsamen jungen Mann, der unglücklich in die Frau vom „Lieferservice“ verliebt ist, weil er sonst eh niemanden mehr trifft.
„Unten an der Ecke“ im Späti oder in der Trinkerkneipe treffen dann die unterschiedlichsten Temperamente und Charaktere aufeinander. Sicher, da wird von Seiner Majestät mit Klischees gearbeitet, dennoch: bleibt hängen, man hat sofort Bilder vor dem inneren Auge. Der Song vereint auch den Grundgedanken der Platte in sich, das Schöne und eben auch die Scheiße zu zeigen, den Glamour und die Gosse. In die „Stadtratte“ steht ein Mensch kurz vor dem Absturz. In„Bunker“ knallen Menschen metaphorisch oder ganz konkret aufs Pflaster. Schwere Kost.
Der Sound ist etwas elektronischer, ja, auch düsterer als bei Fettes Brot. Das Album beginnt zwar mit einem sehr klassischen Hip-Hop-Beat, aber dann dominieren die Synthies. Die grobe Richtung weist ins Party-England der frühen 1990er, frei interpretiert mit modernen Einflüssen. Elektronische Rave-Sounds, mächtige Beats, melancholische Klangwände, düstere Harmonien und dicke Bretter. Darüber erzählt König Boris seine Geschichten, mal gerappt, mal gesungen, aber häufig auch stimmlich ganz wandlungsfähig in der Spoken-Word-Tradition. Und mit Heinz Strunk gibt es auch eine ebenso lustige wie überraschende „Cameo“.
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