Es war gleich ein Ritterschlag: Noch ehe Manuel Bittorf alias Betterov sein Debütalbum veröffentlicht hatte, wurde er schon öffentlich von prominenten Kollegen wie Olli Schulz über den grünen Klee gelobt. Dass die Vorschusslorbeeren gerechtfertigt sind, hatte der Thüringer mit seinem Erstlingswerk „Olympia“ (022) dann auch direkt bewiesen. Es ist ein Album, das vom Sich-Auflehnen erzählt, melancholisch und hoffnungsstiftend zugleich. Und so ist es auch schlüssig, dass Betterov ausgewählt wurde, einen Beitrag zum Wolf-Biermann-Tribute-Album „Wolf Biermann RE:IMAGINED – Lieder für jetzt!“ zu leisten. Benjamin Fiege sprach mit Betterov über das Projekt, Gegensätze zwischen Ost und West sowie ein neues Album.
Verneigung vor Wolf Biermann
Manuel, neulich ist Ihr Wolfgang-Biermann-Cover „Lied vom donnernden Leben“ erschienen. Wie kam es denn dazu?
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Da ist das Label Clouds Hill für verantwortlich. Die sitzen wie Wolf Biermann in Hamburg, sind eng miteinander verbündelt und haben sich überlegt, wie man Biermanns Musik durch die Brille junger Künstler filtern könnte. Aus der Idee wurde ein Kompilationsalbum, für das das Label mich dann angefragt hat.
Konnten Sie sich dann einen Song einfach aussuchen?
Ich hatte ganz freie Wahl, musste aber nicht lange überlegen, da ich das „Lied vom donnernden Leben“ schon ganz lange kannte. Ein richtig schöner Song. Ich bin auf die Nummer durch meinen Produzenten Tim Tautorat aufmerksam geworden, der mal ein Live-Album mit Wolf Biermann aufgenommen hat, und mir von dem Song erzählt hat. Da hab ich mir ihn angehört – und musste ihm zustimmen. Daher war für mich auch schnell klar, dass ich bei dem Projekt mitmache.
Hat Biermann denn in Ihrer musikalischen Sozialisation eine Rolle gespielt?
Nein, aber ich kannte seinen Lebenslauf, seine Geschichte, seinen Aktivismus, seine Power: das Aufwachsen im Nationalsozialismus und im Nachkriegsdeutschland. Der Wechsel vom Westen in den Osten, weil er an den Kommunismus geglaubt hat. Dort dann seine Martin-Luther-artige Stellung und wie er den Verantwortlichen Feuer unterm Hintern gemacht hat, was ihn für diese so gefährlich werden ließ, dass sie ihn wieder ausgebürgert haben. Dieser Lebenslauf war mir, der ich ja im Osten aufgewachsen bin, natürlich ein Begriff. Aber die Musik an sich war nicht Teil meiner musikalischen Prägung. Ich habe mittlerweile aber viel nachgeholt und sein Werk ganz gut durchleuchtet.
Sehen Sie Parallelen zwischen Ihnen beiden?
Wolf Biermann ist ein sehr genauer Beobachter. Das ist eine Eigenschaft, die ich mir auch zuschreiben würde. Der große Unterschied ist, dass seine Musik wesentlich politischer ist als meine. Seine Diskographie ist ein politisches Werk.
Gab’s denn eine Reaktion von ihm auf Ihr Cover?
Bisher noch nicht. Ich stelle mir natürlich schon die Frage, wie er das findet. Aber ich erwarte jetzt nicht, dass er meiner Version ablehnend gegenüber steht. Er hat dem Projekt ja zugestimmt, ist da also offenbar offen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Cover jetzt für ihn eine große Katastrophe ist, das würde ich fast ausschließen.
Flagge zeigen gegen Rassismus
Sie sind selbst auch ein politischer Mensch, zeigen Kante gegen Rassismus und Faschismus, waren auch Anfang des Jahres bei den Demos gegen Rechts dabei.
Das war eine echt positive Erfahrung. Ich bin damals von den Demos nach Hause gegangen und war stolz darauf, dass so viele Menschen ihre Arbeit liegen ließen und ihre Freizeit opferten, weil es da eine Sache gab, die wichtiger war. Sie waren aufgestanden. Das kam auch bei Freunden von mir im Ausland gut an, die haben das registriert, fanden das nicht selbstverständlich. Das war etwas ganz Besonderes. Aber es ist natürlich auch eine riesige Bubble, die sich da getroffen hat. Es ist viel schwieriger, mit Menschen in Kontakt zu treten, die eine Gegenmeinung haben, die AfD wählen. Sich mit denen zu unterhalten. Das ist der eigentliche Aktivismus. Der ist viel kleiner, viel privater, da kriegst du keinen Applaus für, keiner teilt deinen Beitrag.
Hat es Sie überrascht, wie viele junge Leute jetzt dann doch rechts gewählt haben?
Nein, gar nicht. Es zeigt, dass die politische Bildung über das Elternhaus funktioniert. Und wenn die Eltern so reden, dann wählen die Jungen auch so. Und es zeigt, wie sehr die Schule und das Bildungssystem versagt haben. Die Schule sollte eigentlich ein Ort sein, an dem man sich eine andere politische Meinung bilden kann, fernab des Elternhauses.
In Thüringen aufgewachsen
Hatten Sie mit Ihrer klaren Haltung Probleme, in Thüringen aufzuwachsen?
Es gab bei mir auf dem Dorf keine festen rechtsradikalen Strukturen. Was es sehr wohl gab, ist diese Sylt-artige Behandlung des Themas. Dieses rassistische Witze machen, dieses rhetorisch Unachtsame – das alles gab es schon. Und wenn du was dagegen unternimmst, auch in kleinen Gesprächen, dann fühlt man sich trotzdem nicht stark, sondern schwach, vorallem wenn man in der Unterzahl ist. Für viele, die ich kenne, die noch in Thüringen leben, ist es da gerade sehr schwer. Sie versuchen, sich gerade zu machen – und machen sich damit keine Freunde.
Auch dank des Aufstiegs der AfD wird ja wieder häufiger über Gegensätze zwischen Ost und West diskutiert. Sie sind nach der Wende geboren. Haben diese Gegensätze für Sie je eine Rolle gespielt?
Die waren omnipräsent in meiner Jugend. Die Menschen haben in der DDR Strukturen mitbekommen, die waren 1989 nicht einfach weg. Die Lehrer waren auch nach 1989 noch im Bildungssystem. Die Menschen, die in irgendwelchen Produktionsgenossenschaften gearbeitet haben, kamen plötzlich in ein neues Wirtschaftssystem. Und bei mir war es besonders krass, weil ich direkt an der Grenze zu Hessen wohnte. Du bist fünf Kilometer gefahren und hast eine ganz andere Gegend gehabt, eine andere Architektur, andere Betrieben, Strukturen.
Und noch heute ist es so: Es gibt Leute, die arbeiten in einem Betrieb, der hat einen Standort im Westen, einen im Osten, fünf Kilometer Luftlinie. Und die, die im Betrieb in Hessen arbeiten, erhalten immer noch einen höheren Lohn. 35 Jahre nach der Wende! Das ist unglaublich. Als ich nach Berlin gezogen bin und Leute aus Stuttgart oder NRW kennengelernt habe, habe ich gemerkt, dass das für die alles gedanklich nie eine Rolle gespielt hat, das war nie Teil deren Alltags.
Die politische Landschaft haben wir jetzt skizziert. Fazit: Könnte besser sein. Zurück zur Musik. Eingedenk dieser politischen Gemengelage: Ich nehme an, Ihr nächstes Album wird kein megafröhliches …
Das würde ich so nicht sagen! Ich finde es wichtig, was zu sagen, seine Reichweite zu nutzen und sich politisch zu äußern. Aber meine Musik darf ein Safe-Space sein, der es einem erlaubt, von allem mal abzuschalten. Ein Schutzort. Daher weiß ich nicht, ob das neue Album jetzt so hyperpolitisch wird.
Musikalisch total offen
Stilistisch war Ihr letztes Album ja an den 1980er Jahren orientiert, The Smiths, The Cure. Das Storytelling hatte was von Springsteen. Aber Sie scheinen ja gar nicht so auf die 1980er fixiert zu sein. Heißt: Musikalisch könnte das alles in eine ganz andere Richtung gehen?
Ja, definitiv. Und das Album danach auch wieder. Ich finde das total wichtig, sich was Neues vorzunehmen. Ich möchte nicht 27 Mal dasselbe Album machen, sondern frage mich: Wie könnte es noch klingen? Bei Kunst ist doch ein Laborzustand immer das Spannendste, das fiebrige Herumprobieren, das Experimentieren, Herumschrauben. Das gilt auch für das Texten. Ich stelle mich da gerne Herausforderungen.
Sagt da nicht aber das Label: Wäre uns jetzt schon recht, wenn du noch mal genauso ein Album machen würdest?
Da gibt es keine Diskussionen. Ein großes Merkmal meiner Musik sind sicher die Texte und die kann man in viele musikalische Formen bringen. Zumal ich von Anfang an Wert darauf gelegt habe, viele Facetten in meiner Musik zu zeigen. Daher auch meine EP, meine Solo-Piano-Versionen. Das ist ganz gut, vielleicht kriegen da andere Künstler da eher mal eine Mail geschrieben. (lacht)
Gibt es bei so einem zweiten Album dann mehr Druck? Plötzlich ist da diese Erwartungshaltung?
Ich mache mir da keinen Kopf, weil ich diesen großen Druck, diesen großen Schmerz eher bei meinem Debütalbum verspürt habe. Es war so schwer, das Album während der Pandemie zu machen, man war die ganze Zeit isoliert, es gab kaum Einschläge von außen, man war mit sich allein, wusste nicht immer wie es weitergeht. Man wusste nicht einmal, ob man das fertige Album überhaupt live würde spielen können. Und ich wusste auch in der Pandemie erst gar nicht, worüber ich jetzt schreiben sollte. Einfach Herzschmerz-Songs zu schreiben, in dieser Zeit, das hätte sich weird angefühlt. Im Gegensatz dazu fühle ich mich da jetzt eher befreit.
Es hieß, Sie schreiben Ihre Songs am ehesten zu Hause. Das hat sich ja jetzt, nach der Pandemie, wohl zwangsläufig geändert?
Ja, jetzt entsteht schon mehr unterwegs, im Bus, im Liegen, irgendwo da, wo man mal fünf Minuten hat. Momentan gehe ich aber auch gerne ins Studio und nehme mir da Zeit für mich. So ein Ort, der nur dafür da ist, Musik zu machen, anders als Zuhause, der ist schon sehr förderlich.
Neues Album: Arbeiten in der Frühphase
Wie weit sind Sie denn mit dem neuen Album?
Ich bin noch recht am Anfang, könnte also jetzt nicht sagen, wann ich damit ins Studio gehe oder wann es rauskommt. Aber ich genieße diese Phase gerade.
Sie sind ein Verfechter des Album-Formats …
Ja, weil man damit einfach Dinge erfassen kann, die größer sind als die einzelnen Teile. Mit dem Cover, mit den Bildern. Die Schriftart erzählt auch sehr viel. Man erzeugt mit einem Album immer eine eigene Welt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, kein Album zu machen.
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