Die UK-Indie-Rocker von Shame haben mit “Food for Worms” gerade ihr drittes Studioalbum vorgelegt. Sie dokumentieren damit auch eine Weiterentwicklung, wenn nicht gar eine echte Neuerfindung.
Noch bevor man die Platte der Südlondoner Kapelle auflegt, schindet sie schon mächtig Einruck. Verantwortlich dafür ist das herausragende Artwork, für das der namhafte kanadische Künstler Marcel Dzama verantwortlich zeichnet, der ja unter anderem auch schon für Beck gearbeitet hat. Das surreale Cover sei eine Anspielung auf das, was ungesagt bleibt, was unter der Oberfläche liegt – auf den absurden und fantastischen Alltag, in dem wir leben, in einer Gesellschaft, in der sowohl alles als auch nichts möglich ist, heißt es dazu seitens der Band.
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Das Artwork sollte hier allerdings beileibe nicht der einzige Kaufgrund sein. Denn auch inhaltlich ist die neue Platte der einstigen Post-Punk-Sensation überaus gelungen. Die Kapelle um Frontmann Charlie Steen zeigt sich reif, offen, spiel- und experimentierfreudig. Und vor allem: mutig.
Durch Krisen gegangen
Keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, durch welche Krisen die Gruppe schon gegangen ist. 2018, rund um die Veröffentlichung ihres Debüt-Albums “Songs of Praise”, standen Shame an der Spitze einer sich wandelnden Szene, die die Underground-Musiklandschaft in Großbritannien veränderte. Dann erlitt Charlie Steen Panikattacken, die zur Absage einer Tour führten. Zum ersten Mal, seit sie von den kleinen Pub-Bühnen im Süden Londons geholt und in die Berühmtheit katapultiert wurden, wurden Shame damit konfrontiert, zu was die Band gewachsen war. Diese Ära, in der man gezwungen ist, die Realität und den Schrecken, der mit der eigenen Person einhergeht, zu ertragen, sollte Shames zweites Album “Drunk Tank Pink” (2021) formen. „Food for Worms“ ist jetzt, wenn man so will, das Reifezeugnis.
Die Wiederentdeckung von dem, was sie anfänglich überhaupt daran liebten in einer Band zu sein, brachte sie dazu, das Album nach einem Fehlstart während der Pandemie zu machen. Ihr Management stellte sie dann vor eine Herausforderung. Man könnte auch sagen: Es machte Druck. Innerhalb von drei Wochen sollten Shame zwei intime Konzerte spielen und dabei zwei Sets mit völlig neuen Songs vorstellen. Das bedeutete, dass die Band zu derselben Ideologie zurückkehrte, die sie überhaupt erst in diese Höhen katapultiert hatte: die Liebe zum Live-Spielen unter eigenen Bedingungen, angespornt durch ihr Publikum. So entstand „Food for Worms“ schneller als alles, was die Band zuvor geschaffen hatte. Die Band nahm das Album auf, während sie auf Festivals in ganz Europa spielte, beflügelt von den Reaktionen, die ihr neues Material hervorrief.
Weg vom Post Punk
Das Album klingt dabei anders als all das, was man von der Combo gewohnt ist. Shame haben den Post Punk hinter sich gelassen, klingen jetzt melodischer, zugänglicher, auch wenn man zum Glück nicht alle Kanten abgeschliffen hat. Von Lou Reed und, ja, Blumfeld habe sich die Band inspirieren lassen, sagt sie. Und dann half Produzent Flood (Nick Cave, U2, PJ Harvey, Foals) bei der Umsetzung ihrer musikalischen Idee. Entstanden ist eine Platte, die so einige Highlights zu bieten hat. Der Opener „Fingers of Steel“ ist direkt so einer, kann man sich gut auf Festivals vorstellen. Auch das treibende „Six-Pack“ gehört dazu oder das beinahe schon süßliche „Orchid“ mit seinen Akustikgitarren.
Beim Albumtitel schwingt eine gewisser morbider Charme mit, tatsächlich ist das Album auch etwas melancholisch. Aber es feiert andererseits auch die Freundschaft. Es ist eine Dokumentation der Dynamik, die nur fünf Menschen teilen können, die zusammen aufgewachsen und – allen Widrigkeiten zum Trotz – eng zusammengewachsen sind. Zum ersten Mal ist die Band nicht in sich gekehrt, sondern versucht, die Welt um sich herum zu erfassen. „Ich glaube nicht, dass man ewig in seinem eigenen Kopf sein kann“, sagt Sänger Charlie Steen. Bei einem Gespräch mit einem Freund nach einem ihrer Auftritte kam ihm ein abschweifender Gedanke, den er festhielt: „Es ist seltsam, nicht wahr? In der populären Musik geht es immer um Liebe, Liebeskummer oder um sich selbst. Es gibt nicht viel über deine Kumpels.”
Übrigens: Im März kann man die Band auch live in Deutschland erleben. Termine anbei.
Termine
26.03.2023 – München – Technikum
27.03.2023 – Berlin – Festsaal Kreuzberg
28.03.2023 – Hamburg – Markthalle
04.04.2023 – Köln – Gloria
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