Es wird weiter im Katalog von PJ Harvey gestöbert: Mit „White Chalk“ erfährt nun das siebte Studioalbum (2007) der großartigen Polly Jean eine Wiederveröffentlichung auf Vinyl. Begleitet wird diese Reissue-Ausgabe auch von einer Vinyl-Ausgabe der dazugehörigen Demos.
Wer sich mit dem Schaffen von PJ Harvey auseinandersetzt, dem fällt vor allem eines auf: Die Frau hat ständig Lust auf Veränderung. Auf etwas Neues. Da ist sie rastlos. Auf zwei Alben back to back den selben Stil fahren? Ist nicht. Die Musikerin aus dem britischen Bridport (Dorset) liebt es, sich und ihre Hörer zu überraschen und herauszufordern.
anzeige
Die Arbeiten an „White Chalk“, Polly Jeans Studioalbum Nummer sieben, begannen bereits im Jahr 2006. Nach dem rohen Sound des Vorgänger-Machwerks „Uh Huh Her“ stand ihr auch diesmal wieder der Sinn nach Veränderung. PJ went gothic. „White Chalk“ sollte ein deutlich ruhigeres, ja, geradezu unheimliches Album werden, bei dem vor allem das Klavier als Hauptinstrument im Fokus stehen sollte. Und das, obwohl PJ bis dato gar nicht als ausgewiesene Pianistin galt. Im Gegenteil. Sie musste sich das Klavierspiel für das Album sogar eigens drauf schaffen, wie sie damals im Gespräch mit „The Wire“ verriet.
Tasten statt Saiten: PJ Harvey geht fremd
Das Instrument ist nicht aus einer Sektlaune heraus gewählt. Nein, es passt vielmehr perfekt zum eigentlichen Thema des Albums: der Zeitlosigkeit. Von ihr ist auch der Albumtitel „White Chalk“ inspiriert, wie PJ Harvey seinerzeit in einem Interview „The Sun“ zu Protokoll gab: „Kreide kann Millionen von Jahren alt sein, aber in Sekunden verschwunden.“ Der eine oder andere Hörer dachte zuvor, „White Chalk“ würde sich auf den Uznamen ihrer Heimat Dorset beziehen, lebt die Region doch unter anderem vom Kreideabbau.
Fünf Monate lang bastelte Harvey mit ihren Kollaborateuren Flood, John Parish und Eric Drew Feldman an der neuen Platte; auch Jim White von Dirty Three war mit am Start. Das Ergebnis: elf Songs, so radikal anders und so unheimlich verzaubernd, dass es einem einen Schauer über den Rücken jagen konnte. PJs Stimme schraubt sich bei diesen überaus düsteren Tracks in bisher unbekannte Höhen, es darf dabei schief, brüchig werden. Man hört Schmerz, viel Schmerz. Ehrlichen Schmerz. Erinnert ein bisschen an die frühe Kate Bush. Das Ganze wirkt so ungeheuer intim und klaustrophobisch, dass es einen fast erschreckt. Besonders hervorzuheben: der Titelsong „White Chalk“, aber auch die Single „When Under Ether“.
Diese krasse Abkehr vom gewohnten, gitarrenbasierten Rocksound brachte Harvey viel Kritikerlob ein. Im UK landete die Platte auf Platz elf der Album-Charts, hierzulande auf Platz 54. Dem Mainstream hat es die Gute nie leicht gemacht, sie zu umarmen. Erst recht nicht mit diesem Album.
anzeige