Geduld ist eine Tugend. In dieser konnten sich am Montag 7500 Fans in der Mannheimer SAP-Arena üben, als sie lange auf Lenny Kravitz warteten. Der Mann entschädigte mit einer fulminanten Show.
Axl Rose war berüchtigt dafür, die Fans schmoren zu lassen. Als sich Metallica-Frontmann James Hetfield im August 1992 in Montréal böse Verletzungen bei einem Pyro-Unfall zuzog und Guns N’ Roses übernehmen sollten, ließ sich Rose zweieinhalb Stunden Zeit, ehe er die Bühne betrat. Weil dann später auch noch Stimme und Technik streikten, kam es zum Aufstand. In der kanadischen Stadt richteten die Konzertbesucher Verwüstungen an. Madonna wurde von ihren Fans sogar verklagt, nachdem die Popikone es Ende 2023 gewagt hatte, jedes ihrer drei Konzerte im New Yorker Barclays Center mit zweistündiger Verspätung zu beginnen.
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Mannheim und die SAP-Arena blieben heil, und geklagt hat am Ende wohl niemand. Dennoch hat Lenny Kravitz die Geduld seiner Anhänger am Montag auf eine Zerreißprobe gestellt. Auch der US-Musiker ließ die Fans warten. Kurz nach acht Uhr war die Vorband durch, kurz nach neun legte Lenny los. Eine viel zu lange Pause, offenbar vorab auch schlecht kommuniziert. Erst als das Publikum das Warten lautstark mit Pfiffen und Buh-Rufen quittierte, ging plötzlich das Licht aus – und Lenny wurde aus dem Bühnenboden gefahren.
Lenny und das Konzept „Zeit“
Vielleicht ist der 60-jährige US-Superstar auch mit dem Konzept „Zeit“ einfach nicht vertraut. Denn sie ist ja auch irgendwie spurlos an ihm vorbeigegangen. Ein Umstand, der der englischen „Times“ neulich ein Artikel wert war. „How does the rock god still look this hot?“, titelte sie, und führte den Fitnesszustand des Amerikaners auf eine vegane Ernährung, tägliche Workouts (manchmal um 2.30 Uhr morgens) und einen gesunden Sinn für Selbstwert zurück. Und die Horden bewundernder Fans, für die der Mann sein Image aufrecht erhalten will. „Wir wollen deinen Körper sehen“, schallte es Kravitz während des Konzerts in Mannheim aus den vorderen Reihen entgegen. „Meinen Körper“, fragte Kravitz nur halberstaunt und grinste. „Dann würde das Ticket zehn Euro mehr kosten.“
So wenig Motivation zunächst da war, die Bühne der SAP-Arena zu betreten, so sehr war sie dann bei der Show selbst zu spüren. Kravitz und Band waren in Höchstform. Die Show startete nicht nur mit einem Pyroknall, sondern auch musikalisch direkt druckvoll. Mit „Bring it On“ und „Minister of Rock ’n Roll“ leitete Kravitz in den Abend ein. Die Songzeilen „You can call me / You know I’ll be right there“ wirkten angesichts der Wartezeit zuvor etwas zynisch, aber solche trotzigen Gedankenspiele waren dann mit zunehmender Konzertdauer auch vergessen. Wer so spielt, wer so singt und performt, dem kann man einfach nicht lange böse sein.
Neues Album überzeugt
Den ersten Hitblock gab es schon recht früh. Mit „Always on the Run“, „I Belong to You“, „Stillness of Heart“ und „Believe“ hatte Kravitz sein Publikum im Sack. Statt Pfiffen nun Partylaune. So viel Nostalgiezucker am Stück bereitet das Publikum bei Konzerten meist auf einen Block mit neueren Songs eines Künstlers vor, und so war es natürlich auch bei Lenny Kravitz. „TK421“ hatte er schon am Anfang rausgeblasen, jetzt aber folgten „Honey“ und „Paralyzed“, zwei Lieder aus seinem jüngsten Album „Blue Electric Light“, das im Mai 2024 erschien. Die Platte war mal wieder ein musikalisches Lebenszeichen von Kravitz, das Vorgängeralbum „Raise Vibration“ erschien stolze sechs Jahre zuvor und blieb auch nur im Gedächtnis, weil Kravitz für den Song „Low“ Vocals von Michael Jackson verwendete.
„Blue Electric Light“ war hingegen mal wieder ein Kravitz-Album, wie man es sich wünschte. Vielseitig, sehr funky, erfrischend unbeschwert. Die Platte erhielt gute Kritiken, und das völlig zurecht. Natürlich hatten die neuen Songs in Mannheim nicht denselben Eindruck auf die Zuhörer wie die alten Hits, dennoch bestand das frische Material den Livetest. Das ebenso schleppende „Paralyzed“ atmete den Geist 70er-Jahre. Die Ballade „Honey“ kam dagegen eher sanft und sexy daher, ein Moment zum Durchschnaufen.
Das letzte Drittel gehörte dann wieder den Hits. „The Chamber“, „It Ain’t over til It’s Over“, „Again“, „American Woman“, „Fly Away“, „Are You Gonna Go My Way“ – alles dabei. Gänsehaut. Eine Zugabe packte Kravitz dann auch noch drauf. Und fast hatte man das Gefühl, die verlorene Stunde vom Anfang würde er zur Wiedergutmachung in eine epische, überlange Version von „Let Love Rule“ investieren. Inklusive Ehrenrunde durch die Arena. Das Publikum: aus dem Häuschen. Und nein, in Klagelaune war am Ende keiner. Warterei hin oder her.
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