Ob es darüber ein Buch gibt – über die Kunst, das Publikum zu erziehen? Vermutlich gibt es darüber ein Buch, ein Lehrbuch gar, und Katzenjammer haben es mit Sicherheit gelesen. Sie haben wohl auch alle anderen wichtigen Lehrbücher über Pop und Entertainment gelesen. Und verstanden. Findet Juni Huber, die der Band im Mannheimer Maimarktclub zuhörte.
Auf jeden Fall beherrschen Katzenjammer neben vielem anderem die Kunst, die Leute so warten lassen, dass sie eben gerade noch nicht wütend sind und die Dankbarkeit überwiegt, weil es endlich losgeht. Am Anfang des Auftritts von der Band steht noch die Frage, ob die sowas absichtlich machen, ob es womöglich kalkuliert ist. Am Ende steht die Überzeugung: Yepp. Gehört alles zur Show. Auch Anheizerin Ine Hoem, die mit ihren schönen leisen Folkpop-Songs alles macht, nur nicht heizt, damit keine nenneswerte Konkurrenz zum Hauptact darstellt, und die ich bitte an einem wesentlich kleineren Veranstaltungsort mit einem wesentlich konzentrierteren Publikum nochmal sehen möchte, passt durchaus ins Bild.
Sie ist ebenso freundlich wie unenthusiastisch verabschiedet worden. Was dann endlich losgeht, ist eine beispielhafte Hitmaschine. Nicht dass die vier Musikerinnen aus Norwegen dauernd Hits im Sinne des ganz großen Popzirkus hätten, doch Hits im Sinne von Treffern, von Tönen und Melodien, die einfach sitzen. Die Mitwirkenden sind hochklassige und umfassend ausgebildete Entertainerinnen und tauschen ganz nebenbei untereinander ihre Instrumente aus, Schlagzeug, Bass(-Balalaika), allerlei Zupf- und Tasteninstrumente, darunter ein ulkiges pinkes Spielzeugpiano, das charakteristische Glockentöne von sich gibt … der Qualität des Vortrags tut das gar nichts an. Sehr beeindruckend.
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Was Katzenjammer auch sehr gut können: singen. Dabei ist es von Vorteil, dass keine der vier Stimmen wirklich heraussticht. So werden die mehrstimmigen Sätze zu einem organischen Instrument. Das klingt dann eher wie eine Stimme, die mehrere Tonlagen gleichzeitig singt. Der Effekt ist besonders schön bei “On The Devil’s Back”, das den donnernden Abschluss des Hauptsets bildet, mit seiner weit gespreizten Harmonik im Intro. Die Sängerinnen scheinen dabei in heisere Bass-Tiefen vorzudringen. Ob mit elektronischer Hilfe oder nicht – es klingt jedenfalls ziemlich geil.
Die schmissige Mischung, die die Band auf diese Weise fertigt, garantiert für brodelnde Hallen, auch in Mannheim. Mit der neuen Platte “Rockland” haben sie das Kunststück fertig gebracht, sowohl mehr Folk als auch mehr Rock’n’Roll in ihre Musik einzubeziehen. Es wird natürlich wieder getanzt, Polka, Walzer, Pogo und noch einiges mehr, es ist wieder laut und hart und harmonieverliebt und krallenbewehrt zärtlich, es knarzt und scheppert und glitzert dunkel in den Ecken und Fugen. Das neuere Material kommt live präzise und nahezu in Studioqualität, die älteren Titel werden mit dem gebührenden Überschwang dargeboten. Solveig erzählt Geschichten, zum Beispiel über die Entstehung des sehr schönen und fröhlichen neuen Songs “Lady Grey”, den sie für eine musikliebende Alzheimer-Patientin schrieb, die sie kennen lernte, als sie noch als Pflegerin arbeitete. Überhaupt läuft die Kommunikation mit dem Publikum natürlich lehrbuchmäßig, falls es für sowas ein Lehrbuch gibt: Aufforderung zum Mitklatschen schon bei Song Nummer drei, dazu regelmäßige Koketterien mit bruchstückhaften Kenntnissen der Landessprache. Das gibt einen Sternchenstempel ins Klassenbuch.
Fast ein bisschen schade, dass “Come Together” nur zum Intro des größten Katzenjammer-Hits “A Bar in Amsterdam” zweckentfremdet wird – mit dem Wissen um die Existenz des lustigen Genesis-Covers “Land of Confusion” (das es im Zugabenset auch zu hören gibt) wecken die ersten Töne des Beatles-Klassikers schon die schönsten Hoffnungen. Doch Katzenjammer sind ja mit ihrem eigenen Latein noch lange nicht am Ende. Auch wenn die “Rockland”-Songs für Katzenjammer-Verhältnisse an diesem Abend nur verhalten aufgenommen werden – ein typisches Schicksal aktueller Platten, wenn die Vorgänger mindestens ebenso für Hausabriss-Parties taugten. Es wird zweifellos ins Programm künftiger Shows einsinken, das Zeug dazu hat es.
Da die Band die althergebrachte Anordnung bevorzugt, neues Zeug zuerst, dann die Klassiker, scheint das Konzert nach rund anderthalb Stunden und “On the Devil’s Back” ein bisschen unvermittelt abzubrechen. Wie denn, schon vorbei? Natürlich nicht, denn sie kommen für das übliche zusätzliche halbe Stündchen zurück, inklusive “Lady Marlene” und dem schon erwähnten “Land of Confusion”.
Und was noch? Es war zu laut. Das ist in diesem Fall besonders schade, denn heutige Bühnentechnik kann mehr, und sie steht einem Act dieser Größenordnung durchaus zu Gebote. Einem an Präzision und Enthusiasmus kaum zu übertreffenden Klanggebilde wie Katzenjammer wäre es zu wünschen, dass seine Töne entsprechend differenziert wiedergegeben werden und nicht nach dem Prinzip “viel hilft viel”. Dass auch das Licht nervte, weil ständig irgendein Effekt bewusst mitten ins Publikum strahlte und zu dem Wunsch nach Ohrstöpseln bald auch der nach einer Sonnenbrille hinzukam, half da leider kein bisschen. Dabei hat sich die Band (oder vielleicht auch irgendwer von der Plattenfirma) ein sehenswertes, an das Artwork der aktuellen Platte angelehntes, durch das Spiel mit Projektionen, Licht und Schatten sehr facettenreiches Bühnenbild ausgedacht. Aber vermutlich ist auch die leichte Überforderung in Klang und Optik eben Teil eines bestens durchdachten Konzepts. Der müßigen Frage ausweichend, wie weit Authentizität im Pop überhaupt reichen muss, fallen Katzenjammer in die Kategorie “sieht authentisch genug aus”. Und ein paar Tausend sich bestens unterhalten Fühlende fragen zurecht: So what? Die Band würde das vermutlich genauso sehen.
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