Protest, aber gediegen: Wenn Selig-Frontmann Jan Plewka mit seinem Liederabend „Wann, wenn nicht jetzt?“ Rio Reiser und Ton Steine Scherben huldigt, trifft Subversivität auf ein Theaterpublikum im gemütlichen Polstersitz, mit Weinglas in der Hand. Von ihrer Aktualität haben die Songs indes nichts verloren.
Die Bühne brennt bei Jan Plewka nur im übertragenen Sinne. Das ist vielleicht der große Unterschied zwischen seinem Rio-Reiser-Tribut-Abend und einem Konzert von Ton Steine Scherben, damals, in den frühen Siebziger Jahren. Da konnte die Bühne (und das Büro des Veranstalters) ja auch mal ganz buchstäblich brennen. Und aus Jan Plewkas Entourage ging auch niemand umher, um Tische mit dem Handbeil zu zerlegen, so wie es einst Ton-Steine-Scherben-Manager Nikel Pallat in einer TV-Show machte. Der Rahmen, in dem Plewka die Musik der Scherben und Rio Reisers präsentiert, ist ein anderer. Im Mannheimer Capitol gleichen die Zuschauer eher einem Theaterpublikum, und die Art und Weise, wie Plewka den Abend inszeniert, die ständigen Kostümwechsel, passen auch dazu.
anzeige
Für Jan Plewka, Jahrgang 1970, seines Zeichens Frontmann der Rockband Selig, ist Rio Reiser ein Idol. Auf die Idee, ein Programm um Reiser und die Scherben zu bauen, kam aber ein anderer. Der damalige Intendant des Deutschen Schauspielhauses, Tom Stromberg, wollte 2005 eine Rio-Reiser-Hommage auf die Bühne bringen – und klopfte zu diesem Zweck bei Jan Plewka an. Der zierte sich zunächst, ließ sich aber dennoch überreden. Zur Premiere seien dann Rio Reisers Brüder und die übrig gebliebenen Scherben (Reiser selbst verstarb viel zu früh im Jahr 1996) erschienen – und seien von Plewkas Performance überzeugt gewesen.
„Das System hat sich nicht verändert“
Seither tourt Plewka mit den Reiser-Songs immer wieder durch die Lande. Es ist keine Revue mit Songs von gestern. Die Lieder sind (leider) immer noch inhaltlich relevant, gewinnen sogar an Relevanz, wenn man sich die politische Gemengelage so anschaut. „Wir sind ja auch mit der Tour durch soviele Krisen, Weltkrisen, gefahren. Die Lieder werden ja leider immer aktueller, weil sich das System nicht verändert hat. Es ist ja eigentlich alles schlimmer geworden. Und wenn du da stehst und singst „Ich hab’ geträumt, der Krieg ist vorbei“ – deshalb kommen die Leute auch seit anderthalb Jahrzehnten in die Clubs und die Theater. Um Rios Botschaft zu hören. Ich denke auch, dass seine Lieder gerade in diesen Zeiten leben wollen“, sagte Plewka mal der „Kreiszeitung“.
Das Konzert in Mannheim findet am Tag nach dem Dammbruch im Bundestag statt, dem Tag nach dem „Asyl-Knall“, wie er in den Medien genannt wurde. In „Macht kaputt was euch kaputt macht“ bekommen bei Plewka daher auch CDU und AfD ihr Fett weg. Ein kleiner textlicher Tweak, und die Scherben sind voll in der Gegenwart angekommen.
Platz für Humor
Doch auch wenn viele Songs dunkel und hart sind, ist in der Show auch Platz für Humor. Die silberfarbenen Spandex-Anzüge. Masken in Augen-Formen. Die Performance des „Shit-Hits“. Comic relief, ein durchaus willkommener Kontrast zur Wut, die sich sonst im Set Bahn bricht. Das Konzept funktioniert auch, weil Plewka Reiser nicht auf einen Sockel stellt. Übrigens auch nicht, in dem er versucht ihn zu kopieren. Plewka ist Plewka, keine Epigone, er versucht nicht Reiser zu imitieren. Er singt dessen Songs, drückt ihnen seinen Stempel auf, ohne sich am Original ungebührlich zu vergreifen. Seine Stimme ist für die Lieder ohnehin wie geschaffen, egal ob sie krachen („Menschenfresser“) oder eher zart daher kommen („Ich werde dich lieben“, „Morgenlicht“, „Ich bin müde“).
Am Ende appelliert Plewka an die Zuschauer, wählen zu gehen, Flagge zu zeigen, für die Demokratie. Welcher Partei man seine Stimme nicht geben sollte, hatte er im Konzert mehr als deutlich klar gemacht. Drei Zugaben gibt es, „Mein Name ist Mensch“, „Keine Macht für Niemand“ und: „Junimond“. Ein perfekter Abschluss für einen perfekten Abend.
anzeige