Crash Test Dummies in Chicago (foto: fiege)

Live: Crash Test Dummies in Chicago, IL

Vor 25 Jahren summten sich die Crash Test Dummies weltweit durch die Charts. „Mmm Mmm Mmm Mmm“ ging damals auch in Deutschland steil. Gerade feiert die kanadische Folk-Band den Geburtstag ihres großen Hits und des Albums „God Shuffled His Feet“ mit einer ausgedehnten Nordamerika-Tour. Am Samstag machte sie in der Old Town School Of Folk Music im Norden Chicagos Station.

Ein dritter Hoden. So begründete Crash-Test-Dummies-Frontmann Brad Roberts mal in einem Interview, warum seine Stimme so tief sei. Ist natürlich kompletter Unfug und war einfach nur eine genervte Replik auf eine bescheuerte Reporter-Frage. Aber: Die Fabel hält sich bis heute hartnäckig. Er versprüht aber auch eine gewisse Magie, dieser unverwechselbare Bariton des kanadischen Singer-Songwriters. Eine Magie, der man sich nur schwer entziehen kann.

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1993 gab es auch kein Entkommen vor diesem bemerkenswerten Organ – und eben diesem Summen. „Mmm Mmm Mmm Mmm“ war ein Welthit, wie er unwahrscheinlicher nicht sein konnte. Ebenso eingängig wie bizarr. Jede Strophe verhandelt das Leiden eines Kindes, das ausgegrenzt wird. Wie etwa das eines Jungen, dessen Haarfarbe sich nach einem schweren Autounfall von Schwarz in Weiß verwandelt. Oder das eines Mädchens, das sich beim Schulsport nicht mit ihren Klassenkameradinnen umziehen mag, weil ihr Körper mit Muttermalen übersät ist. Die Lyrics hinderten den Käsehersteller Leerdammer wenige Jahre später trotzdem nicht daran, seine Produkte in einem TV-Spot mit dem Song zu bewerben. Es sollte der Band recht sein. „Der Song ist unser Moneymaker“, so Roberts, als er die Nummer an diesem Abend in Chicago vor ausverkauftem Haus anstimmte.

Es war leider auch der einzige Moneymaker der Kanadier, obwohl die Band seit ihrer Gründung im Jahr 1988 insgesamt neun Studioalben veröffentlicht hat. Das bis dato letzte, „Oooh La La!“, erschien 2010. Keine dieser Platten hatte auch nur annähernd den Erfolg von „God Shuffled His Feet“. Auch weil sich Roberts und seine Kollegen den Spielregeln des Musikgeschäfts nie so wirklich beugen und immer ihr eigenes, gerne auch mal völlig absurdes Ding machen wollten. Es kam wie es kommen musste: Mitte der Neunziger Jahre überwarfen sie sich mit ihrer damaligen Plattenfirma und veröffentlichten ihre Musik fortan auf eigene Faust. Seit 2001 war die Band aber mehr oder weniger ein Soloprojekt von Brad Roberts, der seine alte Crew nur hier und da mal für Aufnahmen oder Touren mit ins Boot holte.

Und so ist es schon eine kleine Sensation, dass nach 17 Jahren wieder (fast) alle Dummies gemeinsam auf der Bühne stehen: Neben Brad sind das sein Bruder Dan Roberts (Bass), Drummer Mitch Dorge und natürlich Ellen Reid, die mit ihrer engelsgleichen Stimme einen wunderbaren Gegenpol zu Brads Bariton bietet. Einzig Gitarrist Benjamin Darvill, der mit Son Of Dave ein leidlich erfolgreiches Soloprojekt am Start hat, ist nicht mehr mit von der Partie. Ihn ersetzt der ebenso talentierte Stuart Cameron, ein Gitarrist aus Toronto, auf den Roberts schon seit mehreren Jahren immer wieder zurückgreift.

An diesem Abend in Chicago, dem zweiten Stopp auf der US-Tour der Band, stand vor rund 400 Zuhörern vor allem das Album „God Shuffled His Feet“ auf dem Programm, das die Crash Test Dummies in Gänze präsentierten. Garniert mit ein paar Best-Of-Perlen, darunter natürlich „Superman’s Song“, und neueren Nummern wie „Hearts Of Stone“ oder „Songbird“. Zurück zu „God Shuffled His Feet“: „Mmm Mmm Mmm Mmm“ hat man immer noch präsent, klar, der eine oder andere wird sich vielleicht auch noch an „Afternoons And Coffeespoons“ erinnern. Die meisten anderen Nummern des Albums sind aber in Vergessenheit geraten. Und das völlig zu Unrecht. Auf der Platte spielen die Dummies ihre ganze Stärke aus, sind mal tiefsinnig („God Shuffled His Feet“), mal humorig („Swimming In Your Ocean“) oder melancholisch („I Think I’ll Disappear Now“) unterwegs. Die Songs gehen heute auch immer noch klar – und sie funktionieren auch live immer noch fantastisch. Das Publikum? Gut aufgelegt. Und vor allem: textsicher. „Früher fand ich das immer merkwürdig, wenn die Leute jede Zeile eines Songs mitgesungen haben. Die ließen mich immer schlecht aussehen, weil ich den Text gerne mal vergesse. Heute bin ich dankbar dafür, dass es Leute wie euch gibt, die mir im Notfall soufflieren“, so Roberts zu einem besonders stimmgewaltigen Fan in der ersten Reihe. Der Notfall sollte an diesem Abend aber nicht eintreten. Roberts war – ebenso wie der Rest der Band – in guter Form.

Für ein besonderes Glanzlicht des Abends sorgte aber Ellen Reid, die nicht nur einen Titel aus ihrem 2001 veröffentlichten Soloalbum performen durfte (sowie natürlich auch „The Ballad Of Peter Pumpkinhead“), sondern überraschend auch „My Own Sunrise“ aus dem 1996er Album „A Worm’s Life“, das sonst eigentlich von Roberts dargeboten wird. „Ich habe Brad seit 20 Jahren bekniet, den Song mal live singen zu dürfen, weil ich ihnen für einen unserer schönsten halte“, so Reid. Zum Glück hat der Gute auf seine kongeniale Bühnenpartnerin gehört. Reids Performance ging unter die Haut, die Nummer war in der Variante fast sogar stärker als das Original.

Am Ende: Überall zufriedene Gesichter. Auf der Bühne und im Publikum. Ein wieder festsitzender Ohrwurm. Und wer weiß, vielleicht summen die Crash Test Dummies ihren Welthit ja 2019 auch wieder auf europäischen Bühnen. Es wird Zeit. Mmm Mmm Mmm Mmm.

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