Tonbandgerät werden volljährig. Zumindest als Band. Die Mitglieder der Hamburger Indie-Pop-Kapelle sind selbst mittlerweile in den Dreißigern. Was das mit dem neuen Album zu tun hat, darüber hat Benjamin Fiege mit Ole Specht, Sophia Poppensieker und Jakob Sudau gesprochen. Außerdem ging es um den Rechtsruck in der Gesellschaft und den Gig in Kaiserslautern.
Seid ihr gut ins neue Jahr gekommen?
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Sophia: Ich hatte Corona!
Ole: Ich war auch viel krank. Wir mussten alle runterschalten. Aber es ist ein gutes Omen, vor der Tour krank zu sein. Dann ist das Immunsystem immerhin richtig gestärkt.
Das letzte Jahr endete mit der Veröffentlichung eures neuen Albums „Ein anderes Leben“. Seid ihr zufrieden mit der Resonanz?
Ole: Sehr zufrieden. Es ist das erste Album, das wir komplett selbst in der Hand hatten. Ohne Label im Hintergrund. Das war für uns aufregend, es ist eine Herausforderung. Aber am Ende war es ein tolles Gefühl, als dieses Album dann rauskam. Wir haben auch viele positive Nachrichten bekommen.
Lest ihr denn Kritiken?
Sophia: Wir lesen sie schon! Bei den guten macht es ja auch Spaß.
Ole: Auch die schlechten gehören dazu. Am Anfang sind sie mir sehr nah gegangen, aber ich habe mittlerweile gelernt, damit umzugehen.
Plötzlich independent
Wie kam es eigentlich dazu, dass ihr es jetzt ohne Label versucht? Ihr hattet ja schon ein paar Label-Wechsel hinter euch. Wurde euch zu viel reingequatscht?
Sophia: Es ist nicht so, dass es einen großen Streit gab. Aber es gab doofe Zeiten. Uns wurde bei verschiedenen Labels viel erzählt uns wurden auch immer wieder Dinge versprochen. Jetzt haben wir entschieden: Wir machen es einfach selbst, wir entscheiden, welche Single, welches Cover, ohne jede Kleinigkeit in 30 Schleifen mit zehn Leuten abstimmen zu müssen.
Ole: Es hat etwas Befreiendes. Und es gibt Selbstbewusstsein, wenn man merkt, dass man es alleine schaffen kann.
Sophia: Wobei wir natürlich das Glück haben, schon auf etwas aufbauen zu können.
Wie hat sich die Arbeit mit dieser neuen Freiheit denn angefühlt? Das kann ja auch überfordern.
Ole: Mehr Freiheit hieß auf jeden Fall nicht mehr Zeit. Denn wir mussten alles selbst bezahlen. Daher haben wir die Zeit im Studio bewusst gefüllt. Mit Felix Gerlach hatten wir einen sehr guten Produzenten am Start.
Zwischen dem neuen Album und dem Vorgänger liegen sechs Jahre. Eigentlich sollte die neue Platte schon 2020 rauskommen, dann kam die Pandemie dazwischen. Wie unterscheidet sich die neue Platte also von der ursprünglichen Idee?
Ole: Fundamental! Wenn ich mir die Demos von 2019, 2020 anhöre, hat das wenig mit dem zu tun, was jetzt erschienen ist. Weil es eine ganz andere Zeit für uns war. 2019 war mit das erfolgreichste Jahr für die Band, wir spielten im riesigen Hamburger Stadtpark, vor fast 3000 Leuten. Wir dachten: Es wird alles immer größer, Schritt für Schritt. 2020 war für die ganze Branche, auch für uns, dann ein doller Bruch. Klar, dass dann andere Songs entstehen.
Sophia: Ein bisschen hört man es in den EPs, die in der Zwischenzeit erschienen. Ich glaube, die angedachte 2020er Platte wäre nicht mein Lieblingsalbum von uns geworden. Bei dem neuen Album meinen wir jetzt jeden Song ernst, die Lieder haben alle etwas mit uns zu tun.
Viele setzen ja heute nur noch auf EPs oder Singles …
Jakob: Wir hatten unter dem Eindruck der Pandemie mit dem Gedanken gespielt, weil kein Touren möglich war. Aber jetzt fühlt sich ein echtes Album total richtig für uns an. Und die Fans freuen sich, ein Album können sie richtig in den Händen halten, eine EP wird ja oft nur digital veröffentlicht.
Ole: Ein Album hat immer noch einen anderen Wert. Die EPs hatten uns aber in der Pandemiezeit bei der Stange gehalten, uns in der ganzen Unsicherheit ein Ziel gegeben. Insofern waren sie wichtig für uns.
Personelle Wechsel
2022 ist eure Bassistin Isa Poppensieker von Bord gegangen. Stand die Band da auf der Kippe?
Sophia: Es war für uns traurig. Coronabedingt lief das damals über Skype. Nach dem Gespräch haben wir drei nochmal gesprochen und abgecheckt, ob wir zu dritt weitermachen wollen. Da das klare „Ja“ von allen zu hören, hat uns noch mal Aufwind gegeben.
Die neue Platte heißt „Ein anderes Leben“. Was soll der Titel ausdrücken?
Ole: Ein Song auf dem Album heißt so, und er ist ein guter Stellvertreter für das große Thema des Albums. Es geht um die vielen großen und kleinen Veränderungen bei uns in den letzten Jahren. Wir sind jetzt Mitte 30, das ist eine Lebensphase, in der wahnsinnig viel passiert. Alles wird neu verhandelt, auch die Beziehungen zu Freunden verändern sich.
Ein Song, der heraussticht, ist „88 Luftballons“. Dem liegt eine wahre Begebenheit zugrunde …
Ole: Ja, vor zwei Jahren hatte ein Nazi in einem Kindergarten im thüringischen Sonneberg Luftballons verteilt. Pervers! Die Geschichte hat uns damals wahnsinnig schockiert.
Sophia: Wenn man sieht, wo wir jetzt zwei Jahre später stehen, erscheint die Story einem fast schon klein. Es ist schlimm, wie schnell sich die Dinge gerade ins Negative entwickeln. Das gesellschaftliche Klima ist ein anderes.
„Der Ton ist rauer“
Ihr seid schon immer politisch unterwegs gewesen, engagiert euch etwa für ProAsyl. Merkt ihr ganz direkt, wie sich das gesellschaftliche Klima dreht?
Ole: Der Ton ist deutlich rauer geworden. Mit „88 Luftballons“ etwa sind wir in einen rechten TikTok-Strudel geraten, wurden von irgendwelchen Rechten dann mit bösen Kommentaren überflutet. Bedroht wurden wir auch.
Jakob: Es war das erste Mal, dass wir mit einem Song direkt ein politisches Thema angesprochen haben. Unser politisches Handeln hat sich sonst eher auf das Drumherum bezogen. Von daher war spannend zu sehen, was das auslöst.
Das hindert euch aber nicht daran, weiter Haltung zu zeigen?
Ole: Ich habe nicht damit gerechnet, wie sehr mich das trifft, es war schon sehr eigentümlich, wenn man da persönlich so angegangen wird. Ich habe mich unwohl gefühlt. Aber das ging vorbei. Und es hält uns sicher nicht davon ab, uns weiter zu positionieren.
Ist das die eigentliche Aufgabe von Künstlern: Einfach Haltung zeigen?
Ole: Ich denke schon. Es ist doch das Ziel eines Künstlers, seine Sicht auf die Welt in seiner Kunst abzubilden. Man schaut auf das Innen- und das Außenleben und macht etwas daraus. Ein Bild, ein Buch oder ein Musikstück. Da kann ich das Politische nicht ausklammern, vor allem nicht dann, wenn ein so starkes Gefühl damit verbunden ist.
Sophia: Kunst hat immer eine Verantwortung. Aber: Wenn das Politische einen Künstler wirklich nicht bewegt, dann muss er sich auch nicht positionieren.
Wo holt ihr euch jetzt, vor der Bundestagswahl, euren Optimismus her?
Sophia: Ich habe ihn, weltpolitisch gesehen, gerade nicht. Auch wenn ich glaube, dass die meisten Menschen gute Absichten haben und das, was da gerade passiert, nicht wollen.
Jakob: Es ist einfach wichtig, im Diskurs zu bleiben, Dinge zu hinterfragen, zu zeigen, dass vieles gerade nicht normal ist.
Eskapismus oder Apokalypse-Verstärker
Zu was für Musik greift ihr denn selbst in solchen düsteren Zeiten? Eher Apokalypse-Verstärker oder Eskapistisches?
Sophia: Ich höre gerade gerne „Labour“ von Paris Paloma. Das wird in den sozialen Netzwerken viel genutzt, um gegen die Trump-Regierung zu demonstrieren. Ein sehr feministischer, kämpferischer, aber auch vereinender Song. Der macht mich gerade ein bisschen glücklich.
Ole: Wenn mich der Weltschmerz kriegt, greife ich eher auf ältere Songs zurück. Bei mir ist es gerade das Peter Licht-Album „Melancholie und Gesellschaft“. Das erinnert mich an eine Zeit, in der es mir gutging und ich weltpolitisch nicht dieses „Hilfe, Hilfe“-Gefühl hatte.
Sophia: Obwohl da gerade Weltfinanzkrise war!?
Ole: Da war ich 18, 19 und nicht betroffen. Was haben mich da mit meinen 100 Mäusen auf dem Konto die Lehman-Brothers interessiert …
Kaiserslautern als Tour-Highlight
Von schlechten Zeiten zu guten Zeiten: Ihr kommt nach Kaiserslautern. Dem schleppenden Vorverkauf habt ihr über Social Media versucht, auf die Beine zu helfen. Da seid ihr etwa als Mark Forster verkleidet gewesen oder habt ein Gedicht für Kaiserslautern verfasst …
Sophia: Für uns jetzt schon das Highlight der Tour.
Ole: Und mittlerweile sind auch genügend Tickets verkauft, dass es schon mal ein toller Abend wird. Wir werden da jetzt auch alles auspacken, unsere ganzen Taschenspieler-Tricks aus 18 Jahren. Auch all die guten Gags, da die Leute in Lautern sie ja zum ersten Mal hören werden.
Zur Info
Tonbandgerät sind eine Indie-Pop-Band aus Hamburg. Gegründet wurde sie 2007 von den Geschwistern Isa (Bass) und Sophia Poppensieker (Gitarre) sowie Ole Specht (Gesang, Keyboard). 2010 kam Jakob Sudau als Drummer dazu. Isa stieg in der Pandemie aus, die Band existiert zur Zeit als Trio. Insgesamt sind vier Alben erschienen, zuletzt „Ein anderes Leben“ (2024). Die neue Platte bringt die Band mit zu ihrem Konzert in die Kammgarn Kaiserslautern am 28. Februar, 20 Uhr (Cotton Club). Tickets kosten im Vorverkauf ab 34,90 und sind unter anderem über reservix.de erhältlich.
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