Juse Ju (foto: V. Raeter)

Interview: Juse Ju über sein neues Album und Verschwörungstheorien im Rap

Morgen ist es soweit: Am 19. Juni 2020 erscheint Juse Jus neue Platte „Millennium“. Im Interview mit NEON GHOSTS spricht der Kirchheimer Rapper über Heimat, Verschwörungstheorien im Rap und seine Freude daran, Massig Jiggs wieder aufleben zu lassen.

Juse Ju, wie hast den Lockdown während der Corona-Krise erlebt?

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Mich haben die ganzen Beschränkungen gar nicht so krass beeinflusst, wie vielleicht andere Leute. Während der Studioarbeit bin ich eh meistens alleine. Und auch sonst mache ich viel Orga am Rechner. So richtig gemerkt habe ich es aber in der Videoentstehungsphase. Deshalb stehe ich im Video zum Song „TNT“, das im März und damit während der strengsten Lockdownphase entstanden ist, alleine in einem dunklen Raum und alles andere ist animiert. Kompliziert war es auch, die Drehgenehmigung für „Kranich Kick“ zu bekommen. Und normalerweise wäre ich für die Endabnahme des Albums zum Mischer gefahren. Das ging jetzt nicht. Ich weiß immer ziemlich genau, was ich wie machen möchten. Deshalb hing ich jeden Tag super viel am Telefon und hab gesagt: „Nein, nein, nein, guck mal, das muss da und da anders sein.“ Die Arbeit ist also eher komplizierter und mehr geworden. Das war alles sicher auch super anstrengend für die Leute, die mit mir zusammengearbeitet haben.

Auf was können sich deine Fans bei „Millennium“ denn freuen?

Ich denke, „Millennium“ ist die logische Konsequenz aus dem Vorgängeralbum „Shibuya Crossing“. Es ist wieder sehr autobiografisch. Wobei das bei mir nicht bedeutet, dass alle Songs autobiografisch sind. Auf jedem Album von mir gibt es Songs, in denen ich politisch bin oder Battlerap mache. So ist das auch bei „Millennium“.

„Habe keine Heimat im klassischen Sinne“

Wie du schon gesagt hast, sind deine Alben immer auch autobiografisch. Dein Lebensweg ist durchaus außergewöhnlich, schließlich bist du in Deutschland, Japan und den USA aufgewachsen. Was bedeutet für dich eigentlich Heimat?

Eigentlich habe ich keine Heimat im klassischen Sinne. Ich sage immer Kirchheim/Teck, weil ich da geboren bin. Und weil ich finde, dass Kirchheim etwas Unprätentiöses hat. Mich nervt es, wenn Leute sich an ihrer Heimat hochziehen. Und nichts für ungut, aber niemand zieht sich an Kirchheim hoch. Die meisten Leute wissen nicht einmal, wo das liegt oder verwechseln es mit anderen Kirchheims. Ich finde, das ist ein Ort, da haben die Leute nicht sofort ein Bild von einem vor Augen.

Gibt es denn andere Aspekte, an denen du Heimat festmachst?

Ja, meine Eltern auf jeden Fall, und dort, wo sie sind. Und für mich sind immer Orte, mit denen ich nostalgisch etwas verbinde, Heimat. Beispielsweise die Gegend rund um die Schule in Tokio, in der ich eingeschult wurde. Oder durch die Fußgängerzone in Kirchheim zu laufen. Oder zum Beispiel an der Münchner Freiheit in Schwabing rumzuhängen, wo ich sieben Jahre gewohnt habe. Da fühle ich mich zu Hause, habe viele Erinnerungen daran. Es ist also nicht per se ein Land oder eine Stadt, sondern vielmehr bestimmte Orte. Aber auch Kumpels von früher. Wir sind mittlerweile in alle Winde zerstreut, aber uns eint noch immer das gleiche Humorlevel, die gleiche Sicht auf Dinge in der Welt. Das ist Heimat.

„Habe es satt, alleine zu rappen“

Apropos Kumpels von früher. Mit deiner neuen Platte veröffentlichst du ein Bonusalbum zusammen mit deinem ehemaligen Rapkollegen Bonzi Stolle. Wie war es für dich, deine alte Band Massig Jiggs wieder aufleben zu lassen?

Das war genauso ein Nostalgietrip. Ich hatte es aber ehrlich gesagt auch einfach satt, alleine zu rappen. Und ich wollte ein Album machen, bei dem ich frei von allem bin, wie es ganz am Anfang meiner Karriere war. Mittlerweile ist Rap mein Beruf, da kann ich mich manchmal von Gedanken, wie beispielsweise etwas ankommt, nicht lösen. Hier waren es einfach wieder Bonzi und ich, wir haben den gleichen Quatsch gemacht wie mit 18. Diesen sorglosen Flavour hat das Album. Und ganz im Ernst: Es war auch voll geil,mal wieder mit jemanden zu arbeiten, der nicht in dieser Musikblase lebt, sondern einfach zero Fucks gibt.

Hört sich an, als hätte es gleich wieder geflowt.

Ja, da war ich selber ein bisschen überrascht. Ich dachte, wir gehen jetzt ins Studio und haben voll die unterschiedliche Idee, was gut ist. Ich weiß noch, als ich ihn am Südkreuz in Berlin abgeholt habe, wir über Mukke geredet haben und in der U-Bahn gleich die erste Hook-Idee hatten. Er hat gefragt, ob ich Dirt Nasty kenne. Ich hatte keine Ahnung. Stolle meinte dann: Dirt Nasty ist der Held der Helden. Diesen Ausdruck fand ich so geil, das wir ihn gleich zur Hook gemacht haben. Diese lockere Herangehensweise an Musik, ohne sich zu fragen, ob der Song überdauert, das war sofort wieder da.

„Du kannst nicht aus deiner Haut“

Wie in der Vergangenheit rappst du erneut über deine Kindheit, Gefühle, die Liebe und Schwächen. Themen, die im Straßenrap selten vorkommen. Glaubst du, du wärst mit anderen Themen erfolgreicher?

Nein, das glaube ich nicht. Du kannst ja nicht aus deiner Haut. Ein Straßenrapper kann nicht machen, was Casper macht. Und ich kann nicht machen, was ein Straßenrapper macht. Wenn ich das versuchen würde, wäre das ein armselig scheitender Versuch. Aber natürlich versuche ich, Musik zu machen, die mir und möglichst vielen Leuten gefällt. Ich mag schon immer Musiker, die ihre Geschichte erzählen. Emotionale und autobiografische Songs gefallen mir, genauso wie In-die-Fresse-Songs. Das zieht sich auch durch mein neues Album. Einerseits gibt es da auf die Fresse mit „Egdelord“, „Kranich Kick“ und „Ich hasse Autos“. Und dann gibt es Songs, in die ich versuche das Melancholische und Tragikomische zu packen. Aber zurück zu dem, was in den Charts erfolgreich ist: Das kann ich gar nicht. Und deshalb mache ich das auch nicht.

Warum ist Straßen- und Gangstarap deiner Meinung nach so erfolgreich?

Ich glaube, es geht da um einen grundsätzlichen Mut, eine Einstellung und einen Flavour, den du vermittelst. Es geht um deinen Lifestyle, darum, wer du bist. Die Leute sagen immer, die Texte sind so simpel und dumm. Aber wann ist ein Text denn dumm? Wenn ich sage, ich freue mich über meine Rolex, ist das ja per se nicht dumm. Das kannst du ja tun, das ist ein emotionaler Ausdruck. Die Texte sind nicht komplex, das ist das, was wohl gemeint ist. Ich glaube aber auch, je simpler Texte sind, desto besser und erfolgreicher ist die Musik. Wenn jemand ein wissenschaftliches Paper schreibt und das ganz primitiv ist, würde ich sagen, das ist nicht das Passende. Aber wenn du einen Song machst, in dem es um dein Lieblingsgetränk geht und du das feierst, dann muss das nicht schlau sein, dann reicht das Gefühl. Genau das ist es, was die erfolgreichen Rapper machen. Sie spitzen ein Gefühl extrem zu. Es ist naiv zu denken, dass etwas erfolgreich ist, weil der Text oder der Beat oder die Art des Rappens gut ist. Das Ufo351 der meist gehörte Rapper in Deutschland ist, hat viele Gründe. Er hat einfach diesen Pfiff. Das können wir versuchen, rational zu analysieren. Aber am Ende des Tages ist Rap ein Geschäft mit Gefühlen.

„Das meiste gibt mir gar nichts“

Wie stehst du denn persönlich zu dem Rap, der in den Charts erfolgreich ist?

Also der Großteil von dem, was in Deutschland passiert, gibt mir gar nichts. Das langweilt mich in erster Linie. Natürlich gibt es aber auch Rapper, die ich sehr gut finde. OG Keemo ist so ein Fall. Der macht Gangstarap auf einem technisch unfassbar versierten Niveau, sprachlich gesehen extrem krass und cool. Generell habe ich auch nichts gegen Gangstarap. Guten Gangstrap finde ich genauso gut wie guten Nicht-Gangstarap. Dennoch ist für jemanden wie mich, der seit 20 Jahren Rapmusik hört, das meiste Trash. Einfach, weil ich das schon zu lange höre. Und natürlich höre ich andere Sachen als Teenager. Das ist ja auch gut so. Du musst die Musik hören, die du fühlst. Und wenn du die Backstreet Boys fühlst, hörst du die Backstreet Boys. Ich muss das ja nicht feiern.

Denkst du, dass du selbst vom derzeitigen Rap-Hype profitierst?

Jaein. Der Hype ist schon sehr teeniebezogen. Die ganze Indieszene spielt da keine große Rolle. Auf der anderen Seite interessieren sich gerade natürlich schon super viele Leute für Rap. Es ist aktuell also sicher besser, Rap statt Indierock zu machen. Ich war ja schon in den 2000ern Rapper, damals hat sich keiner für Rap interessiert. Heute interessieren sich mehr Leute für meine Musik. Ich glaube deshalb schon, dass wir aus der Indieszene Ausläufer des Hypes abbekommen. Wir profitieren aber nicht so immens davon, wie man es sich vielleicht denkt. Ich bekomme sicher keine Hörer von der 187 Straßenbande ab.

„Egar Wasser entwickelt sich mega“

Was sind für dich denn derzeit die spannendsten Deutschrapper?

Wie ich schon gesagt habe, OG Keemo. Nach wie vor auch Edgar Wasser, der sich mega entwickelt. Es gibt noch ein paar Jüngere, Elias auf jeden Fall. Der hat sehr viel Flow, der grooved wahnsinnig. Da kann ich mir vorstellen, dass das noch richtig groß wird. Hooklinetechnisch hat Sugar MMFK was drauf.

Kommen wir mal zu einem ganz anderen Thema: Während der Corona-Krise haben Verschwörungstheorien wieder Hochkonjunktur, nicht zuletzt auch in der Rapszene. Du selbst hast etwa in „Akte X“ solche Theorien aufgegriffen. Wie goß ist deiner Meinung nach das Problem im Deutschrap?

Groß. Im Deutschrap ist das total verbreitet. Ich warne nur davor, Untergangsszenarien zu zeichnen. Man weiß nicht so richtig, wie die Kids das konsumieren. Oft sind die Konsumenten schlauer als die Macher. Ein großer Fall ist ja Kollegah, der viele Verschwörungstheorien verbreitet. Ich kann mir vorstellen, dass super viele Leute Kollegah aus unterhaltungstechnischen Gründen hören, aber gar nicht politisch mit ihm mitgehen. Ich möchte das Problem nicht Kleinreden. Die Leute, die er damit beeinflusst, das ist hochproblematisch. Bei den 16-, 17-, 18-Jährigen, mit denen ich rede, merke ich jedoch, die nehmen das nicht so ernst, wenn sie 187 Straßenbande hören. Für die ist das wie so ein Action Film mit „The Rock“. Die hören sich das an und finden das lustig. Das ist meine Hoffnung, die ich hege. Man darf aber natürlich nicht unterschätzen, dass die radikalsten und lautesten Stimmen die hörbarsten sind, auch wenn sie nicht repräsentieren, was der Durchschnitt der Bevölkerung denkt. Das ist durchaus gefährlich. Deshalb muss man sich auch dagegenstellen. Ich tue das, indem ich immer wieder sage: „Was ihr verzapft, ist Quatsch.“

„Die Politik ist hochkomplex“

Mich provoziert das auch aus der Sicht eines gelernten Journalisten. Die Art, wie diese Leute mit Informationen umgehen, zeigt so gar keine Kompetenz. Die kiffen und schauen eine Doku auf YouTube und denken dann, sie seien informiert. Hinter diesen Theorien steckt ja auch oft eine Versimplifizierung der Welt. Da steckt immer dasselbe Weltbild dahinter: Es gibt den großen bösen Oberbau, von bösen Menschen, die böses wollen. Es ist ja nicht so, dass keine Scheiße auf der Welt passiert. Nur die Erklärungsansätze von Verschwörungstheoretikern haben mit der Realität nichts zu tun. Wen du wissen willst, wie Politik funktioniert, bringt es dir nichts, wenn du sagst: „Die sind böse, die sind gut, die einen der Teufel, die anderen die Helden.“ Die Welt, die Politik ist hochkomplex. Verschwörungstheoretiker stellen sich aber oft auf eine Seite und dann ist das für sie erledigt. Sie wollen eine Fußballlogik. Dein Verein soll gewinnen, die anderen verlieren. Im Fußball ist das cool. Aber auf Politik oder andere Bereiche ist das nicht übertragbar.

Um es in Fatonis Worten zu sagen: „Ich wünschte, es würde so einfach sein, einfach einfach sein, aber Nein, Nein, Nein, Nein, Nein, Nein.“

Ich finde „Nein, Nein, Nein, Nein, Nein, Nein“ von Fatoni ist der beste Song zum Thema Verschwörungstheorien, den es im Deutschrap je gab. Und zwar, weil er nicht einfach auf die Leute drauf haut, wie das die Antilopen Gang oder ich schon gemacht haben. Ich finde gut, dass Fatoni sagt: „Hey, ich verstehe warum du so denkst. Wenn du in deinem Zimmer sitzt und kiffst und eine Doku auf YouTube anschaust. Aber es ist halt trotzdem nicht schlau.“ Es bringt ja ehrlich gesagt auch nichts, den Leuten zu sagen: „Ihr seid dumm und scheiße.“ Damit drängst du sie ja noch mehr in die Ecke und bestätigst ihr Weltbild, dass die Leute von oben kommen und sie unterdrücken wollen. Und damit wird das Problem sicher nicht gelöst.

Wann sieht man dich denn wieder auf der Bühne?

Geplant ist, dass die Tour im Oktober beginnt. Im Moment weiß ich natürlich noch nicht, ob sie wegen Corona verschoben werden muss. Aber eines ist sicher: Die Tour wird stattfinden.

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