Der Südpfälzer Max Gruber hat Drangsal neu erfunden. Aus dem Ein-Mann-Projekt ist ein Trio geworden. Benjamin Fiege hat den Musiker aus Herxheim gefragt, wie es dazu kam, was wir vom neuen Album „Aus keiner meiner Brücken, die in Asche liegen, ist je ein Phönix emporgestiegen“ erwarten können – und was er sich fürs Konzert am Sonntag in Mannheim bei der letzten Ausgabe des Maifeld Derbys in Mannheim vorgenommen hat.
Max, aus dem Ein-Mann-Projekt Drangsal ist eine dreiköpfige Band geworden. War das Aus für die One Man Show im letzten Album „Exit Strategy“ (2021) schon angelegt?
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Teils ja, teils nein. Ich habe mir schon immer gewünscht, in einer Band zu sein. Drangsal ist eher aus Mangel an Mitstreitern als Solo-Projekt gestartet. Ich genoss zwar viele Aspekte daran, aber der Plan war immer, drei Alben und dann nach knapp zehn Jahren mal eine Bestandsaufnahme zu machen.
Ein, zwei Jahre nach „Exit Strategy“ war ich an einem Punkt, dass ich wenig Interesse hatte, Drangsal in der Form weiterzuführen. Ich hatte dann sechs Monate kein Instagram, habe mich anderen Projekten gewidmet, den Benjamins und den Mausis, und einen Lyrik-Band herausgebracht. Mir wurde klar: Das Arbeiten allein hatte sich für mich auserzählt. Ich bin daher sehr froh, dass ich mit Lukas Korn und Marvin Holley zwei Mitstreiter für Drangsal gefunden habe.
Es war von einem Zusammenbruch die Rede. Der war also nicht allein ursächlich für diese neue Ausrichtung?
Es war ein mentaler, körperlicher und künstlerischer Zusammenbruch. Und als solcher war er mit Sicherheit ursächlich dafür, es am Ende wirklich durchzuziehen und nicht nur hin und wieder den Gedanken zu hegen, wie in den Jahren zuvor.
Schwebte Ihnen dann zwischenzeitlich vor, die Kunstfigur ähnlich spektakulär zu Grabe zu tragen wie seinerzeit David Bowie seinen Ziggy Stardust?
Ich glaube, wenn ich das Ganze tatsächlich erst einmal begraben hätte, hätte ich das wohl nicht medienwirksam getan, sondern es einfach gelassen. Wobei das Artwork der neuen Platte ja offen lässt, ob da einer nur etwas weg- oder sich sein eigenes Grab schaufelt. (lacht) Letztlich war früh bei den Aufnahmen dieser neuen Platte klar, dass es doch ein Drangsal-Album werden würde. Produzent Max Rieger hatte das sofort bemerkt und mir gesagt: Besser, du akzeptierst das jetzt. Und das war auch für mich, Marvin und Lukas in Ordnung.
Was können Sie über Ihre neuen Mitstreiter erzählen?
Lukas ist seit 2020 Teil der Live-Band. Eigentlich ein Gitarrist, bei uns aber Bassist, ein toller Musiker. Ich wollte ihm schon immer mehr Raum einräumen, stand mir da aber lange selbst im Weg. Marvin kenne ich seit 2022, ich habe ihn bei einem Konzert getroffen und ihn gefragt, ob er mit mir Musik machen möchte. Da war ich schon verzweifelt auf der Suche nach Mitstreitern. Die ersten ein, zwei Lieder, die wir gemeinsam geschrieben haben, sind jetzt auch auf dem Album gelandet. Mit Marvin habe ich in Berlin jetzt jemanden fürs Ideen-Ping-Pong. Lukas lebt ja in Solingen. Je länger ich mit den beiden gearbeitet habe, desto entspannter wurde ich – und desto leichter fiel es mir, das Lenkrad auch mal aus der Hand zu geben
Wie schwierig ist es denn für Sie, Kompetenzen abzugeben?
Mit Marvin war es leicht, die Songs zu schreiben. Auch wenn es zu Beginn etwas gruselig war, weil meine Ideen in einem so frühen Stadium sonst niemand zu hören bekommt. Aber: Richtig schwierig wurde es dann im Studio. Da hatte ich erst Panik. Ich wusste nicht: Wird uns das gefallen? Es gab auch Erwartungen des Labels, auf dessen Nacken wir da im Studio waren. Und: Was wenn es nur Zwist gibt? Da war ich am Anfang noch sehr gefangen in meinem alten Muster.
Kontrollsucht ist die Angst vor dem Ungewissen. Da habe ich viel abgebügelt, und Lukas musste für seine Ideen viel kämpfen. Er kennt mich zum Glück und kann das. Am Ende sind seine Ideen geblieben, und total geil. Aber es war mit Sicherheit für Lukas und Marvin die ersten Wochen ein Kampf und Krampf, sich den Platz zu nehmen, der ihnen zusteht. Ich würde gern sagen: Das war voll easy, aber es war schon zäh teilweise. Ich musste lernen, mich in die beiden reinzulegen.
Wenn man sich die Credits anschaut, merkt man: Komponiert habt ihr das neue Album mit dem Titel „Aus keiner meiner Brücken, die in Asche liegen, ist je ein Phönix emporgestiegen“ gemeinsam. Die Texte stammen aber vornehmlich von Ihnen. Ist da die Grenze des Loslassens?
Die anderen beiden wollen keine Texte schreiben! (lacht) Das stört mich aber nicht, mir war klar, dass das eher meine Aufgabe bleiben würde. Dennoch habe ich sie immer nach Feedback gefragt. „Mein Mo(nu)ment“, der Song mit Sophia Blenda, habe ich mit ihr zusammengeschrieben.
Bei den Aufnahmen hat es Euch in das Gebiet nahe der polnischen Grenze verschlagen. Da spielt ja auch Heinz Strunks „Zauberberg 2“. Was macht den Reiz dieser Gegend aus?
Das war eher Mittel zum Zweck. Früher habe ich mir Studios danach ausgesucht, ob sie fußläufig von meiner Wohnung aus gut erreichbar waren. In dieser neuen Konstellation ging das nicht. Da mussten wir uns einen Ort suchen, an dem wir alle für eine längere Zeit zusammenarbeiten konnten. Mir schwebte wegen meinen abgefuckten Bronchien die Ostsee vor. Lukas hatte mit Tobi Siebert am Lyschko-Album in einem Studio in Mecklenburg-Vorpommern gearbeitet, wir sind dann dort hin, zur Vorproduktion. Und haben dann letztlich dort aber richtig aufgenommen. Ein geiles Studio, man fühlt sich wie ein Kind im Toys R Us. Die Aufnahmen haben ich als sonnengetränkte, familiäre und entspannte Zeit abgespeichert, was ja im Widerspruch zu den dystopischen Texten der Platte steht. Aber die sind ja auch vorher entstanden.
Die Klangpalette des neuen Albums, das am 13. Juni erscheint, ist sehr breit. Bei den ersten Alben schien der Ansatz zu sein, eine sehr kohärente Platte aufzunehmen.
Die Klangpalette wird automatisch breiter, wenn man mehr als zehn Songs auf ein Album packt. Ich finde aber: Das neue Album ist das kohärenteste. Wenn ich an „Harieschaim“ denke, halte ich das für so einen versatzstückartigen Frankenstein. Und bei „Zores“ ist das ähnlich. „Exit Strategy“ fühlte sich schon kohärenter für mich an, dazu sehr bombastisch. Jetzt habe ich das Gefühl, dass es einen blutroten, sich durchziehenden Faden gibt. Vielleicht liegt das daran, dass wir immer mit Klavier- oder Gitarrendemos gestartet sind und alles dann darum herumgebaut haben.
Vielleicht kommt der Eindruck daher, dass man früher dem Ganzen leichter einen Stempel aufdrücken konnte. Es gab ja Vergleiche mit The Cure oder Joy Division. So eine „leichte“ Kategorisierung ist heute nicht mehr möglich.
Was ich als tolles Kompliment betrachten würde! Mit solchen Leuten verglichen zu werden, ist immer gruselig. In keiner Welt bin ich auch nur halb so gut. Vielleicht ist es nach all der Zeit bei mir nun etwas selbstreferenzieller, eigener. Wenn ich etwa einen Song wie „Die satanischen Fersen“ nehme, kann man schon sagen, dass das nach einem typischen Drangsal-Song, im besten Sinne, klingt.
Immer weniger Menschen konsumieren Alben als Ganzes. Ist insofern eine breite Streuung auch strategisch sehr sinnvoll?
Das hat tatsächlich keine Rolle gespielt. Ich war froh, dass das Label uns freie Hand gelassen hat. Es sind 17 Titel, da hätte die Plattenfirma Argumente gehabt, das auf zwei Alben aufzusplitten. Es war keine bewusste Entscheidung, so viele Songs zu schreiben, das ist einfach passiert. Es wurde, als es wurde, was es wurde. Uns ist schon klar, dass da draußen derzeit die Kurzform am ehesten geschätzt wird. Und da ist ein 17 Songs umfassendes Album, mit einem ewig langen Namen, ja durchaus auch ein Ellenbogen-nach-außen-Statement.
Durchgängige Themen bei Ihnen sind Selbstentfremdung und Stillstand. Zweiteres wundert mich bei Ihnen immer, da von außen betrachtet bei Ihnen ja ständig Bewegung drin ist. Die Umzüge, Drangsal, die beiden Bands, das Buch … Es sieht immer so aus, als wäre da viel Dynamik drin.
Das freut mich. (lacht) Es geht auch eher um eine innere Versackung, an der ich mich abarbeite. Es ist aber auch für mich manchmal seltsam, wenn ich bei der Aufnahme einer Platte dann so gebündelt die Texte zurückgeworfen kriege, die ich in den Jahren zuvor geschrieben habe. Ich mache mir selten Gedanken über das, was ich schreibe, es kommt oft einfach so heraus. Ich versuche dem während des Schreibens nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Ob ich selbst immer den Grund dafür kennen muss, warum genau das aus mir herausgekommen ist, weiß ich nicht. Ich versuche das nach Tageslaune mit Bedeutung zu füllen, wenn wir die Songs proben oder live spielen. Es ist aber so, dass das Leben selbst, das ungefragte Existieren und Gebundensein an sich selbst, Themen sind, die mich umtreiben.
War das schon immer so oder hat das die Pandemie befeuert?
Das war schon vor der Pandemie so. Es wird einfach schlimmer (lacht). Ich schreibe, was rauskommt. Und wenn es 100 Mal das Gleiche ist. Stella Sommer sagt immer: Alle Musiker haben nur eine Handvoll Ideen, die sie immer wieder versuchen, auf unterschiedliche Art und Weise zu verkaufen. Das finde ich romantisch. Es gibt Bands, da freut man sich, dass sie immer im Kern das Gleiche machen. AC/DC etwa. Von denen will ich kein Prog-Album hören.
Sie kommen jetzt mit der neuen Platte nach Mannheim. Gehören Sie zu den Künstlern, die dem Publikum gleich mehrere neue Songs präsentieren oder da eher behutsam rangehen?
Ich bin da akzeptables Mittelfeld. Wenn ich zu Springsteen gehe, möchte ich gerne „The River“ hören. Die Chance ist groß. The Smashing Pumpkins kreieren ihre Setlist eher nach Lust und Laune. Und The Cure spielen in Vier-Stunden-Shows alles, was irgendjemandem eventuell gefallen könnte. Bei einem Festival habe ich vielleicht 40 Minuten. Es gibt schon Songs, die ich gerne spielen würde, auch von der neuen Platte, die es aber in dieses Zeitfenster nicht schaffen werden. Die Balladen etwa. Da gehe ich eher tempomäßig ran, um den Feiernden etwas mitzugeben.
Es gibt also viel vom neuen Album, aber nicht unbedingt das, was man erwarten würde. Und von jeder alten Platte gibt es mindestens einen Song. Um „Turmbau zu Babel“ komme ich nicht drumherum, spiele ihn aber auch gerne. Ansonsten soll man es mir nachsehen, wenn ich nicht jeden Song von „Harieschaim“ ausbuddele. Denn, und das ist noch gar nicht angekündigt: 2026 machen wir zum Zehnjährigen von „Harieschaim“ etwas Besonderes. Die Benjamins, die Mausis und Drangsal spielen das Album in Gänze, geplant sind Shows in Berlin, Hamburg und Köln.
Welche Erinnerungen haben Sie ans Maifeld Derby, das ja jetzt zum letzten Mal steigt?
Es ist immer traurig, wenn Festivals aufhören. Ich bin dort schon ein paar Mal dabei gewesen. Dieses Mal werden wir im Zelt spielen, das hat immer eine tolle Atmosphäre. Ich hatte eigentlich immer gedacht, dass wir da in Zukunft alle drei, vier Jahre spielen werden.
Haben Sie dann auch Zeit für einen Abstecher in die alte Heimat?
Leider nein, es geht direkt wieder nach Berlin. Aber Mannheim ist nicht allzu weit weg. Und mit Organisator Timo Kumpf kann ich sogar Pfälzisch babbeln.
Zur Person
Max Gruber ist Songwriter, Sänger, Multiinstrumentalist und Autor. Dem 1993 in Kandel geborenen und in Herxheim aufgewachsenen Künstler gelang der Durchbruch mit seinem 2016 erschienen Debütalbum „Harieschaim“ (althochdeutsch für Herxheim). Sein Künstlername Drangsal wurde von einem Landauer Bestattungshaus inspiriert. Insgesamt hat Gruber unter dem Namen drei Solo-Alben veröffentlicht, ein vierter Longplayer „Aus keiner meiner Brücken, die in Asche liegen, ist je ein Phönix emporgestiegen“ erscheint am 13. Juni. Es ist das erste Album von Drangsal als Trio. Gruber ist außerdem Teil der Bands Die Mausis und Die Benjamins. 2022 erschien sein Buch „Doch“.
Termin
Drangsal spielen am Sonntag bei der letzten Ausgabe des Maifeld Derbys in Mannheim.
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