Technohymnen für die Letzte Generation? Im Video zum Titelsong des neuen Ätna-Albums „Lucky Dancer“ hat der Klimawandel zugeschlagen, inmitten einer Endzeitlandschaft aus abgestorbenen Baumgerippen rekapitulieren Inéz Schaefer und Demian Kappenstein hedonistische Rituale der digitalisierten Konsumgesellschaft. Und auch der Refrain des Songs „Major Love“ lässt sich nicht nur als Liebeserklärung lesen, sondern als Imperativ, die Erde jetzt zu bewahren: „No more future, no more past. All is present, make it last.“
Sirenengesänge über schnellen Beats, Eurodance-Anklänge, stimmverzerrte Rap-Inseln und anderes elektronisches Klanggetüftel verbinden Ätna wie selbstverständlich mit Gesellschaftskritik und politischem Aktivismus. Im Februar gibt das Elektropop-Duo Konzerte, unter anderen in Heidelberg. Benjamin Fiege sprach mit Ätna-Hälfte Demian Kappenstein über die Zeit der Multikrisen, die Relevanz von Musikvideos und heikle Songthemen.
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Demian, seit Oktober ist euer neues Album „Lucky Dancer“ auf dem Markt. Seid ihr mit der Resonanz zufrieden?
Eine freudige Überraschung ist, dass viele den roten Faden, der sich durch das Album zieht, erkennen: die Omnipräsenz und Gleichzeitigkeit von Krisen, verbunden mit dieser komplexen Gefühlslage, die man dabei hat. Die Leute setzen sich dazu in Bezug. Oft reagieren die Leute eher auf die Musik, auf den Rhythmus. Wir spüren hier jetzt aber eine große Sensibilität für das Aktivistische dahinter. Das ist sehr positiv. Ansonsten waren die Kritiken sehr angenehm und differenziert.
Wird Resonanz einfach an euch herangetragen oder lest ihr aktiv Kritiken?
Eigentlich versuchen wir es zu vermeiden, Kritiken zu lesen. Wobei Inéz und ich da etwas unterschiedlich sind. Ich bin etwas sorgloser im Internet unterwegs, nehme mir Kritiken aber nicht sonderlich zu Herzen. Inéz möchte sich als Künstlerin nicht zu sehr von außen beeinflussen lassen. Für sie entsteht das Künstlerische erst einmal aus sich heraus. Tendenziell sind wir da also eher abgeschirmt.
Ihr veröffentlicht derzeit alle zwei Jahre ein neues Album. Ist dieser Rhythmus Zufall oder Strategie?
Wir brennen einfach darauf, neue Musik zu veröffentlichen. Wenn wir ein gutes Jahr live gespielt haben, mit Material, das dann ja auch schon vor der Tour von uns intensiv gehört, gespielt und aufgenommen wurde, dann ist einfach die Lust an neuer Musik sehr, sehr groß.
Das ist ganz schön ambitioniert. Ihr müsst dann ja schon während des Tourens neue Songs schreiben.
Ja, aber das ist dann auch ein schöner Ausgleich zum Touren, wo man ja dieselben Stücke immer und immer wieder hat. Das ist schon für mein persönliches Seelenheil wichtig (lacht).
Ihr schreibt beide Songs. Wer entscheidet, was auf die neue Platte kommt?
Alles, was wir rausbringen, müssen beide richtig gut finden. Wenn nicht, wandert ein Song ins Archiv. „Major Love“ vom aktuellen Album ist so ein Beispiel. Der Song ist eigentlich schon vor zwei Alben entstanden und wurde zur Seite gelegt, bis wir ihn in eine Richtung weiterentwickelt haben, die uns beiden gut passte. Mal schreiben wir Songs allein, mal zusammen, improvisieren im Studio, jammen – da kommt uns unsere Jazz-Vergangenheit zugute.
Inéz gilt als eher perfektionistischer Typ, während du auch dem Zufall gerne etwas Raum gibst. Wie habt ihr gelernt, das unter einen Hut zu bekommen?
Für uns geht es nur so. Wenn wir uns da zu ähnlich wären, wären wir wohl auch nicht so mehrschichtig. Wir haben gelernt, den Vorschlag des anderen ankommen zu lassen. Oft merkt man dann im Ergebnis, dass wir alleine einen Song so nicht hinbekommen hätten, sondern immer den Input des anderen dafür gebraucht haben. Ein solches Ergebnis ist immer unser Ziel. Das kann zwar mal anstrengend sein, aber wir sind über die Jahre in der Kommunikation besser geworden, wissen jetzt, dass es um die Sache geht und man nichts persönlich nehmen muss.
Könnt ihr das immer bilateral verhandeln oder braucht es dabei auch mal Hilfe von außen?
Wenn wir mal feststecken, greifen wir auch auf Hilfe aus unserem Umfeld zurück. Dann kann es sein, dass ein Produzent oder das Management sagt, die längere Variante von diesem Track gefällt uns jetzt besser. Da sind wir kompromissfreudig.
Von potenziell hitzigen Debatten zu hitzigen Aufnahmen: Ist es wahr, dass ihr es bei den Arbeiten am neuen Album mit einem Waldbrand zu tun hattet?
Ja, wir waren im spanischen Motril in Andalusien, in einem malerischen Studio, nicht weit vom Meer entfernt, mit vielen schönen Anhöhen drumherum, einer Avocado-Plantage nebenan, alles sehr malerisch. Es war Oktober, und in der Region gab es zu dieser Zeit viele Waldbrände. Immer wenn es dunkel wurde, sah man diesen Glutherd auf der nächsten Anhöhe, immer näher kommend. Man hat uns aber versichert, dass das Feuer uns nicht würde erreichen können. Wir waren also in Sicherheit, aber es war dennoch total absurd, in den Aufnahmepausen mit einer kühlen Limo am Pool zu sitzen, während um uns herum die Welt in Flammen steht. Man hat schnell gemerkt, dass sich diese Gleichzeitigkeit der Dinge auf unsere Musik niederschlägt. Ohne dieses Erlebnis hätte das Album wohl anders geklungen.
Wie denn?
Leichtfüßiger, wahrscheinlich. Unsere Alben davor waren düsterer und melancholischer. Daher stand uns der Sinn eigentlich nach Leichterem. Durch die Vorkommnisse, die ja am Anfang unserer Arbeiten stattfanden, hat es sich dann in eine andere Richtung entwickelt.
Ihr verhandelt durchaus harte Themen, vom Klimawandel über die „#MeToo“-Bewegung bis hin zum Freiheitskampf iranischer Frauen.
Man ist im Alltag konfrontiert mit diesen Themen. Einerseits durch die Medien, andererseits durch persönlichen Austausch. Inéz und ich sind ganz gut synchronisiert, was uns gerade bewegt. Das überträgt sich ins Textliche. Oft gibt es zu den Themen eine persönliche Verbindung. Inéz ist zum Beispiel gut mit einer iranisch-persischen Journalistin befreundet. Da sind solche Themen plötzlich sehr nah. Der #MeToo-Song wurde derweil durch ein Theaterstück von Benjamin von Stuckrad-Barre zu dessen „Noch wach“-Buch inspiriert, an dem Inéz in Hamburg beteiligt war. Da war dieser Stoff dann sehr konkret.
Einerseits will man Themen ansprechen, die einen selbst und andere bewegen. Auf der anderen Seite wird man wohl nicht zu tagesaktuell sein wollen?
Ja, viele Themen wie der Klimawandel sind wohl noch eine ganze Weile ein Thema. Wir wählen unser Vokabular aber gewöhnlich so, dass die Songs einigermaßen zeitlos sind.
Ihr habt eure Homebase derzeit in Dresden, und das als Zugezogene. Für eine Band mit eurer Haltung würde einem diese Stadt als Domizil nicht unbedingt als Erstes einfallen …
Ja, aber Dresden ist eine Stadt, die einem Themen liefert, künstlerische und aktivistische. Es gibt da viel zu tun. Außerdem haben wir die Chance zu zeigen, dass es da das andere Dresden gibt, dass da durchaus Kultur stattfindet, dass es da eine engagierte Zivilgesellschaft gibt. Es geht darum, sich zu engagieren und zu repräsentieren. Man muss sich zu verschiedenen Themen positionieren, um Gegenwehr zu leisten.
Ihr seht euch als eine Art Botschafter?
Ja, kann man so sagen. Ich wohne seit mehr als 20 Jahren hier, da identifiziert man sich mit der Stadt.
Würdet ihr euch selbst eher als Pessimisten oder Optimisten bezeichnen?
Eher als Optimisten. Das ist der Antrieb. Woher soll sonst die Hoffnung kommen?
Euch stilistisch in eine Schublade zu stecken, ist schwierig. Im Titelstück „Lucky Dancer“ habt ihr jetzt sogar Eurodance eingebaut. Der war lange geradezu verpönt, liegt nun aber wieder im Trend. Woher kommt die neue Lust am Genre?
Bei manchen Künstlern hat es mit diesem typischen Retro-Turnus zu tun. Nach den 1980ern sind dann eben die 1990er dran und irgendwann die Y2Ks. Bei uns sehe ich das aber eher als Gewürz. Da ist Musikmachen wie Kochen. Da kann man auch mal an den absurdesten Stellen mit Zimt arbeiten, um die Birne frei zu pusten und zu überraschen. Eurodance ist hier unser Zimt, weit weg von allem anderem auf dem Album.
Ich hatte mich gefragt, ob das aktuelle Revival des 1990er-Sounds nicht auch daran liegt, dass sich viele in dieses vermeintlich letzte unbeschwerte Jahrzehnt zurücksehnen. Gerade jetzt, in Zeiten der Multikrisen.
Ja, früher sagte man ja: Spaßgesellschaft, apolitisch, kreist um sich selbst. In unserem Alter hat man dann vielleicht jetzt diese Assoziationen mit diesem Sound. Ich bin Jahrgang 1983 und habe die 1990er als genauso sorglos empfunden. Bei jüngeren Künstlern weiß ich aber nicht, wie ihre emotionale Verbindung zu dieser Zeit ist. Kennen Sie die 1990er von Videoaufnahmen? Oder versuchen sie sich vorzustellen, wie ihre Eltern gelebt haben? Auf jeden Fall gibt es da eine Faszination.
Im besten Sinne „Nineties“ an euch ist der Anspruch, mit dem ihr an Musikvideos geht. Ihr betreibt da stets einen ungeheuren Aufwand. Wird das Musikvideo als Ausdrucksmittel unterschätzt?
Ja. Ich verstehe nicht, dass viele Künstler sich da heutzutage so verengen und dem Hörer nicht mehr dieses Mehrgänge-Menü aus verschiedenen Formaten anbieten. Es macht doch einen unheimlichen Spaß, Musikvideos zu kreieren. Da hat die Musikindustrie leider einen Schritt zurück gemacht. Natürlich spielt da auch Geld eine Rolle.
Ihr seid im Februar 2025 ganz analog in Baden-Baden und in Heidelberg zu erleben. Was können die Fans von euch erwarten?
Wir versuchen, all unsere Facetten – sowohl das intime Akustikduo als auch die Techno-Oper – auf die Bühne zu bringen, mit tollen visuellen Effekten und einer wahnsinnigen Lichtshow. Man fühlt sich, als würde man über ein Festival laufen. Wir waren zweimal in Folge als bester Live-Act nominiert, haben jedes Mal nur gegen Rammstein verloren.
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