Seine Mystery-Krimi-Geschichten, angesiedelt im Navajo-Land, machten Tony Hillerman einst berühmt. Ihm gelang dabei das Kunststück, mit seinen Büchern bei Publikum und Kritik gleichermaßen umjubelt zu sein. Seit 2023 werden in monatlichem Abstand Werke aus Hillermans 18-teiliger Navajo-Krimi-Reihe beim Zürcher Unionsverlag in deutscher Sprache neu aufgelegt. Vier Schlaglichter.
Bahnbrechend. So kann man das Werk von Tony Hillerman wohl am besten umschreiben. Als der Autor am 26. Oktober 2008 in Albuquerque im Alter von 83 Jahren stirbt, widmet ihm die „New York Times“ einen berührenden Nachruf. Obwohl er natürlich nicht der erste Schriftsteller war, der seine Krimis im Umfeld von Reservaten hat spielen lassen, war er vielleicht der erste, der der Kultur der Native Americans mit so viel Liebe und Respekt begegnet ist – und als solcher der US-amerikanischen Krimi-Literatur neue Wege aufgezeigt hat.
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Hillerman, am 27. Mai 1925 in Sacred Heart, Oklahoma, geboren, hatte Journalismus studiert und auch jahrzehntelang unterrichtet, bis 1962 schrieb er selbst auch über Politik und war Polizeiberichterstatter für Zeitungen in Texas, Oklahoma und New Mexico. Bekannt wurde er für seine Navajo-Police-Krimis. 18 Bücher erschienen in dieser Reihe, das erste im Jahr 1970. Die Geschichten waren dabei im Nordosten Arizonas und im Nordwesten New Mexicos angesiedelt.
Leaphorn und Chee bringen als Duo den Erfolg
Im Zentrum des Geschehens: die beiden Ermittler Joe Leaphorn und Jim Chee. Lieutenant Leaphorn wurde dem Leser bereits im ersten Hillerman-Roman „The Blessing Way“ (1970) vorgestellt, wenn auch damals noch als Nebendarsteller. Sergeant Jim Chee wurde erst im vierten („People of Darkness“) eingeführt. Zum ersten Mal gemeinsame Sache machten die beiden dann schließlich im siebten Hillerman-Roman „Skinwalkers“ – die Zusammenführung dieser beiden unterschiedlichen Charaktere war der große Durchbruchsmoment für Hillerman. Auf der einen Seite Leaphorn, der Veteran, als Ermittler eine Legende, mit einem Bein in der Welt der Weißen stehend, mit dem anderen in der Welt der Navajos; auf der anderen Seite der junge, zu ihm aufblickende Chee, gleichzeitig ein Traditionalist, wenn es um den Glauben und die Werte der Navajos geht. Eine Mixtur, die aufging.
Hillerman zeichnete seine Charaktere dabei nicht als Klischees, sondern mit feiner Feder, als überaus dreidimensional und tiefgänig – und vor allem: als entwicklungsfähig. Voller Respekt. Voller Würde. Und mit viel Fachkenntnis, wuchs er doch mit Mitgliedern der Navajo-, Hopi- and Zuni-Stämme auf. Man merkte seinen Roman an, dass er, der Weiße, sich aufrichtig für die Kultur und die Welt der Indigenen interessierte.
Als die Reihe in den 1970er Jahren begann, machte man sich um Themen wie „Kulturelle Aneignung“ noch keine Gedanken. Hillerman, dieser wunderbare Erzähler, wurde von Publikum und von der Kritik gleichermaßen geschätzt. Seine ebenso stimmungs- und spannungsvollen Romane wurden zu Bestsellern und vielfach ausgezeichnet. 1974 mit dem Edgar Allan Poe Award, 1987 in Frankreich mit dem Grand Prix de Littérature Policière sowie mit zahlreichen weiteren Preisen. Die Auszeichnung Special Friend of the Diné, die Hillerman im Jahr 1987 vom Navajo Tribal Council erhielt, war ihm persönlich die wichtigste.
Dass der Name Hillerman gerade wieder in aller Munde ist, 16 Jahre nach seinem Tod, liegt auch an den Verfilmungen. Zuletzt ist die Serie „Dark Winds“ angelaufen, die seit 2022 in den USA mit großem Erfolg ausgestrahlt wird.
Die jüngsten Wiederveröffentlichungen

Gesang an die Geister (5)
„Gesang an die Geister“ lautet der Titel der Neuauflage von „The Ghostway“, das im englischen Original im Jahr 1984 erschien. Drei Jahre später kam das Werk auch in Deutschland auf den Markt, damals noch unter dem Titel „Das Tabu der Totengeister“.
Die Handlung: Albert Gorman ist im Navajo Nation Reservation unterwegs – auf der Suche nach seinem Bruder Leroy. Die beiden gehören zu einer Navajo-Familie, die schon vor langer Zeit nach Los Angeles zog. Albert wird vor einem Waschsalon in eine Schießerei mit dem Auftragskiller Lerner verwickelt, bei der er zwar letzteren erschießt, selbst aber auch schwer verletzt wird. Er flüchtet in die umliegenden Shiprock Mountains.
Der alte Joseph Joe hat das Ganze beobachtet. Seine Zeugenaussage führt Jim Chee zu einem abgelegenen Hogan, in dem er Alberts Leiche findet. Die Suche nach dem Täter führt ihn über die Grenzen der Navajo-Lands hinaus in die schummrige Unterwelt von Los Angeles.
„The Ghostway“ gehört sicherlich zu den besten Büchern, in denen das Ermittler-Duo Leaphorn/Chee noch nicht zueinander gefunden hat. Gerade der finale Twist hat es hier in sich. Großes Kino.

Stunde der Skinwalker (6)
Es ist wie verhext: Im Navajo-Land passieren Morde – und nichts scheint sie zu verbinden. In Lieutenant Leaphorns Karte stecken daher drei Nadeln für drei ungelöste Mordfälle, alle scheinbar ohne Motiv. Als Leaphorns jüngerer Kollege Officer Jim Chee im heimischen Bett nur knapp einem ähnlichen Anschlag entgeht, beginnen die beiden gemeinsam zu ermitteln – ein historischer Moment, ist es doch der Startschuss für eine langfristige Zusammenarbeit. Ihr erster gemeinsamer Fall führt zur Legende der Skinwalker – einer dunklen Macht in Menschengestaltie.
Das Böse wird in diesem ursprünglich 1986 erschienenen Roman ausnahmsweise mal nicht von der weißen in die indigene Welt getragen, sondern entspringt eben dieser. Hillerman gelingt hier ein unheimlich spannender Page-Turner, der jede Menge Twists und Turns parat hält. Der Gute hatte kurz zuvor seinen Universitätsjob an den Nagel gehängt und hinsichtlich der Schreiberei alles auf eine Karte gesetzt. Eine Entscheidung, die sich ausgezahlt hat.

Dieb der Zeit (7)
In einer antiken Ausgrabungsstelle der Anasazi macht die Anthropologin Eleanor Friedman-Bernel eine unheilvolle Entdeckung: Jemand hat die Stätte geplündert und ein grausiges Zeichen hinterlassen. Kurz darauf wird die Wissenschaftlerin als vermisst gemeldet. Joe Leaphorn nimmt die Ermittlungen auf, während es Kollege Jim Chee mit einem ganz anderen Fall zu tun hat. Dem Stamm ist ein Bagger gestohlen worden. Schnell wird klar, dass die beiden Fälle in Verbindung zueinander stehen.
Eine komplexe Story, nicht ganz so in den Bann ziehend wie das vorgenannte Werk, aber da lag die Messlatte ja auch ziemlich hoch. Es geht etwas langsam voran. Dennoch beeindruckt Hillerman auch in dieser im Jahr 1988 erschienenen Story wieder durch sein Talent, seine Mystery-Fälle in ihrer Abseitigkeit glaubwürdig wirken zu lassen.

Sprechende Götter (8)
Der Restaurator Henry Highhawk protestiert in der US-Hauptstadt Washington, DC auf radikale Art und Weise für die Rückgabe von Navajo-Gebeinen aus dem Smithsonian Museum: Er hat auf einem Friedhof Skelette von Weißen ausgegraben. Highhawk soll sich vor Gericht verantworten, ist aber geflohen. Officer Jim Chee hat nun den Auftrag, den Haftbefehl gegen ihn zu vollstrecken. Lieutenant Leaphorn bemüht sich derweil, eine eigenartig zugerichtete Leiche zu identifizieren, die ermordet im Wüstengesträuch neben Bahngleisen liegt. Sie wurde offenbar aus dem Zug geworden. Bald tauchen überraschende Verbindungen zwischen den beiden Fällen auf …
Auch dieser 1989 auf den Markt gekommene Roman gehört sicherlich nicht zu Hillermans stärksten. Dennoch lässt er sich gut in einem Rutsch lesen. Nicht ganz so atmosphärisch, aber das mag letztlich auch am Hauptstadt-Setting liegen.
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