Unverzichtbarer Bestandteil des Soundtracks der Neunziger Jahre: The Cranberries haben dieser Tage eine Reissue ihres gefeierten Zweitlings „No Need To Argue“ unters Volk gebracht. Natürlich auch als Deluxe-Version. Gelegenheit, um in Erinnerungen zu schwelgen.
Nein, es kommt nicht wahnsinnig oft vor, dass ein Protestsong ein weltweiter Nummer-eins-Hit wird. Den Cranberries ist genau dieses Kunststück aber gelungen. Und das ausgerechnet in den doch so hedonistischen Neunziger Jahren, in denen sich doch jeder irgendwie um sich selbst drehte. „Zombie“ hieß das gute Stück, und es erinnerte an zwei Kinder (Jonathan Ball, 3, und Tim Parry, 12), die 1993 bei einem Bombenanschlag der IRA ums Leben kam. Unzählige Künstler haben sich mit dem Nordirlandkonflikt beschäftigt, von U2 über Elton John, Sinéad O’Connor, den Simple Minds oder The Police bis hin zu Phil Collins, den Pogues und Billy Bragg – keiner schaffte es aber so eindringlich wie die Cranberries mit diesem Song. Der Verzweiflungsschrei von Dolores O’Riordan, aus deren Feder diese Nummer floss, wurde auf der ganzen Welt gehört.
anzeige
It’s not just Rock
„Zombie“, dieser Hybrid aus Alternative Rock und Grunge, ist natürlich der Song, der alle anderen auf diesem zweiten Cranberries-Album überstrahlt. Dabei lohnt sich ein genauerer Blick, denn „No Need To Argue“ hat natürlich noch viel mehr zu bieten. Nicht umsonst verkaufte sich das Ding rund 17 Millionen Mal. „Zombie“ ist auch kein guter Repräsentant der Platte, da er doch um einiges härter klingt als das, was die irische Band hier sonst so anbietet. Auch wenn man schon konstatieren kann, dass es die Cranberries – im Gegensatz zum zwei Jahre zuvor erschienenen Erstling „Everything Else Is Doing It, So Why Can’t We?“ – etwas heavier angehen lassen. Es wird viel mit Verzerrungen und Lautstärke gearbeitet, allerdings ist der typische Style der Band dadurch nicht verloren gegangen.
Also, „Zombie“ zum Trotz: Da ist doch viel Ruhiges, Bedächtiges auf „No Need To Argue“ zu hören. Songs wie „Twenty-One“, „Dreaming My Dreams“, „Empty“ oder „Everyhing I Said“ sind dem Balladen-Fach zuzuordnen. Eben etwas anders, etwas direkter arrangiert als man es von den Cranberries bis dato gewohnt war. Und das, obwohl mit Stephen Street der gleiche Produzent wie beim Debüt beteiligt war. Nur wenige Ausnahmen wie „Ode To My Family“ – mit hübschem Streicher-Arrangement – verwiesen noch komplett auf die früheren Tage der Band. Aber egal, ob Grunge, Rock oder Ballade: Meist ist es die ungeheuer selbstbewusst wirkende Stimme von Dolores O’Riordan, die den Songs das gewisse Etwas verleiht. Sie steht hier ganz klar im Mittelpunkt.
Viele unbekannte Perlen
Interessant wird die nun neu vorliegende Deluxe-Version natürlich durch das Bonusmaterial. Die erweiterten 2CD- und Digitalversionen von „No Need To Argue“ enthalten neben der remasterten Neuauflage des Albums drei B-Seiten: „Away“, „I Don’t Need“ und „So Cold In Ireland“. Außerdem gibt es 19 bisher unveröffentlichte Titel, darunter zwei Lieder, die bisher in keinem Format offiziell veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich um „Yesterday’s Gone“ – 1995 unplugged für MTV in New York aufgenommen – und ein Demo von „Serious“, das bisher nur als Live-Bootleg mit schlechter Tonqualität auf YouTube existierte. Außerdem enthält die neue 2CD-Edition bisher unveröffentlichte Bilder aus den Fotosessions des Albums. Da wird also auch der Fan nochmal fündig. Ergänzt wird sowohl das 2LP- als auch das 2CD-Set durch ein 5.000 Wörter umfassendes Essay über die Geschichte des Albums. Verfasser ist der Archivar der Band, Eoin Devereux. Er hatte zuvor bereits die Liner Notes für die Neuauflage ihres Debütalbums „Uncertain“ geschrieben.
„Neues“ Material von den Cranberries wird es übrigens wohl nicht mehr geben. Nach dem Tod von Dolores O’Riordan entschied sich die Band, aufzuhören. „Dolores zu ersetzen wäre respektlos“, sagten die verbliebenen Band-Mitglieder 2019 in einem Interview mit „laut.de“, als sie gerade ihr letztes Album „In The End“ promoteten. An diesem hatte Dolores noch mitgewirkt.
anzeige