Der zwölfte Streich war ihr letzter. Und vielleicht ihr kontroversester. The Beatles widmen ihrem 1970 erschienenen Nr.1-Album „Let It Be“ eine ganze Reihe von Special Editions.
Nein, so richtig grün waren sich die Beatles Ende der Sechziger Jahre nicht mehr. Größere Spannungen waren schon 1968, während der Aufnahmen zum sogenannten Weißen Album aufgetreten. Ringo Starr hatte die Kapelle sogar mal zwischenzeitlich verlassen. So ein bisschen hoffte man aber noch, die Gräben wieder zuschütten zu können. Ein Rezept: sich wieder rückzubesinnen auf die frühen Tage der Band. Die Rock-and-Roll-Zeit. In der man einfach, nun ja, spielte. Ohne große Experimente, ohne groß Firlefanz. Und vielleicht könnte man das ja auch mal wieder live tun, oder?
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Am 2. Januar 1969 starteten John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr auf einer großen Tonbühne in den Londoner Twickenham Film Studios ins neue Jahr. Sie stürzten sich in die Proben für ein Projekt, das sie zurück an ihren alten Bestimmungsort bringen sollte: die Livebühne. 21 Tage lang hielten Kameras und Tonbandgeräte fast jede Minute fest. Zunächst in Twickenham und dann in ihrem eigenen Apple Studio, wo Billy Preston an den Keyboards hinzukam. Sie probten neue Eigenkompositionen und jammten einige ältere Songs. Alles wurde dabei eingefangen und für die Nachwelt festgehalten. Keine einfache Phase. John und Yoko waren dem Heroin zugetan, insgesamt arbeitete man mehr schlecht als recht zusammen. Zwischen den Bandmitglieder herrschte wahlweise Eiszeit oder Eruption. Trauriger Höhepunkt: George Harrison verließ für kurze Zeit die Band. Lennon hätte ihn der Legende nach am liebsten mit Eric Clapton ersetzt.
Wie aus „Get Back“ „Let It Be“ wurde
Auch am 30. Januar, als die Beatles gemeinsam mit Preston für ihr allerletztes Konzert auf dem Dach des Büros der Apple Corps in der Savile Row vor einem kleinen Publikum aus Freunden, Familienmitgliedern und allen anderen, die in Hörweite waren, in der Kälte standen, liefen die Kameras mit. Der mittägliche Auftritt brachte das komplette Londoner West End zum Erliegen, weil sich Passanten die Hälse verrenkten und in der kompletten Nachbarschaft die Fenster aufgerissen wurden, um einen besseren Blick zu haben. Eine Welle von Lärmbeschwerden rief auch die Polizei auf den Plan – und auf das Dach, wo sie das Konzert schließlich nach 42 Minuten beendeten.
Im April und Mai arbeitete Glyn Johns an der Zusammenstellung eines Albums, das einmal den Namen “Get Back” tragen sollte. Um seine Vision umzusetzen, verwendete Johns misslungene Anfänge und Plaudereien zwischen den Songs. Außerdem nahm er lieber frühere als spätere, ausgefeiltere Aufnahmen, und sogar die Version von “I’ve Got A Feeling”, die ab einem bestimmten Punkt komplett auseinander fällt und mit John Lennons Entschuldigung endet: “I cocked it up trying to get loud”. Die Band entschied allerdings, das umfangreiche Material mit Tonbändern, Filmrollen und Fotos zurückzustellen, um sich auf die Aufnahmen und Veröffentlichung ihres Meisterwerks „Abbey Road“ zu konzentrieren.
Das letzte Beatles-Album „Let It Be“ basierte auf den Bändern vom Januar 1969 sowie einigen früheren und späteren Sessions. Es erschien am 8. Mai 1970 (in den USA am 18. Mai) parallel zum Start des gleichnamigen Films. Zwar ging das Ding sowohl im UK als auch in den USA auf Platz eins der Charts, die zeitgenössischen Kritiken waren aber teils vernichtend. Uninspiriert, seelenlos, die eigenen Prinzipien über Bord werfend – so lauteten die Vorwürfe. Auch Phil Spectors Produktion bekam dabei ihr Fett weg.
Milder Blick auf „Let It Be“
Heute ist der Blick auf „Let It Be“ milder geworden. So manchem Song muss da eine gewisse Zeitlosigkeit bescheinigt werden. Dem Titelsong natürlich, klar, der letzten Single der Beatles, die McCartney aus der Feder floß und von aufmunternden Worten seiner früh verstorbenen Mutter beeinflusst war. Die ultimative Trost-Ballade. Lennon soll den Track gehasst haben. Oder „Get Back“, das die Back-to-the-Roots-Attitüde der Beatles zu jener Zeit unterstrich. Eine frühere Fassung des Tracks sollte als satirischer Kommentar auf die feindselige Haltung gegenüber Ausländern in Großbritannien funktionieren, führte aber nur dazu, dass McCartney noch Jahre lang unterstellt wurde, er sei ein Rassist. Auch das sphärisch-verträumte „Across The Universe“, das später von David Bowie gecovert werden sollte, gehört zu den stärkeren Nummern auf einer Setlist, deren Tracks tatsächlich oft wie bessere Fingerübungen der Fab Four wirken.
Neuauflage kommt mit Jackson-Doku daher
“Ich fand den Originalfilm ,Let It Be‘ schon immer ziemlich traurig, weil er sich mit der Auflösung der Band beschäftigte. Der neue Film vermittelt die Kameradschaft und unsere tiefe Zuneigung zueinander”, schreibt Paul McCartney in seinem Vorwort zum „Let It Be“-Special Edition-Buch. “Er zeigt auch die tolle Zeit, die wir gemeinsam hatten. Zusammen mit dem neu gemasterten Album haben wir hier eine eindrucksvolle Erinnerung an diese Zeit. So möchte ich die Beatles im Gedächtnis behalten.”
In drei Varianten abgemischt
Produzent Giles Martin und Toningenieur Sam Okell haben das Album in Stereo, 5.1 Surround DTS und Dolby Atmos neu abgemischt. Jede der neuen Versionen von „Let It Be“ enthält den neuen Stereomix des Albums, der sich an Phil Spectors “reproduced for disc”-Version orientiert und auf den original 8-Spurbändern der Studiosessions und der Rooftop-Performance basiert. Die physische und die digitale Super Deluxe Edition enthalten außerdem 27 bisher unveröffentlichte Studioaufnahmen, eine EP mit vier Tracks und den bisher unveröffentlichten Stereo-LP-Mix mit 14 Tracks, zusammengestellt von Toningenieur Glyn Johns im Mai 1969.
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