Zurück in die Zukunft: 13 Jahre nach seinem Popkultur-Klassiker „Retromania“ legt der renommierte Musikjournalist Simon Reynolds mit „Futuromania: Elektronische Träume von der Zukunft“ ein spannendes Nachfolgewerk nach. Diesmal liegt der Fokus auf der elektronischen Musik.
Es ging ihm um nicht weniger als die Zukunft des Pop. Als der britische Musikjournalist Simon Reynolds im Jahr 2010 sein Buch „Retromania: Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann“ veröffentlichte, nahm der die Nostalgie-Kultur unter die Lupe. Das ewige Recycling des Gestrigen. Sei es in Form von Sampling, Covern, dem Veröffentlichen von Reissues oder auch Neuverfilmungen bekannter Filmstoffe. Die Abwesenheit von Neuem, von Bahnbrechendem, von Innovativem trieb Reynolds um. Geadelt wurden seine Thesen dann durch das nachfolgende Jahrzehnt. Die Erfolge von Künstlern wie Lana Del Rey sowie die allgemeine, erfolgreiche Rückbesinnung auf die Sounds der 1980er Jahre (unter anderem durch The Weeknd, Miley Cyrus) stützten seine These. Auch der Einsatz von KI, die das vermeintlich Neue ja nur durch Recycling von Bestehendem generiert, passt da dazu.
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„Retromania“ wurde zum Standardwerk des Journalisten, der unter anderem für „The Guardian“, „The New York Times“ oder „The Wire“ schrieb. „Futuromania“ ist nun sozusagen die Fortsetzung seines Bestsellers, der Titel eine klare Bezugnahme, aber auch eine positive Umkehrung, die Reynolds selbst in seinem Buch schreibt. Sei Retromania ein weitgehend negatives Konzept, das ein kulturübergreifendes Unbehagen beschreibt, gehe es bei „Futuromania“ nicht um Unbehagen, „aber vielleicht eine gefährlich übersteigerte Lebendigkeit, ein krankhafter Erregungszustand, der sich auf alles in der Gegenwart bezieht, das plausibel als der ‚gegenwärtige Sound von morgen‘ beschrieben werden könnte. Futuromania beschreibt eine geradezu fantastische Unruhe und Ungeduld.“
Der Widerspruch, dass vermeintliche Musik von morgen ja im Heute gemacht werde, und damit nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart beschreibt, ist Reynolds dabei bewusst. Für ihn ist der Hang zum Futuristischen zum einen mit Prahlerei verbunden, zum anderen aber eben auch mit der Lust auf Zukunft, auf Überraschung, auf Bruch mit Tradition und Konvention.
Texte aus drei Jahrzehnten
All das beschäftigt Reynolds schon seit vielen Jahren. Das neue Buch versammelt daher auch rund 30 Aufsätze, die teils schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Es sind spannende, informative Texte über Musik, die zu der Zeit ihres Erscheinens die Zukunft scheinbar vorhersagen konnte. Egal, ob diese Zukunft utopisch oder dystopisch verstanden wurde. Musik also, die eine Prognose künftiger Gegebenheiten wagte und dabei bewusst auf das Andere als auf das Gegenwärtige setzte. Ein Fokus in „Futuromania“ liegt dabei auf elektronischen Soundpionieren. Kraftwerk, Giorgio Moroder, Missy Elliot, Migos und Daft Punk etwa. Vormals vorwärtsgewandte Spielarten des Pop wie Electronic Body Music, Detroit Techno, Synthpop und New Age werden als Soundtrack für unsere Vorstellungen von einem ungewissen Morgen in Erinnerung gebracht. Musikalische Science-Fiction.
Lesezeichen: Simon Reynolds – „Futuromania: Elektronische Träume von der Zukunft“; Klappenbroschur, 384 Seiten, Ventil Verlag, ISBN 978-3-95575-180-7
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