Die niedersächsischen Indie-Rocker von Madsen boten am Freitag in der ausverkauften Lauterer Kammgarn eine energiegeladene Show – und ließen Erinnerungen an vermeintlich einfachere Zeiten aufflackern.
Es war eine andere Zeit, damals, im Jahr 2005 als Madsen ihr Debütalbum veröffentlichten. Über unsere Erinnerungen legte Instagram noch keine Filter, genetzwerkt wurde hierzulande noch über MySpace und StudiVZ und nicht über Facebook. Musiksender wie MTV oder Viva konnten noch maßgeblich mitbestimmen, welche Band den großen Durchbruch schafft oder nicht stattfindet. YouTube war in dem Jahr gerade erst gegründet worden. Und Musik wurde noch auf CD oder dem iPod gehört. Das Smartphone war ja noch gar nicht erfunden, die Welt steckte noch nicht kompakt in unseren Hosentaschen. Und: Als der selbstbetitelte Madsen-Erstling im Mai 2005 erschien, war Angela Merkel noch nicht mal Kanzlerin.
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All das schießt einem durch den Kopf, als die ersten Akkorde von „Vielleicht“ in der Kammgarn ertönen. Man neigt ja manchmal dazu, die Vergangenheit nostalgisch zu verklären, über die Jahrzehnte verblassen die Erinnerungen an das Negative ja wie der Club-Stempel auf dem Handrücken nach einer durchtanzten Nacht. Ja, 2005 war rückblickend sympathisch, weil es noch analoger zuging. Man konnte sich vom ständigen Informationsstrom noch leichter abschneiden. Die Unschuld der 1990er war nach 9/11 zwar längst verloren, vier Jahre später erschien im Rückblick aber das Sommermärchen 2006 auch schon wieder so langsam am Horizont.
Teil der Neuen Neuen Deutschen Welle
Zum Soundtrack dieser Zeit, in denen Deutschland für einen kurzen Moment in den hellsten Farben strahlte, gehörten die Bands der sogenannten Neuen Neuen (!) Deutschen Welle. Diese um die Jahrtausendwende entstandene Bewegung war heterogener als ihr Pendant der späten 70er und frühen 80er, die Neue Deutsche Welle, aber mit letzterer gemeinsam hatte sie, dass deutschsprachige Musik plötzlich wieder schwer im Mainstream angesagt war. Auch Madsen waren Teil dieses neuen Aufschwungs der deutschen Sprache in der Musik.
Das Interesse an der Band ist auch nach dieser langen Zeit nicht verflogen. Das kann man zum einen an den Besucherzahlen ablesen: Die Kammgarn war ausverkauft, keine Selbstverständlichkeit. Zwar war die Band aus dem niedersächsischen Prießeck schon sieben Mal in Kaiserslautern – das erste Mal als Vorband 2001, noch unter dem Namen Hoerstuatz –, aber nun schon auch wieder zehn Jahre lang nicht mehr. Die Fans in der Pfalz haben sie in der Zwischenzeit aber augenscheinlich nicht vergessen.
Das erste Mal ganz oben
Zum anderen kann man es auch am Erfolg des letzten Albums „Hollywood“ ablesen. Mit der 2023 veröffentlichten Platte gelang den drei Madsen-Brüdern (Sänger Sebastian, Drummer Sascha, Gitarrist Johannes) und Bassist Niko Maurer (live werden die Vier ergänzt durch Gitarrist Martin Krüssel und Keyboarderin Lisa Nicklisch) das erste Nummer-eins-Album in der langen Bandkarriere.
Umso bemerkenswerter, dass es kein Song der Nummer-eins-Platte auf die Setlist in Kaiserslautern geschafft hat. Die wird dominiert vom Debütalbum, das im ersten Teil des Abends in Gänze vorgetragen wird. Der Rest ist ein Ritt durch den Bandkatalog, garniert mit ein paar eigenwilligen Cover-Versionen („Angels“ von Robbie Williams, „Hey Hey Wickie“ aus der Zeichentrickserie).
Song gegen Rechts
Das Publikum: textsicher. Und das nicht nur bei Beiträgen aus dem Debütalbum, zu dem ja der Klassiker „Die Perfektion“ gehört. Gänsehaut, als bei „Sirenen“ die Bühne in rotes Licht getaucht wird, und Sebastian singt: „Hörst du die Sirenen? Sie singen ein Lied/ Wir sind hier drinnen/ Und draußen herrscht Krieg/ Hörst du die Sirenen/ Sie weinen für dich/ Ich kann’s nicht verstehen/ Sag mir/ Warum hörst du Sie nicht?“ Die Zeilen haben seit 2015 leider an Dringlichkeit gewonnen.
Nicht der einzige politische Moment des Abends. Mit „Faust Hoch“ einem Song gegen Rechts, die neueste Single der Band, beweisen Madsen Haltung. Und Kaiserslautern reckt die Fäuste in den Himmel. Gegen den Faschismus.
Das Ende des Abends? Euphorisch. Im Zugabenteil singt Drummer Sascha, seinen Platz am Schlagzeug hat Sänger Sebastian eingenommen. Sascha lässt sich auf den Händen des Publikums durch den Saal tragen, um sich beim Sound-Mann ein Feierabend-Bier abzuholen. Ein echter Rock’n’Roll-Moment. Die Botschaft des finalen Songs, „Lass die Musik an“, würde am Ende der rund zweistündigen Show wohl jeder Besucher so unterschreiben.
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