Iggy Pop (foto: Fiege)

Live: Iggy Pop in Frankfurt – Die rohe Kraft des alten Jungen

Er ist der Urvater des Punk – und der letzte Überlebende der Stooges: Iggy Pop.  Am Sonntag brachte der 75-jährige Musiker die Alte Oper in Frankfurt zum Beben – und bewies erneut, dass er unkaputtbar ist.

Immer dann, wenn man im Begriff ist, ein Konzerthaus zum ersten Mal aufzusuchen, stellt sich unweigerlich die Kleiderfrage. Vor allem dann, wenn es einen Widerspruch gibt und das auf der Bühne Gebotene eigentlich nicht so ganz zum vermuteten Ambiente der Veranstaltungsstätte passen möchte. Iggy Pop in der Alten Oper Frankfurt, bei dieser Schwüle, kurze Hosen ja oder nein? Man hat sich dann für „Nein“ entschieden, obwohl die oberste Faustregel für Kulturgänger – man sollte immer mehr anhaben als der Protagonist auf der Bühne – ja bei Iggy Pop zweifellos auch bei einem Entschluss für mehr Beinfreiheit nicht gebrochen worden wäre.

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Denn natürlich war gleich im ersten Song des Abends, „Five Foot One“, bei Iggy der  Knopf des Sakkos geöffnet, und kurz darauf wirbelte der Gute  denn auch so, wie man ihn kennt, über die Bühne: oberkörperfrei. Der Mann aus den Trailer-Parks in Ypsilanti, Michigan, hat den vielleicht legendärsten Torso des Rock, seine Physis wurde für ihn ebenso ein Markenzeichen wie die Tolle für Elvis, der Pilzkopfschnitt für die frühen Beatles oder das Make-Up für Kiss. Weil es eben auch so gut passte: Iggy Pop und seine Stooges machten Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre Musik für den ganzen Körper. 

Musik für den ganzen Körper

„Zu einer Zeit, als Hippies ,Kopfmusik’ machten, machten er und seine Stooges  Musik für jeden anderen Teil der Anatomie, eine viszerale Kakophonie, die er buchstäblich verkörperte – Sex und Gewalt in einem engen, aufregenden, beängstigenden Paket“, schrieb Matthew Singer mal in der US-amerikanischen „Willamette Week“ über den Godfather of Punk, der sich auf der Bühne ja auch gerne mal  Erdnussbutter auf die Brust rieb oder sich die   Arme ritzte, wenn er nicht gerade ins Auditorium sprang. Ein Vorreiter des Stage Divings. „Eine Anakonda auf Speed“, beschrieb ihn mal der „Rolling Stone“.

Den von Narben gezeichneten, gegerbten Körper präsentiert Iggy Pop, immerhin auch schon 75, mit Stolz – und auch ins Publikum lässt er sich  im fortgeschrittenen Alter noch gerne fallen, wie man in Frankfurt beobachten konnte. Seine Bühnenshow hat von der rohen Kraft beeindruckenderweise nichts eingebüßt. 

Viel Stooges-Material

Die Setlist an diesem Sonntagabend in der Main-Metropole besteht vor allem aus älterem Iggy-Pop-Material. Stolze neun der insgesamt 21 Songs stammen aus Stooges-Zeiten, darunter „Search and Destroy“ und „I Wanna Be Your Dog“, die meisten anderen aus den Solo-Jahren 1977 bis 1982. Klar, dass das Publikum dabei vor allem auf die großen Solo-Hits „Lust for Life“ (das von David Bowie mitgeschrieben wurde) und „The Passenger“ besonders steil geht, beide aus dem Solo-Album „Lust for Life“ (1977) und beides Repräsentanten jener Phase, in der Pop und Bowie gemeinsam in West-Berlin lebten und arbeiteten.

In guter Erinnerung sollten an diesem Abend aber auch das pulsierend-gespenstische „Nightclubbing“ und „Sister Midnight“ (beide aus Iggy Pops Solo-Debüt „The Idiot“ von 1977)  , das düstere „The Endless Sea“ sowie das treibende Neu!-Cover „Hero“ bleiben. 

Mit „Free“, „Love Is Missing“ und „James Bond“ hatte Pop aber immerhin auch drei Songs aus seinem jüngsten Album „Free“ (2019) am Start, leider aber keinen einzigen aus dem für einen Grammy nominierten „Post Pop Depression“ (2016) – das wäre  die  Kirsche auf der Sahne  gewesen. 

Die wilde Lebenslust ist ungebrochen

Am Ende bleibt festzuhalten: Die langen Hosen waren dann doch allgemein akzeptierte Auditoriumsetikette (gute Entscheidung also!). Und die wilde Lebenslust des ewigen Proto-Punks Iggy Pop überträgt sich nach all den Jahren immer noch von Musiker auf Publikum. Vielen Künstlern nimmt man ja ihre zur Schau gestellte Jugendlichkeit ab einem gewissen Alter nicht mehr ab, Iggy Pop wirkt in seiner Rohheit, seiner Ungeschliffenheit  trotz seiner Betagtheit authentisch (auch wenn jeder über die Bühne geworfene Mikrofonständer dann gleich wieder brav von einem auf die Bühne huschenden Crew-Mitglied  aufgerichtet wird).

Und natürlich fällt einem bei dieser Feststellung auch gleich diese himmelschreiende Ungerechtigkeit auf, dass dieselben, die  Iggy Pop für seine Unbeirrtheit in Sachen Textilfreiheit feiern, eine sogar noch jüngere Madonna am liebsten von Christo verhüllen lassen würden, sobald diese es wagt, sich nicht „altersgerecht“ wie  Tante Hetty von nebenan zu kleiden. Dabei sollte man einfach froh sein, dass solche Legenden noch unter uns weilen – und performen. 

Oder um es mit Iggy Pop zu sagen, der die Alte Oper buchstäblich zu seinem „Fun House“ machte: „Ich bin ein alter Junge, wir werden alle sterben, also lasst uns Spaß dabei haben.“

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