Reggae – da denkt man normalerweise eher an Sonne, Strand und Meer als an Blechlawinen auf einem großen Messe-Areal. Aber: Auch in diesem Setting kann er funktionieren. Das hat das Konzert von Gentleman auf dem Mannheimer Maimarktgelände vor 500 Autos eindrucksvoll bewiesen.
Wenn ein Künstler ein neues Album veröffentlicht, dann bewirbt die Plattenfirma das oft gerne als „das persönlichste“, das dieser bisher veröffentlicht hat. Das muss anscheinend einfach so sein, selbst wenn es sich um eine reine Instrumentalplatte handelt. Häufig ist dann im sogenannten Waschzettel zum musikalischen Erzeugnis auch die Rede von einer „Neuerfindung“ des Künstlers, weil heutzutage ja alles auch immer irgendwie innovativ klingen muss.
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Und so überrascht es natürlich nicht, dass das Label Universal Music bei der Bewerbung des neuen Gentleman-Albums, das im September erscheinen soll, in eben diese PR-Sprech-Trickkiste greift. Jaja, natürlich werde das Album „Blaue Stunde“ Gentlemans bisher „persönlichster Song-Zyklus“ (check!). Und außerdem sei es das Ergebnis einer ultimativen Herausforderung und als ein „Avatar für Gentleman 2.0.“ zu verstehen (da haben wir sie, die Neuerfindung – check!).
Gentleman singt jetzt auch auf Deutsch
Nur: Im Falle von Gentleman ist da ausnahmsweise mal etwas Wahres dran. Denn tatsächlich beschreitet der Gute auf der neuen LP auch neue Wege. Nicht unbedingt musikalisch, da ist der Mann immer noch mit beiden Beinen im Reggae, vornehmlich im Roots-Reggae, verortet, keine Frage. Aber: Sprachlich! Da hat sich etwas getan. Gentleman singt auf der neuen Platte nämlich überraschenderweise auf Deutsch. Der Kosmopolit Tilmann Otto – in Osnabrück geboren, in Köln aufgewachsen und auch heute noch wohnhaft, aber immer wieder in die Karibik pendelnd – macht es da deutschen Pop-Kollegen wie Sarah Connor oder Lena Meyer-Landrut nach, die in den vergangenen Jahren ebenfalls in ihrer Kunst zu ihrer Muttersprache fanden.
Publikumstest bestanden
Nun klingt Reggae auf Deutsch ja zunächst erst einmal schräg oder wenigstens gewöhnungsbedürftig. Aber: In Mannheim haben die neuen Songs den Publikumstest auf jeden Fall schon mal bestanden. Ein paar der neuen Stücke hatte Gentleman auf die Setlist gefriemelt. Die meisten von ihnen sind an diesem Abend noch namenlos geblieben, aber: Live kamen sie gut. Vor allem natürlich „Ahoi“, das als erste Single aus der bald erscheinenden Platte ausgekoppelt wurde. „Augen zu, Schaukelstuhl, ausgeruht, viel Zeit statt ausgebucht, Sweet Life statt Rausch und Blues“, reimt Gentleman in jenem Song, der nach eigener Aussage von der Seele handelt, „die drei Tage braucht, ehe sie ankommt – was fast nie gelingt, wenn man am nächsten Morgen immer schon wieder weg ist und die Zeit zur Reflexion und Verarbeitung von Erfahrungen fehlt“.
Der Song soll die Blaupause des neuen Albums sein, wie man hört, es soll viel darum gehen, den Fuß vom Gas zu nehmen und endlich runter von der Überholspur zu kommen. Tilmann Otto, Jahrgang 1975, ist im Midlife angekommen.
Immer noch in Form
Auf der Bühne merkt man ansonsten aber davon nichts. Der Mann ist immer noch gut in Form und energiegeladen; seine Musik versprüht immer noch diese sommerlich-jugendliche Frische, wie sie es schon vor mehr als 20 Jahren tat. Die Texte selbst sind dabei keineswegs oberflächlich, oft sogar ziemlich politisch. In Nummern wie „Dem Gone“ oder „Superior“, beide an diesem Abend in Mannheim natürlich ebenfalls auf der Setlist, prangert er soziale Ungerechtigkeiten und die Unterdrückung von Minderheiten an. Der rote Faden ist bei Gentleman aber das Thema Liebe. Love, Peace and Unity, klar, das klassische Reggae-Motiv, das es ihm angetan hat, seit er als Steppke erstmals in die Reggae-Platten seines Bruders reinhörte. Mit 17 reiste Otto das erste Mal nach Jamaika, spätestens nach der Veröffentlichung seines Hits „Intoxication“ 2005 ist es eine wechselseitige Liebesbeziehung zwischen dem Deutschen und dem karibischen Inselstaat.
Auch die Beziehung zum Mannheimer Publikum scheint einigermaßen innig. Die Stimmung ist auf jeden Fall gut, die positiven Vibes verbreiten sich auch übers Autoradio überraschend gut. Nach rund zwei Stunden ist die Show zu Ende. Gentleman verneigt sich am Ende nochmal mit ein paar Coverversionen vor seinem großen Vorbild Bob Marley, darunter „Redemption Song“ und „Don’t Rock My Boat“. Rastafari-Liebe.
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