Der rappende Liedermacher gönnte sich eine Einfahrt mit größtmöglicher, wenn auch augenzwinkernder Grandezza: Mit einem Caddy ließ sich Alligatoah am Samstagabend majestätisch zur Bühne auf dem ausverkauften Mannheimer Maimarktgelände kutschieren. Hat durchaus gepasst. Das Carstival-Publikum wurde danach nämlich königlich unterhalten.
Nein, sind wir ehrlich: So ein richtig gutes Bild hat die deutsche Rap-Landschaft in Corona-Zeiten nun nicht abgegeben. Auffallend viele Vertreter der Szene waren in den vergangenen Wochen doch irgendwie eher auf Linie des veganen Star-Kochs und des Reichsbürger-Bespaßers unterwegs und mischten munter mit im Verbreiten von krudesten Verschwörungstheorien. Ob sie nun Fler, Sido oder Ali Bumaye hießen, ob es um Corona selbst, verschwundene Kinder und reiche Männerzirkel oder Bill Gates ging. Eine gefährliche Gemengelage, handelt es bei Rap und Hip Hop doch um die derzeit populärsten Genres bei jugendlichen Hörern. Das Publikum, das diese Leute finden, ist also entsprechend groß.
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Einer wie Alligatoah könnte da also durchaus zur Ehrenrettung des Genres herhalten. Der Mann, der bürgerlich Lukas Strobel heißt, gilt ja hierzulande als einer der intellektuelleren Vertreter dieser musikalischen Kunstform, auch wenn er sich selbst so nicht beschreiben würde, wie er schon hier und da in Interviews verlauten ließ. Aber: Einen kleinen Seitenhieb gegen seine so viel Gift versprühenden Kollegen hatte der Gute am Samstagabend in Mannheim dann doch im Ärmel: „Wollt ihr die neuste Verschwörungstheorie hören? Corona ist eine Scheibe.“
Von Slipknot und Rolf Zuckowski beeinflusst
Um ehrlich zu sein: Wahrscheinlich würde sich Strobel nicht nur ungern als intellektuell bezeichnen lassen, nein, wahrscheinlich würde er sich auch dagegen wehren, von einem faulen Schreiberling einfach in die Schublade „Rapper“ gepackt zu werden, weil es eben gerade bequem ist. Denn eigentlich ist er ja auch vielmehr als das. Ein Sänger, der von sich behauptet, gleichermaßen von der US-Metal-Band Slipknot und Kinderlieder-Papst Rolf Zuckowski beeinflusst worden zu sein, der aber auch Komponist, Produzent, Gitarrist, ja, auch Songwriter beziehungsweise Liedermacher ist, wenn man die oft gesellschaftskritische Dimension seiner Texte besonders betonen möchte.
Neben dem Umstand, dass Alligatoah – trotz des dazu einladenden Namens – als gefühlt einziger deutscher Rapper (wir bleiben der Einfachheit halber nun dabei) keine Tiermaske trägt, sind es eben genau diese Texte, die ihn von seinen Kollegen im Wesentlichen unterscheiden. Clever, wortwitzig, humorig sind seine Lyrics, auch wenn die Themen hier und da ernst sind – und vor allem weitgehend frei von diskriminierenden Begrifflichkeiten. Und wenn es derlei dann vielleicht doch mal gibt, wie etwa im Lied „Meine Hoe“ (zu deutsch: „Meine Nutte“), dann ist der Kontext entscheidet. Denn anders als es der Titel vermuten lässt, ist diese Nummer, die Alligatoah auch in Mannheim im Gepäck hatte, eine, die die Emanzipation feiert. In einem Genre, dessen Vertreter oft noch ein schiefes, überholtes, breitbeiniges Männlichkeitsbild pflegen, eine durchaus erwähnenswerte Ausnahmeerscheinung.
Der senfgelbe Panther
Alligatoah hat mit diesem testosterongeschwängerten Gepose und Getue wenig zu tun. Er ist einer, der sich selbst nicht so ernst nimmt, der sich selbst auch gerne zum Narren macht, wie sein Publikums-Geplänkel zwischen den Songs, aber auch der geschmacklosen senfgelbe Anzug zeigt, in den er sich für den Auftritt auf dem Maimarktgelände gezwängt hat. Seine Band musste derweil in Bademäntel in gleicher Farbe schlüpfen. Ein visuelles, nun ja, Erlebnis, das einzige, wenn man so will, denn auf ein ausgefeiltes Bühnenbild – sonst ein Markenzeichen – hat Alligatoah bei dieser Autokino-Tour verzichtet. Dass der Niedersachse mittlerweile im besten Sinne des Wortes Routine im Bespielen dieser Art von Location hat, zeigt sich schnell. „Und jetzt die Scheibenwischer!“, animiert er sein Publikum, später fordert er es auf, im Auto zu pogen: „Im kleinsten Moshpit der Welt!“
Etwas mehr als zwei Stunden geht das so, der Mann hatte das Publikum dabei von Anfang an in der Hand. Und wer dem Konzept „Autokino-Konzert“ zunächst kritisch gegenüber stand und fürchtete, dass sich dabei die Energie von der Bühne eventuell nicht über das Autoradio in den Wagen übertragen könnte, wurde schnell eines Besseren belehrt. Alligatoah, der am Samstag vor allem auf Songs aus seinem 2018er Album „Schlaftabletten, Rotwein V“ setzte, ist ein Entertainer durch und durch. Einer, der sein Handwerk versteht, sogar Werbejingles performen kann und dabei noch unterhaltsam ist.
Am Ende: drei Zugaben, „Nicht wecken“, „Willst Du“ und „Wie zuhause“. Das Publikum war happy, es hupte und blinkte zufrieden (Ein Satz, von dem man als Autor nie dachte, ihn mal zu schreiben; Anm. d. Red.). Alligatoah augenzwinkernd: „Mannheim, ihr seid super gewesen. Verzeihung, wenn das jetzt irgendwie überrascht klingt. Ich komme wieder. Bei der nächsten Pandemie!“
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