Bands wie Kraftklub sind rar geworden. Bands mit Haltung. Fünf Jahre nach ihrem bis dato letzten Album kehren die Chemnitzer nun mit einem neuen – ihrem nunmehr vierten – Album zurück. „Kargo“ knüpft dabei stilistisch an den Vorgänger „Keine Nacht für Niemand“.
Endlich. Fünf Jahre sind ja eine lange Zeit im heutigen Musikgeschäft. Wirklich lange. Kraftklub haben da länger pausiert als manch andere Band überhaupt existiert. Da konnte auch Kummer, das erfolgreiche Solo-Projekt von Frontmann Felix Kummer alias Felix Brummer, nicht wirklich darüber hinweghelfen. Wir haben sie vermisst, die Chemnitzer Band, die ja immer Haltung gezeigt hat und schon dadurch so unheimlich wichtig für die deutsche Musiklandschaft ist.
anzeige
Musikalisch hat sich dabei gar nicht so viel geändert. Zum Glück, möchte man sagen. “Kargo” klingt immer noch schwer nach Kraftklub, die Band ist ihrem Sound treu geblieben. Die zackigen Gitarren, die 4-to-the-floor-Beats, die zur ekstatischen Größe neigenden Refrains, das alles ist noch da. Zum Glück, möchte man sagen. Das hat Wumms, hat aber immer Stil, ist nie überfrachtet, nie überladen.
Inhaltlich bleiben Kraftklub gewohnt gesellschaftskritisch. „Kargo“ ist das erste Kraftklub-Album seit Beginn der Coronakrise. Die Themen der Band sind nicht neu, aber immer noch relevant. Klimakrise, Rechtsruck, Pandemie. Die Lyrics haben Schärfe und oft auch Witz, hier und da weisen sie aber auch eine gewisse Melancholie auf. Das zeigt sich gut in einem Song wie “Wittenberg ist nicht Paris”, in der die Band die zunehmende politische Gemütlichkeit einer Generation ins Visier nimmt, die zwar älter, aber nicht unbedingt kritischer oder sich ihrer Privilegien bewusster geworden ist. Eine wunderbare, Musik gewordene Gesellschaftsanalyse. Trotz Wiedervereinigung macht es eben immer noch einen Unterschied, ob jemand in Ost oder West auf die Welt kommt.
Auch “Vierter September” ist eine Bilanz. Eine Einordnung, ja, fast schon eine Abrechnung. Mit den Ereignissen rund um die “Wir sind mehr”- Bewegung, bei der Kraftklub federführend mitgewirkt haben und mit der Tatsache, dass der Alltag danach verdächtig schnell wieder Einzug hielt. “Wir haben nie als Band öffentlich über das Thema geredet, aber die Zeit damals war sehr intensiv für uns. Das ist der Versuch, in Songform ein paar Dinge einzuordnen”, sagt Felix dazu. Ein bissiger Track mit einer zentralen Botschaft: Wir haben es uns auch an dieser zu bequem gemacht. Die Folgen davon sind seit langem sichtbar.
Glänzende Kollaboration mit Tokio Hotel
Das Glanzlicht des Albums ist aber die überraschende Kollaboration mit Tokio Hotel, die so überraschend bei genauerem Hinsehen dann gar nicht ist. Es gibt biografische Übereinstimmungen, man hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Die einen in Magdeburg, die andren in Chemnitz. “Fahr mit mir (4×4)” zeigt Rasengitterdeutschland den Mittelfinger. Ein Song über fehlgeleitete Provinzfolklore. Kummer und Kaulitz besingen hier überaus catchy ostdeutsche Heimatbeklemmung und Spießertum. Ein Song wie ein Roadtrip, weit, hoch und kühl wie ein Maisfeld im August. Ganz großes Kino. Nicht der einzige Gastauftritt auf “Kargo” übrigens. Auch Blond („So schön“) und Mia Morgan („Kein Gott, kein Staat, nur du“) geben sich auf der Platte die Ehre.
Selbstironisch darf es dann auch mal werden. Songs wie “Teil dieser Band” könnten auch von Farin Urlaub stammen. Brummer stellt im Chorus fest: “Ich kann nicht singen/ Ich spiel kein Instrument/ Aber alle am Springen/Und ich schrei den Refrain”. Herrlich erfrischend. Und geht ziemlich nach vorn.
Einen wirklich schwachen Song gibt es auf „Kargo“ nicht. Keiner deutschen Band gelingt es derzeit so sehr, das Leben in diesem Land abzubilden. Und so kann man es kaum erwarten, die Songs der LP dann auch live auf der Bühne zu erleben. Im November soll es soweit sein.
anzeige