Nosie Katzmann (foto: Patrick Liste)

Interview: Nosie Katzmann über 30 Jahre „Mr. Vain“, die Utopie des Eurodance und Nostalgie

Musikproduzent Nosie Katzmann hat den Sound der 1990er-Jahre in Deutschland geprägt wie kaum ein Zweiter. In diesem Jahr wird sein größter Hit („Mr. Vain“, Culture Beat) 30 Jahre alt. Benjamin Fiege sprach mit „Mr. Eurodance“ über ein unterschätztes Genre, Nostalgie-Kultur und den Sound of Frankfurt.

Herr Katzmann, Sie sind offenbar ein Prophet. In unserem letzten gemeinsamen Interview, 2017, hatten Sie vorhergesagt, dass Eurodance von jungen Leuten wiederentdeckt werde. Genau das passiert gerade. Als nächstes möchte ich mit Ihnen übrigens gerne über die Lottozahlen sprechen …

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(lacht). Das ist einfach die Erfahrung aus einer langen Karriere im Musikgeschäft. Es kommt alles wieder, wenn vielleicht auch leicht verändert. Eurodance ist  zutiefst europäisch,  die Grenzen werden auch musikalisch immer fließender. Und: einige erfolgreiche Produzenten der Eurodance-Zeit, etwa Christian Geller und Felix Gauder, sind heute groß im Schlagergeschäft, weshalb sich im modernen Schlager auch viele Eurodance-Elemente finden.

Die Neunziger Jahre werden popkulturell gerade in Gänze wiederentdeckt.  Ist das auch ein Ausdruck davon, dass wir uns in diesen krisengeschüttelten Zeiten in eine vermeintlich einfachere Zeit zurücksehnen? Das Ende des Kalten Krieges, Wiedervereinigung, Weltmeister …

Ich denke nicht, dass das etwas miteinander zu tun hat. Im Gegenteil: Ich glaube, dass wir bald wieder eine Welle an großen, politischen Protest-Songs erleben werden. Vielleicht wird es sogar einen neuen Bob Dylan geben. In den Zeiten solcher Krisen wollen die Menschen nicht nur Oberflächliches. Man will nicht „Schubidu“ singen, während ringsum Bomben fallen.

Der Musikjournalist Simon Reynolds schreibt in seinem Buch „Retromania“: „Wir leben in einem Zeitalter des Pop, das völlig verrückt ist nach permanenter Erinnerung“. Sind wir in einem ewigen Nostalgie-Kreislauf gefangen? Waren die Neunziger Jahre mit Techno und Dance das letzte innovative Jahrzehnt des Pop?

Ich glaube nicht, dass wir am Ende der Fahnenstange angekommen sind. Es wird immer wieder etwas Neues geben. Alles steht und fällt  mit der Technologie. Neue Technologien ermöglichen neue Formen des Ausdrucks. Man konnte in den 1980ern und 1990ern mit den Synthesizern und Keyboards ganz anders instrumentieren als zuvor. Da wird es sicherlich wieder etwas Neues geben. Gleichzeitig aber fördert natürlich die aktuelle Technologie, das Internet, Streaming, aber auch die Erinnerungskultur. Alles ist jederzeit verfügbar, alles kann jederzeit wiederentdeckt werden und einen Trend auslösen.

Ist das auch was, was sie als Produzent immer noch versuchen? Dem nächsten Trend, dem nächsten großen Ding nachspüren?

Trends haben mich eigentlich nie interessiert. Ich habe immer das gemacht, was mir in dem Moment gefallen hat und gehofft, dass es dann auch anderen gefällt. Zum Glück hat das oft genug geklappt.

Eurodance und Diversität

Gesellschaftlich schien Eurodance seiner Zeit voraus. In einer Phase, in der es in  Deutschland  viele rassistische Anschläge gab, waren die deutschen Charts divers wie nie. Die Soziologin Nadia Shehadeh bezeichnete die Eurodance-Idole der Neunziger Jahre, oft ja People of Color,  als Utopie, die damals aber kaum jemand verstanden hat.

Wir haben uns natürlich damals über Themen wie Diversität keine großen Gedanken gemacht, das hat sich im Grunde so ergeben. Auch bedingt dadurch, dass es damals noch die vielen amerikanischen Kasernen gab und hier entsprechend viele amerikanische Musiker unterwegs waren. Unter Musikerin ist es aber ohnehin so, dass man einfach mit anderen Musikern spielen will, wenn sie gut sind. Die Herkunft, die Hauptfarbe, das spielt  für Musiker keine Rolle.

Oft wurden die Sänger beziehungsweise Sängerinnen von Eurodance-Projekten  einfach ausgetauscht. Shehadeh sagt, sie waren Mittel zum Zweck, spricht dabei von einer Unsichtbarwerdung der Interpreten hinter den großen Erfolgen der Songs.

Ich denke, das ist in anderen Genres nicht anders. Schauen Sie sich doch einmal die meisten Rock-Bands an: Da kennt man für gewöhnlich wenn überhaupt den Namen des Frontmanns oder der Frontfrau. Nur Nerds wissen, wie der Gitarrist von Coldplay heißt. Bei den Dance-Acts der Neunziger Jahre war es dann auch so, dass der eigentliche Star der DJ war. Er war das Gesicht des Projekts, der sich dann Sänger und Sängerinnen suchte, diese aber auch auswechselte.

Frankfurt: Wiege des Eurodance

Am Soundtrack des Jahrzehnts haben Sie ja maßgeblich mitgebastelt. Warum war denn ausgerechnet Frankfurt eine Wiege des Eurodance?

Das hat auch viel damit zu tun, dass es dort damals eine lebendige Musikerszene gab, gefördert durch drei große Plattenfirmen vor Ort. CBS (heute Sony), ZYX, Bellaphon. Es gab viele Bands, viele Clubs, mit dem Dorian Gray die damals vielleicht beste Disco Deutschlands. Da war dann einiges los. Als die großen Plattenfirmen dann um die Jahrtausendwende nach Berlin und Hamburg sind, ist das eingeschlafen.

Haben Sie den DJ Torsten Fenslau, mit dem Sie „Mr. Vain“ schrieben, auch im Dorian Gray kennengelernt?

Wir kannten uns tatsächlich aus Darmstadt, weil wir beide dasselbe Lieblingscafé hatten. Da kommt man als Musiker automatisch irgendwann ins Gespräch.

Gemeinsam haben Sie viele Hits produziert. Wie war denn die Arbeitsaufteilung zwischen Ihnen?

Ich war als Songschreiber für den Text und die Melodie zuständig. Torsten hat dann den Zeitgeist hereingebracht, wusste, welcher Bass da jetzt passte und welcher eher langweilig war. Jens Zimmermann, der Dritte im Bunde, war dann der Technik-Experte. Ein Kompetenzteam, in dem jeder die Stärken und Kompetenzen des anderen respektiert hat. Ich liebe es, in solchen Teams zu arbeiten.

Die Entstehung von „Mr. Vain“

„Mr. Vain“ wurde jetzt 30 Jahre alt. Wie ist dieser Song entstanden, was war die Inspiration?

Es sind zwei Zufälle zusammengekommen. Zum einen hatte mir Steven Levis eine Kassette überreicht, mit der Bitte, mal reinzuhören. Ich habe damals viele Kassetten von vielen Menschen bekommen. Die Kassette hatte ich zu Hause erst einmal abgelegt. Ich war dann in einem Darmstädter Café, als ein Musiker, den ich auch kannte, dort mit einer Frau aufschlug. Er prahlte damit, was für ein toller Hecht er sei, zeigte auf mich und sagte zu ihr: Das ist der Nosie, er ist auch Musiker. Sie musterte mich und antwortete: Er sieht gar nicht aus wie ein Musiker. Das hat mich  in meiner Eitelkeit getroffen. Wie sieht ein Musiker denn aus bitteschön? Ich sagte ihr dann, als ihr Typ gerade auf dem Klo war, sie solle mich später anrufen, ich würde ihr etwas vorsingen und sie würde sich in mich verlieben. Sie fand das unmöglich, rief aber wirklich an.

Und hat sie sich verliebt?

Sie mochte meine Stimme, mehr nicht (lacht). Aber das reichte auch schon. Ich hatte meinen Punkt gemacht. Aus diesem Erlebnis entwickelte sich dann der Text zu „Mr. Vain“. Auf der Kassette von Steven Levis fand ich dann den perfekten Beat dazu. Eigentlich wollten wir den Song dann für ein Soloprojekt von Steven  verwende, Torsten Fenslau wollte ihn aber unbedingt für Culture Beat. Der Rest ist Geschichte.

Eurodance-Songs funktionierten ja nach einem gewissen Schema. Die Formel: Techno-Beat, männlicher Rapper, weibliche Soulstimme. War Erfolg planbar?

Nein, planen kann man Erfolg nicht. Ich finde es auch immer erstaunlich, dass ausgerechnet bei Eurodance dieses Schema-Klischee aufgegriffen wird. Man kann solche Klischees doch auf alle Genres anwenden. Schauen Sie sich Rockmusik von früher an: ein Sänger, Schlagzeug, Bass, Gitarre, drei Akkorde. Wenn Leute etwas gut finden, wird es imitiert, so entsteht der Eindruck einer Formelhaftigkeit. Es gab aber auch viele Dance-Hits, die nicht diesem Schema entsprachen. Und letztlich will man bei Dance Music auch tanzen, da interessiert es eher weniger, wer da gerade singt.

Sie hatten ja mehrere große Hits in den 1990er Jahren, aber mit dem von „Mr. Vain“ musste man ja erst einmal umgehen.

Ich hatte in diesem Jahr ja sogar drei Welthits. „More and More“ mit Captain Hollywood Project, „Right in the Night“ mit Jam & Spoon und eben „Mr. Vain“. Letzterer hat sich dann als der Evergreen bewiesen, der auch heute noch in den Clubs steil geht. Ich selbst habe den Erfolg insofern genossen, dass es natürlich schön war, zu wissen, dass man in jedes Studio gehen könnte und dass man nun die finanziellen Möglichkeiten hat, seine Miete zu bezahlen, sich ein neues Instrument zu kaufen und seine Freunde schick zum Essen einzuladen.

Das Hit-Rezept

Warum war ausgerechnet „Mr. Vain“ so erfolgreich?

Man muss den Zeitgeist treffen. Es muss alles passen. Und bei diesem Song passt alles. Text, Beat, Melodie, Produktion, alles zeitlos gut. Das bekommt man so nicht immer hin. Manchmal sind es Details. Scooters „Hyper Hyper“ beispielsweise wäre vielleicht nie so ein Hit geworden, wenn er „Love Me Love Me“ gesungen hätte.

Welche Hits aus dieser Zeit schaffen es denn heute noch bei Ihnen auf die Playlist?

Ach, da gibt es bestimmt einige. „Rhythm is a Dancer“ von Snap! beispielsweise. Oder „Push the Feelin’“ von MK und The Nightcrawlers. Gute Musik.

Sind Sie ein nostalgischer Mensch?

Im Grunde heißt es ja schon in „Right in the Night“: Man sollte den Arsch der Vergangenheit nicht zu lange küssen. Ich denke nicht viel an die Neunziger Jahre zurück, eigentlich nur, wenn ich dazu interviewt werde. Ich versuche, im Hier und Jetzt zu sein, an neuer Musik zu arbeiten, zumal ich denke, dass ich heute ein besserer Musiker bin als damals. Gerade arbeite ich an einem neuen Album, das noch in diesem Jahr erscheinen soll.

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