Max Herre (foto: robbie lawrence)

Interview: Max Herre über seinen Sehnsuchtsort Athen

Eine Platte, die sich aus Erinnerungen speist: Mit „Athen“ hat Max Herre ein neues Album vorgelegt. Das erste seit sieben Jahren! Es ist das Ergebnis einer langen Suche. Nicht nur nach dem richtigen Sound, sondern auch nach Max‘ eigener Geschichte. Mit Andreas Attinger sprach Herre nun über die Arbeit an seinem neuen Album, Straßenrap und seine Verbindung zu Athen.

Max, dein Album „Athen“ steht in den Startlöchern. Warum ist die griechische Hauptstadt dein Sehnsuchtsort?

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Ich kenne die Stadt schon lange, sie ist ein wichtiger Teil meiner Biografie. Mein ältester Onkel ist dort in den 1920er Jahren geboren, mein Vater hat in den späten 1980ern in Athen gelebt. Ich selbst war als Kind dort, bin später immer in den Ferien nach Griechenland gereist. Meine Verbindung zu Athen ist also sehr stark, die Stadt ist wie ein zweiter Familienort.

Welche Rolle spielen deine Wurzeln für deine Musik? An deinem neuen Album waren beispielsweise auch einige Künstler aus deiner Geburtsstadt Stuttgart beteiligt.

Die eigenen Wurzeln prägen natürlich die eigene Biografie und damit auch die Musik. Ich freue mich beispielsweise immer, wenn Stuttgart neue Talente hervorbringt. Stuttgart ist keine große Stadt und wird von vielen auch nicht als der fortschrittlichste Ort gesehen. Wenn sich dort etwas entwickelt, ist es umso schöner. Ein gutes Beispiel ist die große Punk-Szene und hier derzeit die Band Die Nerven. In Städten wie Stuttgart sind Künstler oft auch darauf angewiesen, Dinge selbst in die Wege zu leiten, um etwas zu erreichen. Und dann entstehen oft starke progressive Gruppen.

Weil du gerade die Punk-Szene ansprichst… Du bist eigentlich Rapper, lebst aber  keineswegs in einer Art Rap-Blase. Welche Rolle spielen andere Musikrichtungen für deine eigene Musik und auch als Inspirationsquelle?

Rap ist an sich ja schon keine Blase, weil es auf vielen verschiedenen Musikrichtungen basiert. Rap lebt von der Digging- und Sampling-Kultur. Deshalb habe ich von Grund auf schon immer ein großes Interesse an verschiedenen Genres. Das ist ein Teil der Hip Hop-Kultur. Ich bin einfach Musikfan, finde immer etwas Neues. Das Musikrepertoire ist unerschöpflich, egal aus welcher Zeit und welchem Genre. Mit einem Studiokollegen, der die Digging-Kultur lebt, stoße ich immer auf Goldquellen. Etwa wenn wir Tapes aus den 70er Jahren entdecken, auf denen Leute versucht haben, Soulmusik zu produzieren, oder argentinischen Tango. Das inspiriert mich enorm. Eine Rolle spielen dabei auch meine vielen Reisen. In der griechischen Musik gibt es ebenfalls viel Spannendes wie den in den 1930er Jahren dort entstandenen Rambatico.

Rambatico …?

Diese Musikrichtung haben Geflüchtete aus der Türkei und Asien nach Griechenland gebracht, sie ist sehr orientalisch. Sie ist im Prinzip der griechische Blues, der vor allem im Hafen von Piräus gespielt wurde. Der Rambatico hat eine große Tradition, die nach wie vor gelebt wird, und kann auch von jungen Leuten gesungen werden.

Und was war die Inspirationsquelle für dein neues Album?

Als ich anfing, die Platte zu produzieren, wurde ich stark vom Ethno-Jazz beeinflusst. Das war eine große Inspiration. Es waren aber auch viel psychodelischer Sound und zeitgenössische Musik. Vor allem Psychodelisches halte ich für geeignet, um über Erinnerungen und Gedanken zu sprechen. Durch die Hallräume lassen sich Gedanken wunderbar übereinander schieben.

Was dürfen die Fans den vom neuen Album erwarten?

Es ist eine Rap- und Gesangplatte, sie ist sehr abwechslungsreich. „Hallo Welt“ war, wenn man das bei mir überhaupt so sagen kann, puristischer. Ich habe versucht, etwas zu machen, was im Jetzt stattfindet. Generell wiederhole ich mich ungern, beschäftige mich in meiner Musik mit Dingen, die mir thematisch und musikalisch dringlich erscheinen und zu meiner Lebenssituation passen, diese widerspiegeln. Dabei blicke ich aber natürlich auch zurück, dann jedoch auf eine Art und Weise, die im Jetzt stattfindet. Im Song „Siebzehn“ erzähle ich etwa meine Geschichte aus den 1990ern anhand meines Sohnes. Musik bedeutet für mich immer Weiterentwicklung. Mir ist es wichtig, dass die Texte ein Ausdruck meiner Lebenssituation und persönlichen Entwicklung sind. Hip Hopper versuchen oft, zwanghaft jugendlich zu bleiben, obwohl sie es nicht mehr sind. Das finde ich schwierig. Und das zeichnet „Athen“ aus.

Deine Art von Rap unterscheidet sich stark vom Straßenrap, der derzeit angesagt ist. Wie stehst du dazu?

Das kann ich nicht verallgemeinern. Ich finde die neuen Sachen ebenfalls sehr interessant und sie beeinflussen mich. Straßenrap habe ich schon immer gehört, vor allem aus Amerika, beispielsweise Mobb Deep oder den Wu-Tang Clan. In deren Musik spielen Straßenthemen eine große Rolle. In erster Linie geht es mir immer um die Musik, die bewerte ich. Klar ist aber auch: Wenn solche Themen plötzlich auf Deutsch kommuniziert werden und Zuhörer auf Lebenswelten stoßen, die ihnen unbekannt sind, rückt das näher an die eigene Lebensrealität heran. Darüber muss dann natürlich gesprochen werden. Ich selbst nehme aber immer erst einmal die Musik wahr, Werte und Lebensmuster stehen auf einem anderen Blatt. Solche Themen sind sowieso kein Hip-Hop-spezifisches Problem.

Apropos Werte. Deine ersten großen Erfolge hast du in den 90ern gefeiert. Was unterscheidet den Max Herre von damals vom heutigen Max Herre? In den 90ern wäre es dir vermutlich nicht in den Sinn gekommen, Coach in einer Castingshow zu sein, oder?

Als junger Musiker hat man eine Idee und eine Agenda, man versucht sich zu definieren und zu positionieren. Hat man sich dann etabliert, traut man sich auch mal aus der eigenen Plattform heraus, schließlich sind die eigenen Statements draußen. Das war früher noch krasser. Heute ist Hip Hop mehr in der Gesellschaft angekommen. Blickt man auf die Verkaufszahlen, ist es das derzeit wichtigste Genre. Das zu sehen ist für mich, der schon so lange dabei ist, eine tolle Sache. Dann ist es auch leichter, sich als Künstler an andere Sachen zu wagen. Als ich etwa mit Interviews angefangen habe, hat uns kaum einer verstanden. Wir mussten immer erst erklären, was wir da überhaupt machen. Heute wissen die Redaktionen und Redakteure Bescheid, sie sind mit Hip Hop aufgewachsen. Das macht es auch für die Künstler einfacher.

Auf „Athen“ finden sich politische Lieder wie „Sans Papiers“ oder „Dunkles Kapitel“. Wie wichtig ist es, als Künstler zu solchen Themen klar Stellung zu beziehen?

Ich will natürlich niemanden diktieren, wie er sich zu positionieren hat. Ich sehe mich selbst als Teil der Gesellschaft und interessiere mich für Politik. Das spiegelt sich in meiner Musik wider. Mein Kriterium ist es, dass meine Musik ausdrückt, was mich bewegt. Und damit findet sich auch Politik in meiner Musik. Generell muss aber jeder für sich selbst wissen, wo er seine Verantwortung sieht. Quatsch ist aber, wenn jemand sagt, das Musik nicht politisch ist oder keinen Platz für Politik hat. Musik erreicht so viele Leute und ist deshalb aus sich heraus schon politisch. Wie im Übrigen auch Sport. Wenn Rassismus im Stadion stattfindet, wird er automatisch zum Politikum – und dann sollte man sich positionieren. Es ist durchaus zu kritisieren, wenn eine Nationalmannschaft für eine Regierung salutiert, die gerade gegen ein anderes Land in den Krieg zieht.

Mit „Athen“ endet für deine Fans eine siebenjährige Wartezeit. Wie lange hast du am Album gearbeitet?

Losgelegt habe ich 2015, dann zwischendurch Alben für meine Frau Joy Denalane und Megaloh produziert. Anfang 2017 habe ich angefangen zu schreiben, ab Mitte 2018 war ich im Studio. Ich wollte ein Album produzieren, das man als solches hören kann. Eine Art Roadtrip, den man am Stück hört, wie eine Reise. Das wünsche ich mir, dass Fans sich auf diese Reise einlassen. Ich bin gespannt, wie die Reaktionen sind.

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