Es ist eine faszinierende Geschichte, die sich hinter Erland Coopers neuem Album „Carve The Runes Then Be Content With Silence“ verbirgt. Der schottische Komponist und Multiinstrumentalist hatte das Master-Tape der Platte vor drei Jahren nämlich vergraben – und die Fans auf eine Schnitzeljagd geschickt. Die Natur hat dafür gesorgt, dass die Platte ein ungewöhnliches Hörerlebnis wird.
Kann man mal so machen: Vor drei Jahren hat Erland Cooper am Royal Conservatoire of Scotland mit dem international gefeierten Geigensolisten Daniel Pioro (Jonny Greenwood, BBC Philharmonic) und Studio Collective, einer speziell ausgewählten RCS-Kammerstreichergruppe, ein Album aufgenommen. Alle digitalen Aufnahmen des wurden anschließend aber gelöscht und das verbleibende ¼-Zoll-Magnetband mit den Noten tief in den Boden „gepflanzt“, in der Nähe des Cooper’schen Elternhauses in Orkney. Drei Kopien wurden sicherheitshalber sorgfältig ausgewählten Verwaltern anvertraut, dem Musiker Paul Weller, dem Schriftsteller Ian Rankin und der Radiomoderatorin Elizabeth Alker. Bis das Master-Band aber schließlich von Coppers Anhängern entdeckt wurde: „Carve The Runes Then Be Content With Silence“ wurde im September 2022 von den Orkney-Bewohnern Victoria und Dan Rhodes ausgegraben, die ihren Urlaub rund um die Suche geplant hatten. Erland hatte seinen Fans dankenswerterweise eine Spur von Hinweisen gelegt.
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Der Künstler hatte natürlich Sorge, dass nichts mehr auf dem Band zu hören sein würde. Oder es erst gar nicht gefunden wird, wie er „Galore“ erzählte. Als es entdeckt wurde, habe es sich angefühlt, „wie ein Tanz mit Geistern der Vergangenheit. Wie ein altes Bild von sich selbst, das man in irgendeiner Kiste findet. Während des Hörens musste ich öfter schmunzeln, weil ich einige Details ganz vergessen hatte. Es war, als hätte ich eine Zeitkapsel geöffnet.“
Hommage an George Mackay
Das ausgegrabene Band wurde im Juni 2024 zum ersten Mal im Barbican abgespielt. Das Album hatte seine Zeit im Untergrund ohrenscheinlich überstanden. Es ist zum Glück nicht zu ewigem Schweigen erodiert. Vielmehr ist das Hören von „Carve The Runes Then Be Content With Silence“ nun eine Art Event. Die Störungen und das Knistern auf dem Band sind Teil der Kunst. Die Natur hat praktisch das Mastering übernommen.
Das dreisätzige Werk (Satz 1: Carve The Runes / Satz 2: Then Be Content / Satz 3: With Silence) ist eine Komposition für Solovioline und Streicherensemble – und eine Hommage an den orkadischen Dichter und Schriftsteller George Mackay (1921-1996), anlässlich dessen 100. Geburtstages.
Kommentar zum Kultur-Konsum
Das Projekt ist aber auch als Kommentar zu verstehen. Es geht um Unmittelbarkeit. Um den enormen Konsum in der heutigen Kreativindustrie. Und: den Wert von Kultur. Es verlangt Geduld und lenkt den Blick sowohl des Künstlers als auch der Verbraucher zurück auf den künstlerischen Schaffensprozess.
Spannend: der Einsatz von Stille als Stilmittel. Nachzuhören im dritten Part. Dort findet sich auch der Höhepunkt des Albums: „With Silence (Mvt. 3) Part 4 – Sunwards Turn“, das große Finale. Die Textur des Bandes im Boden hat der Darbietung eine erdige Wärme und zusätzliche Verletzlichkeit verliehen. Jede Note darf verweilen und nachhallen, wodurch eine starke Intensität entsteht, gefolgt von leiseren, introspektiven Wellen, die uns zurück zur Schönheit der Natur oder der Landschaft der Inseln bringen, die dieses Werk geprägt haben. Der absolute Kontrollverlust, er hat sich für Cooper gelohnt.
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