Enno Bunger (foto: Jan Seebeck)

Track By Track: Enno Bunger über sein neues Album „Der beste Verlierer“

Sein Publikum soll gleichzeitig Tränen in den Augen, einen Kloß im Hals und ein Lächeln im Gesicht haben. Enno Bunger hat mit “Der beste Verlierer” gerade ein neues Album vorgelegt, das genau dafür sorgen soll. Ein Album über die Dualität der Welt und das Menschsein. Über Fehlbarkeit, Zerrissenheit und die Suche nach Antworten. Ein Album darüber, wie man seinen Weltschmerz kanalisieren kann, um nicht durchzudrehen. Das aber gleichzeitig viel Mut macht, weil es beweist, dass man als (nach)denkender Mensch nicht allein ist, wenn man sich mit den dringenden Fragen der Zeit beschäftigt. In diesem Track-by-Track-Interview erklärt der Musiker aus Leer (Ostfriesland), was er sich bei den einzelnen Songs gedacht hat.

Weltuntergang (Alles hört auf)

Ich wollte einen, für meine Verhältnisse, leichten Start ins Album. Der Titel führt Dich erst mal auf die falsche Fährte, aber gedacht ist dieser Song als Ode an die Liebe, Zerstreuung, an den hellsten Rausch gegen und durch die Dunkelheit. Nicht mein erster Song zum Thema, vermutlich ist das schon mein dritter, aber ich war schon immer eine Nachteule und bin so gern nachts unterwegs, und ich wollte so einen Song in die Neuzeit übersetzen, ihn den multiplen Krisen und der gegenwärtigen Weltuntergangsstimmung entgegen schleudern – mit einem, bei aller Dringlichkeit dieses Themas, leicht zynischen Augenzwinkern.

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Die Referenzen, Verneigungen und Huldigungen hört man hoffentlich: Die Chorus-Gitarren erinnern an The Cure, die Dark-Wave-Elemente an Joy Division, die ausgestreckte Faust an Bruce Springsteens und dann der geniale, eierige Dreampadsound meines liebsten 80er-Synth, den Yamaha DX7.

Bunker

Wie oft schon wurde mein Name falsch geschrieben. Ok, ich hätte erst einen Song namens „Burger“ veröffentlichen sollen, aber nee. 

Ein Lied vom Leuchtturm. Der Fels in der Brandung. Die gute Nachricht beim Doomscrolling. Der Liebesbrief nach einer Woche Shitstorm. Freundschaft, Umarmung, eine Verschwörung im besten Sinne, ein Roadtrip, du, ich, wir beide zusammen gegen den Rest der Welt. „Ein Ja für die Liebe, ein Nein für die Angst“ war der erste Satz, der mir dafür in den Kopf kam. Passt ja ganz gut in die aktuelle Zeit.

Hab die Musik geschrieben, zwei Tage nachdem ich auf dem Hurricane 2022 The Killers live gesehen hab, und wollte große offene schrille Gitarren wie in „When you were young“. Ist dann doch ein bisschen moderner, dichter, und etwas weicher geworden, was es durch meine Stimme natürlich immer automatisch wird, aber hoffentlich immer noch schroff genug. Frage mich ja manchmal, ob ich nicht mit dem Rauchen anfangen sollte. Versuche es seit Jahren, aber schaff es einfach nicht. Schreibt mir gern Eure Tipps.

Ein bisschen Ryan Gosling fährt da, so vong Soundtrack her („Blade Runner“, „Drive“) natürlich auch mit. Bin sehr glücklich darüber, wie das alles klingt, wie der sich soundlich entwickelt. Hört den mal richtig laut! Wie mächtig die Snare klingt. Danke an Nils fürs Trommeln und an Felix Gerlach und Frieder Does fürs so zum Klingenbringen. 

Fun fact: War der einzige Song neulich in der „New Music Friday Deutschland“ – Playlist, der über vier Minuten lang ist. Die gehen alle durchschnittlich eher unter drei. Hab ich mich gefreut, dass Enno Boomer da auch noch mal drin vorkommen darf zwischen den ganzen jungen Hüpfern.

Einfache Leute (feat. Sebastian Madsen)

Vermutlich mein rockigstes Lied bisher. Ich wollte ein Lied machen, mit dem ich mir den Zeigefinger direkt selbst ins Auge piekse. Und in Deins auch. Während wir so den Diem carpen, konsumieren wir alle viel zu viel, wissen wir. „Es ist jeden Tag heute, und morgen egal.“ Vielleicht hast Du den IPCC-Bericht gelesen oder vom #Earthday gehört. Wir verbauchen zu viele Ressourcen, kaufen zu viel Kram, den wir ja eigentlich gar nicht unbedingt bräuchten. Darum auch das Wortspiel – denn ich liebe ja Wortspiele und Dad Jokes, das ist kein Diss oder so gegen geschätzte Kollegen, also no offense und nur Liebe an Bill und Tom – „Ich muss durch den Konsum, bis kein Regen mehr fällt.“ Ich hoffe so sehr, dass die mich nicht verklagen oder sowas, ich hab nämlich keinen Anwalt. Darum sag ich auch immer, wenn mich jemand fragt, wie es mir geht: „Kann nicht klagen.“ 邏

Das Lied schreit nicht nur durch die Gitarren, sondern auch inhaltlich: „Hallo, kognitive Dissonanz überall.“  Achso, und um meinen rockigsten Song durchzudrücken und zu legitimieren, dachte ich, frag ich mal jemanden an, der das besser kann und freu mich so, dass Sebastian Madsen himself hier als Feature dabei ist. 

Grasgelb

Der erste Song, den ich für dieses Album geschrieben habe. Premiere war im Januar 2022 in Hamburg im Deutschen Schauspielhaus beim „Poetry Slam For Future“. Geht um die Klimakrise und die Verantwortungslosigkeit von uns, aber vor allem derjenigen, die in der Macht wären, wirklich etwas zu verändern: Großkonzerne, Superreiche und Volksvertretende. Sie stehen in der Verantwortung, es wäre ihre Pflicht, für uns und die nachfolgenden Generationen dafür zu sorgen, dass der einzige Planet unseres Universums, auf dem es Musik, Crémant und Die Amigos gibt, bewohnbar bleibt. Ich glaube, der Text spricht für sich, darum einfach mal hier ein paar Zeilen daraus:

Kann dir kein Mensch erklären

Warum leere Flugzeuge fliegen

Die letzten Jahre, wen wundert’s

Waren die heißesten sieben

Warum man Öl, Gas und Kohle

Weiter subventioniert

Mit elf Millionen pro Minute

Wer bitte soll das kapieren?

Mit heiteren Mienen

Vertrösten wir uns

Wer vermisst auch schon Bienen

Solang’ die Wirtschaft noch brummt

Doch von dem, was wir schützen

Ist sogar ein Tier dabei

Lebt auf dem Land und in Flüssen

Nennt sich Leopard 2

Menschenwürde im Konjunktiv

Ist das, wonach wir streben

Der globalen Erwärmung

Eine soziale Eiszeit entgegen?

Ich schreib’ Lieder voller Zynismus

Und ich hab leider Pech, denn

Kritik am Kapitalismus

Verkauft sich sehr schlecht

Resignieren kann jede

Oder Lieder davon singen

Doch wenn alte Perspektiven

Uns um unsere Zukunft bringen

Ist dann noch Zeit für leere Phrasen?

Und dafür dass noch jemand schweigt?

Wär’ es nicht Zeit, dass diese Frage 

Uns alle auf die Straßen treibt?

Resignieren kann jeder

Lass’ uns lieber davon singen

Lass’ uns um Perspektiven

Und um jede Hoffnung ringen

Komm wir gehen auf die Straße

Dann läuft die Zeit nicht mehr allein 

Wir alle teilen eine Frage

komm lass uns Teil der Antwort sein

Ich sehe was, was Du nicht siehst

Ich leide seit meiner Jugend, immer mal wieder, phasenweise, unter Depressionen. Die können auch mal sehr lange, manchmal jahrelang weg sein, aber ja, manchmal kommen die wieder angekrochen und ziehen mich runter. Ist nicht mein erstes Lied darüber (siehe „Ein Astronaut“, siehe „Klumpen“, siehe „Wofür“ und „Wolken aus Beton“), aber ich hab nie so direkt gesagt, dass ich das bin und dass ich damit Depressionen meine. 

Als andere Menschen wie Sträter, Krömer oder Katty Salié sich in letzter Zeit geöffnet haben und das nach außen kommuniziert haben, hat mir das geholfen, meine eigene Erkrankung ernst zu nehmen und ich hab dann eine erste Therapie angefangen. In der Hoffnung, dass dieses Lied auch anderen hilft, das ernster zu nehmen, hab ich diesen Song geschrieben. Spoiler: Hoffnung ist aufgegangen, habe sehr viele berührende Kommentare und Nachrichten bekommen. Danke dafür. 

Heute nicht

Teil II dieses Themas. Triggerwarnung: Suizidgedanken. Der Kampf damit, der Kampf dagegen, bei dem man ein ganzes Leben zu gewinnen hat. Für mich der lebensbejahendste und wichtigste Song, den ich je geschrieben habe, eben weil ich hier auch über die wichtigste Entscheidung meines Lebens singe. Habe keinen Song der Platte selbst öfter gehört als diesen und war noch nie so zufrieden mit dem Endergebnis einer Songproduktion. Musikalisch eine wilde Mischung aus Ambient, Noise, Spoken-Word, Stranger Things, The National und Post-Rock-Gewitter. Hab den noch nie live gesungen, werde Rotz und Wasser heulen und scheiss mir jetzt schon ein, aber freu mich auf den März, wo wir mit großer Produktion, toller Band und amtlicher Lichtshow 17 Konzerte spielen.

Nie zu spät

Fühl mich seit meinem zweiten Album immer auch verpflichtet, auf jeder Platte auch den Beweis zu erbringen, dass ich auch warme, bestärkende, tanzbare Musik machen kann und das wäre so der Song, da freu ich mich auch schon sehr darauf, den live zu spielen. Ein klassischer Arschtrittsong. Am Anfang hatte ich den Satz „Musst nicht dran glauben, weißt zu gut, dass nur findet, wer versucht.“ und dann kam der Rest so nach und nach. Am Ende huldige ich noch dem Gott, den ich letzten Sommer in Mordor (HSV-Stadion) live sehen durfte. 

Kein Mensch startet einen Krieg

Schreib das doch bitte mal jemand an jede Mauer des Kremls. Ein Monat, nachdem ich in „Grasgelb“ mich über „grünes Gas“ aufrege, führt der Fascho einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, und das jetzt schon seit zwei Jahren. So eine grausame Scheisse. Hat in mir viel verändert. Ich sage heute, und ich bin überzeugter Pazifist und für mich ist das kein Widerspruch: gebt der Ukraine bitte alles, was wir haben, damit sie sich verteidigen können und damit dieser Typ nicht einen Zentimeter näher an Europa rankommt. In unserer Gesellschaft hat der Typ mit der Finanzierung der AfD und Beeinflussung des öffentlichen Meinungsbildes mithilfe von Fake Accounts und Bot-Farmen ja auch schon mehr als genug Schaden angerichtet. 

Zum Lied: Kinder sind die Hauptleidenden eines jeden Krieges und darum wollte ich sie in den Blick nehmen. Jedes Mal, wenn ich in der zweiten Strophe „Es fällt ihm schwer zu glauben / die Bilder nicht vor Augen / denn solche Filme darf er noch nicht sehen / Er wartet auf die Pause / und sie will nur noch Hause / noch einmal so, als wäre nichts geschehen“ bricht mir die Stimme weg. 

Kinder haben (feat. Lina Maly)

In ihrer Instagramstory postete Lina Maly einen kleinen Songschnipsel, in dem sie am Klavier sitzt und singt „Ich wollte immer Kinder haben, ich bin mir nicht mehr sicher, die Welt verändert ihre Stimmen und Farben“ – hat mich komplett umgehauen und behandelt ja nun mal eine zentrale Frage, die sich viele Menschen unserer Generation in Zeiten der multiplen Krisen stellen. Hab ihr geschrieben, wie sehr mich ihre Story getroffen hat, sie lud mich ein, dass wir das Lied zusammen fertig schreiben. 

Wenn ich den singe, dann zwar sanft und traurig, aber mit einer großen Verzweiflung und Wut im Bauch. Als Vorwurf gemeint an Regierungen und Großkonzerne, die es gerade verkacken, für bessere Perspektiven zu sorgen.

Häuserzeilen 

Von den Hummeln im Hintern, dem Fernweh und darin absoluten Frieden schließen mit sich selbst und dem Moment, die Umarmung der Zerstreuung, vom Dahinfließen auf einem Dach, auf dem man in den Sonnenaufgang hineindöst. 

Mit meinem lieben Freund und großartigen Musiker Jonas David produziert. Eigentlich ein 10-Minuten-Stück. Weil ich aber für „Ponyhof“ (6:30) und „Hamburg“ (10:00) im Streaming genauso viel bzw wenig bekomme (ca 0,3 Cent pro Stream auf Spotify), wie ein 2-Minuten-Song, hab ich ihn aus Protest in drei Teile geschnitten. Gonna be rich a rich man soon! Kannst Du mir 20 Euro leihen, lad’ ich Dich zum Essen ein. Danke fürs Lesen und Hören! Schreibt mir gern auf Instagram, wie ihrs findet, oder schickt mir Fotos Eurer Daumen!

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