Mit „Notes On A Conditional Form“ legen The 1975 nicht nur ihr viertes Album vor, sondern setzen auch den Schlusspunkt unter ein Projekt, das 2013 mit ihrem Debüt begann. Ein Mammutwerk, mit 22 Songs und über 80 Minuten Spielzeit.
Keine Frage: Greta Thunberg ist längst Teil der Popkultur. Und so überrascht es auch nicht, dass sie mittlerweile selbst Teil von Kunst, Teilv von wird. Pearl Jam zum Beispiel bauten die junge Schwedin jüngst in ein Musikvideo ein. Und nun darf die Klimaaktivistin in das neue Album der britischen Indie-Rock-Band The 1975 einführen. In „The 1975“ ruft sie dazu auf, endlich zu handeln. „It’s time to rebel.“
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Nun könnte man natürlich jammern, dass sich The 1975 so sehr an den Zeitgeist ranschmeißen, aber: Es kommt halt schon authentisch daher. Nicht nur, weil die Band selbst nun angeblich mehr und mehr grün arbeitet, sondern weil sie eben auch schon immer gern politische und gesellschaftliche Missstände ansprach. Das tat sie schon sowohl auf Platte als auch im wahren Leben. Im Februar 2019 etwa nutzten The 1975 die BRITAwards, um die feministische Kritik einer britischen Journalistin zu zitieren, die Frauenfeindlichkeit angeprangert und den Mythos des männlichen Genies auseinandergenommen hatte.
Wenige Monate später, im Mai, wurden sie aus Alabama gejagt, nachdem Frontmann Matthew Healy bei einem Festivalauftritt seine Gedanken über das kurz davor beschlossene Abtreibungsverbot in dem US-Staatgeäußert hatte: „Was mich daran so wütend macht, ist, dass ich einfach nicht glaube, dass es bei diesem Verbotum den Schutz von Leben geht. Ich glaube nämlich, es geht schlichtweg um Kontrolle über Frauen“.
Und noch drei Monate später wurden sie aus Dubai hinausbefördert. Sie waren vor einer Regenbogenfahne aufgetreten, wobei der Frontmann folgende Message für die Crowd hatte: „Wenn du schwul oder lesbisch bist, ich liebe dich! Und Gott liebt dich verdammt noch mal auch!“ Garniert hatte er den Protestspruch, indem er einen männlichen Fan geküsst und damit für alle sichtbar gegen die in den Vereinigten Arabischen Emiraten geltenden Gesetze verstoßen hatte, in denen Homosexualität unter Todesstrafe steht.
So klingt das neue Album
Der Greta-Einstieg ist denn auch nicht der einzige gesellschaftskritische Song. Das folkige „Jesus Christ 2005 God Bless America“ – hier ist auch Phoebe Bridgers zu hören – etwa verhandelt den Konservatismus der USA, aber auch das Thema Religion und die Suche nach Gott. Der Song ist eine ganz gute Blaupause dafür, wie Healy die ganz großen Themen zu persönlichen macht.
Stilistisch sind The 1975 auf „Notes On A Conditional Form“ gewohnt breit aufgestellt. Von lautem Punk („People“) über UK Garage („Frail State Of Mind“), Electronica („Shiny Collarbone“, „Having No Head“, „Yeah I Know“, „Don’t Worry“), eno-mäßigem Ambient („The End (Music For Cars)“) bis hin zu Indie-Pop („Me & You Together Song“, „Guys“) und – Rock („Roadkill“) ist hier alles dabei. Wobei „If You’re Too Shy (Let Me Know)“, das schwer nach Tears For Fears klingt, wohl am ehesten hängen bleibt. Die vielleicht typischste The-1975-Nummer.
„Jedes Mal, wenn wir an einem neuen Album arbeiten, dann gehe ich in meinem Kopf meine Musiksammlung durch. Wie einen mentalen Karteikasten“, berichtet Matty. „Und ich glaube, dass ‚Notes‘ ein besonders interessantes Album ist, weil es einerseits unsere aggressivsten Momente vereint –und andererseits auch die ruhigsten Sachen, die wir je gemacht haben. Wir stellen diese Extreme einfach nebeneinander. Ich hab ja auch keine Playlist, auf der nur eine Art von Musik zu finden ist. Ich höre anders Musik, und wenn mich etwas inspiriert, dann passiert das nie zwei Mal hintereinander in demselben Genre.“
Oder: Konzeptlosigkeit als Konzept. Im Falle von The 1975 funktioniert’s.
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