John Southworth (foto: cory bruyea)

My Soundtrack: John Southworth

Mehr als nur ein Album: „Rialto“, das jüngste Projekt des britisch-kanadischen multidisziplinären Künstlers John Southworth, ist vielmehr. Denn es ist gleichzeitig LP, ein achtteiliger Podcast, Novelle und Theaterstück. Erzählt wird dabei die Geschichte des Einzelgängers und schlaflosen Taxifahrers Klaus, der sich nach einer Reihe von beunruhigenden Ereignissen in einer seltsamen Situation wiederfindet.

Southworth sagt über das Projekt: „Vor ein paar Jahren hatte ich diesen Traum: Ich lief durch weites Grasland auf einen einsamen Hügel zu. Auf der Spitze des Hügels war ein Filmhaus. Und auf der Festzeltplane stand: History of Jazz. Ich dachte immer wieder darüber nach. Was war in dem Filmhaus? Was geschah davor? Und was folgte danach? Warum wollte ich dorthin gehen? Warum ‚History of Jazz‘?“ Um zu einer Art von Einsicht zu gelangen, habe er mit einem Filmdrehbuch begonnen und seinen Traum um das Zehnfache erweitert. „Das Skript entwickelte sich zu einem Buch in der Größe einer Novelle, zu einer Reihe von Songs und schließlich zu einem „Mind-Movie“-Podcast und bildete diese labyrinthische, multimediale Geschichte – zu gleichen Teilen Traum, Film und waches Leben.“ Geschrieben hat Southworth auch für uns: und zwar diese My-Soundtrack-Episode.

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Peter Shelley – Love Me Love My Dog

Written, produced and performed by my father in 1975. The plucked country western guitars, easy-listening string arrangement, and lamb-pastoral-lyrical innocence remain seminal in shaping my earliest musical aesthetic. Sometimes I stray from this foundation, but it always returns as the most pure music, the most giving, the most deep in bygone naïve feeling.  Despite what might be perceived as an outdated 1970s adult contemporary pop form, this happens to be folk music to me, family music, heart music.

Geschrieben, produziert und aufgeführt von meinem Vater im Jahr 1975. Die gezupften Country-Western-Gitarren, das Easy-Listening-Streicherarrangement und die lamm-pastoral-lyrische Unschuld prägen weiterhin meine früheste musikalische Ästhetik. Manchmal schweife ich von diesem Fundament ab, aber es kehrt immer als die reinste Musik zurück, die gebendste, die tiefsinnigste im vergangenen naiven Gefühl. Trotz dessen, was als veraltete zeitgenössische Popform der 1970er Jahre wahrgenommen werden könnte, ist dies für mich Volksmusik. Familienmusik. Herzmusik.

Bob Dylan – Tombstone Blues

His immense shadow has engulfed all the rooms and I resent it at times, all the cultural conditioning that has rooted primarily from his fierce early expressions, and it’s hard to find a way out.  That said, when I was sixteen I purchased a cassette of Highway 61 Revisited in Tower Records while on a school trip to Washington D.C.  Back on the bus somewhere in Pennsylvania, I put the cassette in my walkman and looked out at the passing small towns.  I was familiar with „Like A Rolling Stone“, but when the next song „Tombstone Blues“ appeared it had a feral, devastating effect.  To this day, I don’t think I’ve ever experienced such a radical inner re-wiring from the first listen of a song.

Sein immenser Schatten hat alles verschlungen, und ich ärgere mich manchmal darüber. All die kulturelle Konditionierung, die vor allem auf seinen wilden frühen Ausdruck zurückzuführen ist. Aber es ist schwer, da einen Ausweg zu finden. Als ich sechzehn war, kaufte ich während einer Schulreise nach Washington D.C. eine Kassette von „Highway 61 Revisited“ bei Tower Records. Zurück im Bus, wir waren gerade irgendwo in Pennsylvania, steckte ich die Kassette in meinen Walkman und schaute auf die vorbeiziehenden Kleinstädte. Ich kannte „Like A Rolling Stone“ schon, aber als „Tombstone Blues“ lief, hatte es eine wilde, verheerende Wirkung auf mich. Bis heute glaube ich, dass ich beim ersten Hören eines Songs noch nie eine so radikale innere Neuverdrahtung erlebt habe.

Burt Bacharach – Hasbrook Heights

In the mid-nineties, Burt Bacharach made a sort of heroic comeback. At the time, I was just about to release my debut record „Mars Pennsylvania“, which references him and some of his scrumptious chordal techniques a bit.  I thought I was the only one who had rediscovered his brilliance and I wore this illusion of discovery with youthful outsider pride.  But Bacharach is still outcast music, no matter how many comebacks.  For me a song like this inspires on multiple fronts: it reaffirms that in composing melody it’s natural to be ambitiously joyous and liberated from trend, and it’s perfectly moral to to indulge in making beautiful feeling music, to sweeten, to luxuriate.

Mitte der Neunziger feierte Burt Bacharach eine Art heroisches Comeback. Zu dieser Zeit war ich gerade dabei, mein Debütalbum „Mars Pennsylvania“ zu veröffentlichen. Es bezog sich ein wenig auf ihn und einige seiner vorzüglichen Akkordtechniken. Ich dachte, ich wäre der Einzige, der seine Brillanz wiederentdeckt hätte. Diese Illusion der Entdeckung trug ich dann mit jugendlichem Außenseiterstolz. Bacharach ist immer noch Musik der Außenseiter, egal wie viele Comebacks der Mann hinlegt. Ein Lied wie dieses inspiriert mich an mehreren Fronten. Es bestätigt, dass es beim Komponieren von Melodien natürlich ist, ehrgeizig und frei von Gedanken an jedwede Trends zu sein. Und es ist auch vollkommen moralisch, sich dem Musizieren mit schönem Gefühl hinzugeben, zu versüßen, zu schwelgen.

Maurice Ravel – Daphnis et Chloe

Many years ago I would take the night train from Toronto to Montreal and listen to this ghost-fragrant, supernatural music which I had unknowingly taped onto cassette from an old LP.  I knew nothing of Ravel.  The first third of the LP had Debussy’s „Afternoon of a Faun“ – this is what I had originally intended to listen to.  But then Daphnis et Chloe inadvertently took over.  A succulent vine.  It made me a werewolf.  I catapulted into another sphere.  Stricken.  I was so gullible. 

The modern process of streaming music is an affront to that gullible, clueless, invalid way of listening – listening through to the cassette’s blunt end, turning it over and over, listening in without knowledge or context like a buffoon without the deadening corpse of information, tasting the potent vine in secret in the dark window seat on the fast train.  That innocence is over but I will not forget.

Vor vielen Jahren saß ich im Nachtzug von Toronto nach Montreal und hörte mir diese geisterhaft duftende, übernatürliche Musik an, die ich unwissentlich von einer alten LP auf Kassette aufgenommen hatte. Ich wusste nichts über Ravel. Auf dem ersten Drittel der LP war Debussys „Afternoon of a Faun“. Das war das, was ich ursprünglich hören wollte. Aber dann übernahm „Daphnis et Chloe“. Eine saftige Rebe. Es hat mich zu einem Werwolf gemacht. Ich katapultierte mich in eine andere Sphäre. Getroffen. Leichtgläubig. Der moderne Prozess des Musik-Streamings ist ein Affront gegen diese leichtgläubige, ahnungslose, unerlaubte Art des Hörens. Das stumpfe Ende der Kassette durchhören, sie immer wieder umdrehen, ohne Wissen oder Kontext zuhören wie ein Possenreißer ohne todbringende Infos, die potente Rebe heimlich auf dem dunklen Fensterplatz im Schnellzug verkostend. Diese Unschuld ist vorbei, aber ich werde sie nicht vergessen.

Tom Waits – Somewhere (There’s A Place For Us)

There are a hundred versions of this song written by Leornard Bernstein and Stephen Sondheim. The best version I ever heard was performed by an anonymous, chaste young gentleman playing it with high passion on a piano in the foyer of a drab, suburban mall. Surrounding him were a dozen elderly people who, oblivious to the passing crowds and consumers, danced, swayed and sang along, both performer and little audience fixed in an unshakable state of grace, the only time where I have witnessed the angels.

Es gibt hundert Versionen dieses Liedes, das von Leonard Bernstein und Stephen Sondheim geschrieben wurde. Die beste Version, die ich je gehört habe, wurde von einem anonymen, keuschen jungen Herrn aufgeführt. Er hat sie mit großer Leidenschaft auf einem Klavier im Foyer eines tristen Vorstadt-Einkaufszentrums gespielt. Um ihn herum war ein Dutzend älterer Leute, die, ohne sich aber der vorbeiziehenden Menge und Verbraucher bewusst zu sein, tanzten, schwankten und mitsangen. Sowohl die Darsteller als auch das kleine Publikum befanden sich dabei in einem unerschütterlichen Zustand der Gnade. Es war das einzige Mal, dass ich die Engel gesehen habe.

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