Auch so kann deutsche Popmusik sein: Mine beweist mit ihrem neuen, vielseitigen Album „Klebstoff“ erneut, dass noch nicht alle Hoffnung verloren sein muss.
Keine Frage: Jasmin Stocker alias Mine war in den vergangenen Jahren durchaus umtriebig. Die 33-Jährige hat seit 2014 zwei Alben veröffentlicht, hat ausgiebig getourt, sich mit dem Kollegen Fatoni im Deutschrap versucht und zwischenzeitlich auch ihr Herzensprojekt, ein Konzert mit Orchester, umgesetzt. Bei so viel Umtriebigkeit bleibt zwangsläufig etwas auf der Strecke, in ihrem Fall: das Schreiben von Songs. Und als Mine Anfang 2018 beschloss, Soloalbum Nummer drei anzugehen, wurde es plötzlich hektisch. „Der Schreibprozess war dieses Mal sehr kompakt“, erinnert sich die Berlinerin, die das Ding auch zum größten Teil selbst produziert hat.
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Mit einem Computer voller fast fertiger Versionen ging es zu Dennis Kopacz und Marcus Wüst in die »kleine audiowelt« in Sandhausen. Das Studio im nordwestlichen Nirgendwo von Baden-Württemberg ist über die Jahre zu einer Art Heimat für Mine geworden. „Es gibt dort elf Parteien im Alter von 20 bis 80, die ganz unterschiedliche Musik machen – von Pop und Techno, bis Jazz und Klassik. Es geht dort gar nicht darum, was man schon erreicht hat, sondern einfach nur um das Musikmachen.“
In Höchstgeschwindigkeit produziert
Es spricht für die Künstlerin, dass man es der Platte zu keinem Zeitpunkt anmerkt, dass sie mit höchster Geschwindigkeit produziert wurde. „Ich hatte am Anfang total Angst davor, dass die Songs sich zu sehr ähneln, wenn ich sie innerhalb von kürzester Zeit schreibe“, so Mine. Tun sie nicht. Das neue Material klingt zum Teil etwas poppiger, bombastischer und glatter als das, was die Gute bis dato so veröffentlicht hat. Das leichte „90 Grad“ und das fröhliche „Einfach so“ wären da zu nennen. Songs für den Mainstream, ja, aber ohne blass oder bedeutungslos zu sein.
Interessanter sind aber jene Nummern, bei denen es Mine dem Hörer nicht ganz so einfach macht. Der Hip-Hop-Track „Schwer bekömmlich“ ist da so ein Beispiel. Oder die melancholischen, gefühligen Songs wie „Klebstoff“ oder „Vater“, mit denen Mine für Gänsehaut sorgt. Letztgenannter Song verhandelt ein schonungsloses Gegenüberstehen zweier Generationen. „Ich wollte den Song eigentlich gar nicht veröffentlichen, weil er so unmittelbar und gar nicht metaphorisch ist. Die Zeilen und auch der Titel sagen genau, um wen es geht. Das ist für mich ein Schritt gewesen, den ich davor noch nie gegangen bin und mit dem ich heute doch sehr glücklich bin“, so Mine. Darf sie sein.
Spagat zwischen den Extremen
Keine Frage: Mine beherrscht den schwierigen Spagat zwischen den Extremen, verbindet lässig das Zugängliche mit dem Sperrigen, die bleierne Schwere mit dem Leichtigkeit. Das ist Hörgenuss.
Übrigens: Das Album trägt den Titel „Klebstoff“ natürlich nicht ohne Grund. Für Mine ist das Wort ein phonetisches Meisterwerk: „Ich bin ja ein großer Fan der deutschen Sprache und mag gerne, dass sie so kryptisch in den Betonungen ist. ‚Klebstoff‘ klingt hart, aber gleichzeitig trotzdem weich und passt genau zu seiner Bedeutung. Ich finde das Bild interessant, dass jeder von uns mit Klebstoff umhüllt durch das Leben geht und alle Dinge, mit denen man in Kontakt kommt – positiv oder negativ – an einem kleben bleiben. Auch, wenn man das gar nicht will. Auch, wenn man schon längst woanders ist.“ Genau von diesen Dingen, erzählen die Songs auf dem Album.
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