So klingt Schönheit: Mit „She Walks In Beauty“ hat Marianne Faithfull eines der spannendsten Alben ihrer langen Karriere veröffentlicht. Ein Album, das Poesie mit Musik verbindet. Dafür machte sie mit dem Komponisten und Multiinstrumentalisten Warren Ellis gemeinsame Sache, der hier wunderbare Ambient-Landschaften zaubert. Und auch Nick Cave, Brian Eno (minus die Synthesizer) sowie Cellist Vincent Ségal und Produzent Head sind hier mit von der Partie.
Es ist ein Album, das sich aus Mariannes großer Leidenschaft für die englischen Dichter der Romantik speist. Eine Leidenschaft, die sich während ihres Studiums bei Mrs. Simpson an der St. Joseph’s Convent School in Reading entwickelte, bevor sie mit gerade mal 16 Jahren nach London ging und in eine völlig neue Welt eintauchte. Die Welt von „As Tears Go By“, von Mick Jagger und den Rolling Stones, „Top Of The Pops“. Es waren wilde Jahre, die folgen sollten, geprägt von einem ständigen Auf und Ab, vom großen Starrummel, aber auch vom Kampf mit der Sucht.
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Dass Musik und Poesie für Marianne Faithfull Hand in Hand gehen, hat sie schon mehrfach bewiesen. Auf ihrem Album „Broken English“ etwa verwandelte sie 1979 ein Gedicht von Heathcote Williams in einen Song („Why D’Ya Do It?“). Und auch auf späteren Platten vertonte sie zahlreiche Gedichte – wie etwa auf „A Secret Life“ (1995) die ihres Freundes Frank McGuinness. Auf „Seven Deadly Sins“ (1998) setzte sie sich mit Kurt Weill und Bertolt Brecht auseinander, in den Jahren 2008 / 2009 tourte sie zusammen mit dem Cellisten Vincent Ségal und präsentierte Shakespeares Sonetten. Erst Anfang letzten Jahres nahm sie an einer Stafetten Lesung von Coleridges ‘The Rime of the Ancient Mariner’ teil. Jetzt aber schien endlich der richtige Zeitpunkt für die Verwirklichung eines Projektes zu sein, das bereits über Jahrzehnte hinweg in ihr wuchs. Eine Verbeugung vor ihren Lieblingsdichtern der Romantik.
Der schwerbeschäftigte Warren Ellis musste erst überredet werden
Die Aufnahmen fanden zum Teil in Faithfulls Londoner Haus kurz vor und nach dem Lockdown statt. PJ Harveys Produzent Head schickte die Sprachaufnahmen an Warren Ellis, den man zunächst zu dem Projekt überreden musste, der aber letztlich doch Feuer fing und sich daran machte, die Musik dazu in seinem Pariser Studio zu komponieren. „Ich habe sie nicht als Songs gesehen“, sagt er. „Ich war nicht auf Melodien oder Akkorde festgelegt, sondern konnte mir unglaublich viele Freiheiten nehmen. Es ging also nicht darum, etwas zu kreieren, das dem Text folgen oder ihn umreißen musste. Das Wichtigste war, dass es sich nicht im Weg stand.“
Ellis beschreibt die (wunderbare!) Musik von „She Walks In Beauty“ als eine Art musique concrete, die street sounds mit einer Reihe von akustischen und elektronischen Instrumenten sowie Bearbeitungen verbindet. „Meine bevorzugte Art, Musik zu machen, ist es, vieles dem Zufall zu überlassen, sozusagen Unfälle geschehen zu lassen“, sagt er. „Ich habe mich also von festen Strukturen wegbewegt. Diese Musik ist mein Versuch, etwas Neues voranzutreiben. Ich denke, sie ist so gut wie alles, was ich je gemacht habe“, fügt er hinzu, „sowohl in Bezug auf den Spirit als auch den Prozess, den ich durchlaufen habe.“
Nick Cave schwer begeistert
Der Gute arbeitete in seinem Pariser Studio durch den Lockdown in der Isolation, wodurch er sich völlig in die Lesungen vertiefen konnte. Das Eintauchen in die Materie nahm sein Leben für eine ganze Weile unter Beschlag. „Es ist wirklich meditativ, dieses Zeug immer und immer wieder zu hören“, sagt er. „Für ein paar Monate war es das Einzige, was ich mir anhörte.“ Schließlich teilte er die Musik, die er als Gegenstück zu den Gedichten komponiert hatte, mit Nick Cave, der völlig begeistert davon viele der Tracks auf dem Klavier einspielte. („Er lud sich die Songs beim Hören herunter noch während er mit mir am Telefon sprach und meinte: ‚Wow, das ist unglaublich, das ist erstaunlich!'“). Brian Eno schuf wundervolle Soundtexturen zu Stücken wie „La Belle Dame Sans Merci“ und „The Bridge Of Sighs“, während Vincent Ségal unter anderem Cello-Parts zu Shelleys jenseitigem „To The Moon“ und Byrons Late-Night-Lamento „So We’ll Go No More A-Roving“ beisteuerte.
Faithfull an Covid-19 erkrankt
Faithfull, die während der Arbeiten an Covid-19 erkrankte und beinahe starb, schöpft auf dem Album tief aus der Poesie von Shelley, Keats, Byron, Wordsworth, Tennyson und Thomas Hood. Dass sie Texte schon ihr ganzes Leben begleiten, dass sie ihr viel bedeuten, das hört man aus jeder Zeile heraus, die sie hier in ganz klassischer Manier liest. Ellis: „Sie glaubt an diese Texte. Diese Welt, sie bewohnt sie – ja, verkörpert sie, und das spürt man. Sie meint es wirklich ernst. Es ist nicht nur einfaches Lesen. Das Beste daran, diese Gedichte zu hören, ist, dass sie einen total mitnimmt. Sie lädt dich ein, mit ihr in diese Welt zu gehen. Das macht sie auch mit einem Song. Ich war dabei. Ich habe gesehen, was sie im Studio macht, wie sie auf eine Weise singt, so dass kein Auge trocken bleibt. Und dann fragt sie: ‚War das ok?‘. Sie hat so eine ganz bestimmte Art und eine dieser Stimmen, die einen unglaublich berühren.“
Nicht nur bei Ellis sorgt Faithfull hier für Gänsehaut-Momente.
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