Das Konzert von Porcupine Tree wurde zur handyfreien Zone. (foto: Fiege)

Live: Porcupine Tree in Schwetzingen – Ein Auftritt für die Geschichtsbücher

Da sind sie wieder. Zumindest für den Moment: Die britischen Prog-Rock-Legenden von Porcupine Tree machen wieder gemeinsame Sache und haben auf ihrer aktuellen Tournee auch einen Abstecher nach Schwetzingen unternommen. Möglicherweise war der Auftritt am Samstag einer für die Geschichtsbücher.

War es das jetzt? Fans von Porcupine Tree müssen ja schon wieder mit dem Schlimmsten rechnen. Da hatten sie sich gerade erst gefreut, dass die britische Prog-Rock-Kapelle sich nach rund zwölfjähriger Schaffenspause wiedervereinigt und sogar ein neues Album veröffentlicht hat, da machten Anfang des Jahres schon wieder Schreckensnachrichten die Runde. „Werden sich Porcupine Tree noch dieses Jahr auflösen?“ titelte der „Musikexpress“ damals. Das Fachmagazin bezog sich dabei auf eine Aussage von Frontmann Steven Wilson, der in einem Neujahrs-Post angedeutet hatte, dass die diesjährigen Sommer-Shows der Band wahrscheinlich auch ihre letzten sein würden.

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Bei jeder anderen Gruppe könnte man das als bloßes Marketinggeplänkel abtun, um durch den vermeintlichen Abschied noch ein paar Tickets mehr zu verkaufen, bevor es dann im Jahr darauf eine völlig „überraschende“ Comeback-Tour geben würde. Porcupine Tree haben solche Mätzchen aber eigentlich nicht nötig. Die Band zieht schon mal konsequent die Reißleine, wenn sie sich künstlerisch in einer Sackgasse wähnt. So wie vor zwölf Jahren eben. Und langweilig dürfte es Steven Wilson ja eh nicht werden, der Mann hat immerhin auch eine erfolgreiche Solokarriere am Start, schien der Band längst entwachsen. Die Konstellation haben Wilson und Porcupine Tree mit den Prog-Rock-Kollegen von Genesis gemein, auch wenn Wilson natürlich nicht so mainstream-orientiert ist wie seinerzeit ein Phil Collins.

Konzert als handyfreie Zone

Also: vorsichtshalber hieß es, das Konzert in Schwetzingen noch mal einen Tick bewusster zu genießen. Zumal es die aktuelle Tournee der Band nun auch abschloss. Den potenziell historischen Moment, den Bühnenabschied von Porcupine Tree, aber in Bild und Video festhalten? Wurde nicht gerne gesehen. Die Band deklarierte das Festival-Gelände kurzerhand zur handyfreien Zone. Fotos machen oder gar Videos aufzeichnen – unerwünscht. Entsprechende Anweisungen flimmerten schon kurz vor Konzertbeginn über die Leinwand. Beeindruckend: Ein Gros des Publikums – insgesamt waren rund 3000 Leute gekommen – hielt sich sogar an diese Vorgabe. Ansonsten überzeugte die Security, wenn es einen Konzertbesucher doch mal überkam.

Gängelei? Nein, vielmehr eine Maßnahme, die Schule machen sollte. Denn plötzlich hatte man wieder ein Konzertgefühl wie in den 1990er-Jahren, niemand fuchtelte einem mit dem Smartphone nervig vor der Nase rum. Man konnte sich komplett auf die Musik konzentrieren. Konnte im Moment sein und lief nicht Gefahr, ihn zu verpassen, während man versuchte, ihn irgendwie einzufangen. Einzig bei „Collapse the Light Into Earth“, da war man schon im Zugabenteil angelangt, wurden die mobilen Endgeräte mal gezückt. Derlei Balladen gehören sich auch einfach nicht ohne Smartphone-Lichtermeer. Konzert-Etikette.

Fünf Alben wurden ignoriert

Aus ihrem 2022 veröffentlichten Comeback-Album hatten die Briten gleich fünf Songs im Gepäck, die sich allesamt hören lassen konnten. „Closure/Continuation“ heißt die Platte, zu deutsch: den Deckel zumachen oder weitermachen. Schon im Titel der Comeback-Platte wurde also mit einem möglichen Ende der Kapelle gespielt. Auch aus „Deadwing“ (2005) gab es mehrere Tracks zu hören, zu diesem Album ist gerade eine Deluxe-Variante wiederveröffentlicht worden. „Das volle Programm, mehrere Formate, ein Buch dabei, viel zu teuer natürlich“, so Wilson augenzwinkernd, bevor er dann musikalisch noch mal gezielt die Werbetrommel rührte. Weiter zurück als zu „Lightbulb Sun“ (2000) ging es dann im Back-Katalog nicht mehr, die ersten fünf Alben der seit 1989 existierenden Gruppe wurden an diesem Abend schlichtweg ignoriert. Dennoch unterhaltsam, wie Wilson die älteren Sachen anmoderierte: „Und jetzt ein Song, den ihr damals wohl nicht mochtet, weil wir uns mal wieder in eine Richtung entwickelt haben, die euch nicht gepasst hat. Und am Ende habt ihr ihn doch lieben gelernt“, sagte Wilson lachend.

Wilson hat ein neues Album in der Pipeline

Keine Frage: Es war eine großartige Show, die die Briten da in Schwetzingen boten. Das sah man schon daran, dass im Publikum die Laune durchweg positiv blieb, und das, obwohl es in der Zwischenzeit Bindfäden regnete. „Das Wetter passt doch zur Musik, die wir machen. Immer ein bisschen melancholisch“, so Wilson feixend. Zu den stärksten Nummern des Abends gehörten sicherlich „Mellotron Scratch“, ein eher selten live gespielter Titel, und das mit fast 20 Minuten Spieldauer geradezu epische „Anesthetize“, das im Grunde drei Songs zum Preis von einem ist. Großartiges Stück. „Das dauert eine Weile, die meisten von euch werden am Ende des Songs bedeutend nasser sein“, so Wilson mit Blick auf das Wetter.

Im Zugabenteil dann noch mal drei Tracks: das bereits erwähnte „Collapse the Light Into Earth“, „Halo“ und als großes Finale: „Wir spielen jetzt einen Song von uns, der am nächsten dran an so etwas wie einem Hit ist – Sweet Home Alabama“, ulkte Wilson, um dann, natürlich, „Trains“ anzustimmen. Ein würdiger Abschluss einer fast zweieinhalbstündigen Show – inklusive 20-minütiger Pause –, die keine Wünsche offen ließ.

Wie es jetzt weiter geht? Hinweise auf einen möglichen endgültigen Abschied der Band gab es an diesem Abend in Schwetzingen zumindest nicht. Wilson hat aber offenbar ein neues Solo-Album in der Pipeline, „The Harmony Codex“, das noch in diesem Jahr erscheinen soll. Langweilig wurde dem guten, viel beschäftigten Mann noch nie. Ob mit oder ohne Porcupine Tree.

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