Paolo Nutini ist einer dieser Künstler, die einem nicht wahnsinnig oft die Gelegenheit geben, sie live zu erleben. Wenn es sie dann aber auf die Bühne zieht, dann ist es pure Magie. So auch beim Zeltfestival in Mannheim.
Paisley muss ein schönes Fleckchen Erde sein. Knapp 77.000 Einwohner leben dort, elf Kilometer von Glasgow entfernt, in der fünftgrößten Stadt Schottlands, die sich aber selbst gerne „Scotland’s largest town“ nennt. Die Stadt ist bekannt für ihre Textilfabriken und den „Paisley Print“. „Braveheart“ William Wallace hat dort einst gelebt, der Schauspieler Gerard Butler stammt aus der Stadt und – Paolo Nutini. Und der hatte beim Zeltfestival Rhein-Neckar eine kleine Hommage an seine Heimatstadt mit im Gepäck: ein Cover des Stealers-Wheel-Hits „ Stuck in the Middle with You“, 1973 ein Riesenhit, und das weltweit. Joe Egan und Gerry Rafferty, der Nukleus der Folk-Rock-Band aus Paisley, wären stolz gewesen auf das, was Nutini da aus ihrem Song machte. Der legte viel Herz in seine Performance, sang die Nummer so, als hätte er sie geschrieben.
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Es zählt ja ohnehin zu den großen Talenten Paolo Nutinis, dass eigentlich relativ egal ist, in welchem Genre er sich da gerade bewegt. Er fühlt sich keinem Stil verpflichtet, sondern singt und schreibt, wie es ihm gerade gefällt. Nutini ist einer, der auf die Regeln und Mechanismen des Musikgeschäfts pfeift, einer, der sich zwischen Alben oft so viel Zeit lässt, dass man immer automatisch von „Comeback“ sprechen und schreiben muss, wenn er dann doch mal eine Platte veröffentlicht oder auf Tournee geht. Inklusive seines Debütalbums „These Streets“ (2006) hat der Gute gerade mal vier Alben veröffentlicht, sträflich wenig für einen, der mit so einem unfassbaren Talent gesegnet ist. Zwischen „Sunny Side Up“ (2009) und „Caustic Love“ (2014) lagen fünf Jahre, zwischen letzterem und „Last Night in the Bittersweet“ (2022) sogar ganze acht Jahre. Auch Live-Auftritte gab es in dieser Zeit kaum. Was 2020 sogar seinen schottischen Landsmann und Kollegen Lewis Capaldi zu einem Tweet hinriss: „Right, enough’s enough, where the fuck is Paolo Nutini?“
Einfach mal die Seele baumeln lassen
Dem „Rolling Stone“-Magazin erzählte Nutini daraufhin, dass er nach einem Album-Tour-Zyklus immer erst einmal sein Hirn neu kalibrieren müsse. Der eher introvertierte Musiker, der auch nur ungern Interviews gibt, braucht dann Zeit für sich. Diesmal hat es einfach etwas länger gedauert, auch weil Nutini mit viel Freude um die Welt gereist war. An viele Orte, an denen er vielleicht schon mal auf Tour Station gemacht hatte, die er sich aber dabei nie wirklich ansehen konnte.
Ob er irgendwann auch auf Mannheim noch einen zweiten, genaueren Blick werfen wird? Er würde wohl mit offenen Armen empfangen werden. Darauf deutet die positive Energie hin, die an diesem Donnerstagabend auf dem Maimarktgelände vorherrschte. In Nutinis Musik, seiner vielseitig einsetzbaren Stimme, die mal rau, mal sanft erscheint, kann man sich verlieren. Und dieses Angebot nahmen die Zuschauer im gut besuchten Palastzelt auch dankbar an.
Hoffen auf baldiges Wiedersehen
Im Gepäck hatte Nutini Songs aus allen vier bisher erschienen Alben. Wobei der Fokus doch stark auf „Last Night in the Bittersweet“ lag. Für viele Künstler ist live so ein Schwerpunkt auf neuem Material ja immer ein großes Risiko, will das Publikum doch am liebsten hauptsächlich die Klassiker präsentiert bekommen. Nutini ging dieses Wagnis aber ein, und das Publikum goutierte diesen Mut. Das psychedelisch angehauchte „Afterneath“ durfte die Show sogar eröffnen. „Acid Eyes“ und das grandiose „Through The Echoes“ sorgten für ebenso viel Jubel wie die alten Hits. Bei „Shine A Light“, das als großes Finale im Zugabenteil kam, wurde das Zelt in ein romantisches Licht getaucht. Und auch „Radio“, „Petrified in Love“, „Heart Filled Up“ oder „Children of the Stars“ bestanden ihren Live-Test.
Ansonsten liebte das Publikum augen- und ohrenscheinlich „Candy“ und „Iron Sky“. Auch „New Shoes“, eine ganz frühe Nummer, brachte Stimmung ins Zelt. Nach zwei Stunden entließ der Schotte sein beseeltes Publikum in die Nacht. Es ging in der Hoffnung, dass ein Wiedersehen nicht noch mal so lange auf sich warten lässt.
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