Erobique in Heidelberg (foto: Fiege)

Live: Erobique in Heidelberg: Von der Kunst des Improvisierens

Carsten Meyer aka Erobique ist ein Mann, der nicht an festgeschriebene Setlists glaubt. In seinen Konzerten geht es um den Moment, sie entwickeln sich im ständigen Dialog mit dem Publikum. Wie das aussieht, davon konnte man sich am Freitagabend im gut gefüllten Heidelberger Karlstorbahnhof überzeugen 

Schotty ist Kult. Sieben Jahre und mehr als 30 Episoden lang putzte Bjarne Mädel als Tatortreiniger Heiko „Schotty“ Schotte sterbliche Überreste weg und geriet mit Angehörigen und Hinterbliebenen dabei gerne mal ins Philosophieren. Sein Credo: „Meine Arbeit beginnt da, wo sich andere vor Entsetzen übergeben.“ Dass die von Mizzy Meyer erdachte NDR-Reihe „Der Tatortreiniger“ zu einer der gelungensten deutschen Serien der letzten 20 Jahre avancierte, hatte natürlich mit den cleveren Drehbüchern und Bjarne Mädels Schauspielkunst zu tun, aber auch mit dem stimmigen Soundtrack zu der ganzen morbiden Sauerei. Für die klangliche Untermalung der Serie zeichnete Carsten Meyer alias Erobique verantwortlich. Der gebürtige Münsterländer und Wahl-Hamburger verlieh der Serie mit seinem Easy-Listening-Sound ihre ganz eigene, unverwechselbare Atmosphäre.

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Mit „Sexy Maserati“ hatte Carsten Meyer in Heidelberg immerhin einen Song aus dem „Tatortreiniger“ auf der Setlist, ansonsten entführte er den Zuschauer allerdings nicht an irgendwelche blutbefleckten, norddeutschen Tatorte, sondern: nach Italien und an andere sonnige Urlaubslocations. Im Gepäck hatte der  51-Jährige nämlich sein neues Album „Erobique No.2“. Damit peakte er auf Platz 16 in den deutschen Charts, fast schon ein Kuriosum, denn in diesen Regionen taucht die Musik von Erobique gewöhnlich eher nicht auf. Und das, obwohl sich der Gute über die Jahre eine immer größer werdende und mittlerweile generationsübergreifende Fan-Base erspielt hat.

Musik für lange Autofahrten

Es ist auf jeden Fall eine Platte, wie gemacht für lange Autofahrten in die Ferien. Eine Gute-Laune-LP, die jede Nasskälte vergessen macht und den Winter-Blues wegbläst. Mit Songs, die live ganz hervorragend funktionieren, wie Meyers Auftritt in Heidelberg unter Beweis stellt. „Salut Les Copines!“, „Ravedave“ oder „Urlaub in Italien“ brachten das überaus textsichere Publikum zum Tanzen, da standen sie auch Klassikern wie „Easy Mobeasy“ in nichts nach.

Es hat ein bisschen gedauert, ehe Meyer unter dem Namen „Erobique“ wieder ein waschechtes Studioalbum veröffentlicht hat. Stolze 26 Jahre nämlich, der Vorgänger „Erosound!“ erschien im Jahr 1998. Aber: Meyer hat in der Zeit natürlich nicht die Hände in den Schoß gelegt, sondern war  äußerst umtriebig. So war Meyer zwischen 1998 und 2010 etwa Keyboarder der Hamburger Electro- und Funkband International Pony, zu der auch DJ Koze und Cosmic DJ gehörten. Auch für Einbahnstrasse und School of Zuversicht griff er in die Tasten. Und er betreute zusammen mit Jacques Palminger und Chris Dietermann beim Projekt „Songs for Joy“ am Maxim-Gorki-Theater Berlin Hobby-Songtexter und Songtexterinnen beim Popmusikmachen. Immer wieder zog es Meyer ans Theater, vor allem aber auch zu Film und Fernsehen. In „Stromberg – Der Film“ hatte er als Alleinunterhalter Günni einen zum Schreien komischen Auftritt. Mit den genialen Jungs von Studio Braun entwickelte er den Soundtrack zur Mockumentary „Fraktus“ und dann war da eben „Der Tatortreiniger“.

Vollkommen im Hier und Jetzt

Das Projekt „Erobique“ war in der Zwischenzeit nie verschwunden, sondern vor allem auf Bühnen der Republik zu erleben. Und da gehört die Musik des Komponisten und Entertainers vor allem hin. Denn: Meyers Musik lebt. Meyers Musik atmet. Sie entwickelt sich, immer weiter und weiter. Der Mann mit den unzähligen Alter Egos ist ein leidenschaftlicher Improvisateur, kein Konzert ist wie das andere, immer wieder schlägt er musikalische Haken, ist mit seinem Publikum vollkommen im Hier und Jetzt verhaftet, im Moment, von dem alle wissen, dass er so wahrscheinlich nicht mehr reproduzierbar ist. In einem Interview mit „Tag 24“ verriet Meyer seine Live-Philosophie: „Esist eine Zelebrierung der Gemeinschaft und ich stehe da als Moderator und auch als Musikant auf der Bühne. Es geht darum, dass man zusammen etwas erlebt, was man einzeln nicht erleben könnte und gar nicht so sehr darum, dass man unten steht und sich so einen Rockstar-Dödel anguckt, der da oben sein Ego poliert. Sondern darum, dass man zusammen singt und Sachen erlebt. Deshalb auch viele Improvisationen. Viele Sachen passieren vor Ort, die es an anderen Orten dann so genau gar nicht mehr gibt, nicht mehr so gespielt werden.“

Hommage an Blondie und George Michael

Das Publikum in Heidelberg goutiert es. Es wurde stellenweise sogar selbst zum Akteur. Meyer nahm das Publikum zwischendurch auf und bastelte daraus einen Loop, den er direkt in einen Song einbaute. 

Am Ende glich das Konzert mehr einer Jam-Session, bei der Meyer auch die eine oder andere Überraschung auspackte. Live-Remixe von Blondies „Heart Of Glass“ oder „Careless Whisper“ von George Michael. Funktionierte prächtig. Auch eine Ode an Heidelberg improvisierte Meyer, quasi als Entschuldigung, dass er das Publikum zu Beginn doch ein bisschen warten ließ. Am Ende: mehrere Zugaben und große Lust, mal wieder „Tatortreiniger“ zu schauen.

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