Bosse (foto: Sarah Storch)

Interview: Bosse über Träume, den Kampf gegen Rechts und Callcenter

„Übers Träumen“ heißt das neue Album von Bosse, der gerade in der Mannheimer Alten Feuerwache eine große Party gefeiert hat. Benjamin Fiege sprach mit dem Musiker über Utopien, Trost – und Arbeit im Callcenter.

Axel, von was hast du zuletzt geträumt?

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In der Regel erinnere ich mich gar nicht an meine Träume. Ist wohl auch besser so. Denn ich habe gemerkt, dass ich seltsame Nächte habe, wenn der Mond zunimmt. Ist wohl nicht nur bei mir so. Das geht dann so in Richtung Verlustangst. Neulich hatte ich einen Traum, dass sich ein Unbekannter in der Nacht in meinem Arbeitszimmer bewegt und ich habe das aus meinem Schlafzimmer beobachtet. War nicht so schön.

Hat dich denn ein Traum zum Thema deines Albums bewegt?

Ja und nein. Ich war gerade dabei, den Song „Schlaf bei mir ein“ zu schreiben. Ich saß da so am Klavier und hatte natürlich auch diese ganzen aktuellen Krisen und Katastrophen im Sinn. Das Klima, der Krieg in der Ukraine. Der Song hat etwas Tröstendes, da begegnen sich  zwei Menschen auf der Straße und  können Trost und Unterstützung in dieser Begegnung finden. Plötzlich lasse ich sie in den Orbit entfliegen. Das war das erste Mal, dass ich in einen meiner Songs so ein Tagtraum-Element eingebaut habe. Das fand ich ganz spannend, ganz befreiend, weil mir das so viele Möglichkeiten beim Schreiben gibt. Daraus hat sich dann die Idee entwickelt, ein Album übers Träumen zu machen. 

Würdest du „Übers Träumen“ als Konzeptalbum bezeichnen?

Konzeptalbum klingt natürlich gleich so groß. Ich würde eher sagen, dass es einen roten Faden hat. Im Grunde ist es zweigeteilt, eine Hälfte ist etwas bodenständiger.

Dass du dir einen roten Faden überlegt hast, zeigt aber, dass du noch an die Idee des Album glaubst.

Ja, ich finde es schade, dass es zunehmend an Bedeutung verliert, alles immer kürzer wird und Musik sogar oft mittlerweile in Schnipseln dargeboten wird. Ich habe die Idee eines Albums schon immer gemocht, diese Möglichkeit, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Ich kaufe mir auch immer noch gerne Platten meiner Lieblingsbands.

„Möglichkeit zum Exit“

Du hast eben das Thema „Trost“ angesprochen. Ist das was, was Musik können sollte? Trost spenden in diesen albtraumhaften Zeiten? Denn du bist ja auch durchaus politisch und kritisch in deinen Songs unterwegs.

Ich finde es zumindest schön, wenn sie das auch kann. Wenn sie diese Möglichkeit zum Exit, zur Flucht aus der Wirklichkeit bietet. Ich bin aber auch ein politischer Mensch, daher habe ich für mich irgendwann entschieden, dass ich mehr in diese politische, gesellschaftskritischere Richtung gehen möchte.

Als Außenstehender würde man sagen, das war so ab der Zeit von „Alles ist jetzt“.

Ja, das war genau diese Zeit. Seither sind meine Songs politischer. Das ist natürlich ein ganz anderes Schreiben, da sind die Anforderungen an einen Text ganz andere. Da bin ich auch noch in der Lernphase, würde ich sagen, das Schreiben von Songs dauert seither etwas länger.

Du engagierst dich für zahlreiche NGOs, darunter Fridays for Future und die Bundesarbeitsgemeinschaft Pro Asyl. Wer Haltung zeigt, macht sich ja immer auch angreifbarer. War die Plattenfirma damals begeistert, als du diese neue Seite an dir zeigen wolltest?

Ich habe ja das Glück, eine Plattenfirma zu haben, die selbst sehr in diesen Themen engagiert ist. Und was für viele vielleicht überraschend ist: So wahnsinnig viel kommuniziere ich da gar nicht über meine Musik mit der Plattenfirma. Die hört ein Album, wenn es fertig ist und sorgt dann dafür, dass möglichst viele Leute mitbekommen, dass ich da etwas veröffentlicht habe. Sie redet mir aber nicht in meine Musik rein. Das war eigentlich auch schon immer so. Ich kann verstehen, wenn manche Mainstream-Künstler sich lieber zurückhalten, ihre Haltung nicht so offensiv vertreten, aber ich habe mich für einen anderen Weg entschieden.

„Bots, Nazis und Wolfgangs“

Bekommst du wegen deiner politischen Haltung denn böse Mails und Kommentare?

Ja, da kann man die Uhr danach stellen. Ich habe in diesem Jahr ein paar Konzerte gespielt, die für die gute Sache waren und da weiß ich dann, dass kurz darauf in den sozialen Netwerken böse Nachrichten kommen. Sei es von Bots, Nazis oder irgendwelchen Wolfgangs. Da kann ich aber mit umgehen.

Die Debattenkultur ist ja wirklich am Tiefpunkt. Sind wir als Gesellschaft noch in der Lage zum großen Traum, zur Utopie?

Ich würde das nicht so groß angehen. Man kann auch etwas im Kleinen verändern. Wenn ich mal ein Konzert in der Hamburger Tafel gebe, rette ich damit nicht die Welt, nicht einmal die Stadt Hamburg, aber ich kann zumindest dafür sorgen, dass da für ein paar Tage wieder das Lager voll wird. Jeder kann im Kleinen etwas tun. Und wenn es nur ist, offen zu sein, mit anderen in den Dialog zu treten und auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Wenn es um Rechte geht, gibt es ja zwei Denkschulen: Die eine sagt, man soll sie ignorieren, ihnen keine Plattform geben, die andere sagt: Man soll mit ihnen reden.

Es gibt natürlich solche, bei denen Hopfen und Malz verloren ist, keine Frage. Denen kann man ruhig die kalte Schulter zeigen, da ist dann auch eine Grenze erreicht. Aber es gibt auch solche, die vielleicht aus einem Angst- oder Überforderungsgefühl heraus eine Partei wie die AfD wählen. Die sind vielleicht noch erreichbar.

Dass du die Konfrontation nicht scheust, zeigt sich darin, dass du auch in Orten spielst, in denen die Rechten dominieren.

Ja, in Jamel zum Beispiel. In dem Dorf sind die Nazis in der Überzahl. Und dann gibt es da das Ehepaar Lohmeyer, das sich gegen Rechts engagiert und da ein Festival aus dem Boden gestampft hat. Da helfe ich gerne, solche Leute kann man nicht alleine lassen.

Du kannst das ja nachfühlen. Auch du bist in einem Ort aufgewachsen, der eher rechts war.

Ja, ich komme aus einem Dorf bei Braunschweig und da musste man sich früh entscheiden, ob man denn nun eher Punk oder Skinhead werden möchte. Wer da wie ich mit langen Haaren bis zum Arsch aus der Reihe getanzt ist, hat mit den Rechten schnell Stress bekommen.

„Man wurde schnell gebeult“

Wie hat sich das dann geäußert?

Man wurde schon mal gebeult. Ich habe dann recht früh, mit Kampfsport angefangen. Kickboxen. Ein Sport, dem ich bis heute treu geblieben bin.

Auf Instagram hast du zu deinem neuen Album geschrieben, dass du froh bist, dass beim Schreiben nach so langer Zeit  immer noch was geht. Hast du manchmal Sorge, dass es anders sein könnte?

Man hat natürlich immer mal Phasen, in denen einen das Schreiben nicht so von der Hand geht. Da gehört ein bisschen Zweifel dazu. Aber bei diesem Album ist es mir erstaunlich leicht gefallen, das hat mich wirklich gefreut.

Ist es mit über 40 schwieriger, Songs zu schreiben als mit 20?

Es ist auf jeden Fall anders. Wenn man jung ist, knallt vieles richtig, weil man die Dinge zum ersten Mal wahrnimmt, zum ersten Mal erlebt. Später ändert sich die Perspektive. Man kann aber immer noch Themen finden, es sind nur eben andere.

Du hast ja schon mit 13 angefangen, Musik zu machen. Es hat aber drei Alben lang gedauert, bis der Durchbruch kam. Fast zehn Jahre. Du wurdest früher bei Auftritten mit Dosen beworfen. Hattest du zwischenzeitlich überlegt, was anderes zu machen?

Der Drang, Musik zu machen, war immer schon stark. Ich konnte mir ernsthaft nie etwas anderes vorstellen. Als ich aber meinen Plattenvertrag bei der EMI verlor und ich kurz davor stand, Vater zu werden, hatte ich kurz überlegt, ob ich mit dieser neuen Verantwortung nicht einen anderen Weg einschlagen sollte. Nach fünf Minuten hat mir meine Frau, die damals immer mehr verdient hat als ich, aber gesagt, dass das Quatsch ist und ich weitermachen soll.

Was wäre denn die Alternative gewesen?

Ich hab ja in unheimlich vielen Jobs gearbeitet, um mein Musiker-Dasein irgendwie zu finanzieren. Im Gartenbau, in verschiedenen Cafés, sogar im Callcenter.

Im Callcenter? Es ist also durchaus möglich, dass deine Fans dich schon mal genervt weggedrückt haben?

Das ist bestimmt passiert. (lacht) Und viele sind wohl auch an mir vorbeigegangen, als ich in Berlin am Alex Abos für den „Spiegel“ verkauft habe.

Du bist gerade auf Tour gewesen, 2024 geht es weiter. Nimmst du auch mal Songs aus Deinen Setlists raus, weil sie alterstechnisch nicht mehr passen?

Das passiert eher seltener. Man schafft es in der Regel, sich ein bisschen vom Umstand zu distanzieren, dass man so manchen Song vielleicht mit Anfang 20 geschrieben hat und jetzt mit Über 40 singt. Aber ich stehe noch zu all meinen Texten. Letztlich muss da auf der Setlist eine gute Mischung herrschen, man will ja nicht, dass die eigene Keyboarderin plötzlich einnickt, weil sie zum hunderttausendsten Mal dasselbe spielen muss. Einen Song wie „3 Millionen“ haben wir früher mal testweise weggelassen, aber das geht nicht. Das wollen die Leute.

Mancher Künstler geht ja dann einfach hin und spielt seine Hits in kaum wiedererkennbarer Version.

Ja, so wie Sting, der aus „Every Breath You Take“ dann so eine ultralange Jazz-Nummer macht, weil ihn der Song sonst so abnervt. Nee, so weit isses bei uns noch nicht. Ich kann auf jeden Fall schon sagen: Es wird geschwitzt, gesungen, vielleicht auch hier und da geweint. Und es gibt viel Tanzbares.

Stichwort „Tanzbares“: Bei „Ein Traum“ hört man doch ein bisschen Pet Shop Boys mitschwingen, oder nicht?!

Ja, hat ein Hauch von „Go West“, nicht wahr? Sozusagen „Go West“ auf Kreisliga-Niveau. Das können die Leute von mir erwarten. Kann man genau so schreiben. (lacht)

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