Es gibt nur wenige Bands in Deutschland, die auch nach 40 Jahren im Geschäft noch Charterfolge landen. Eine dieser Ausnahmen: Alphaville. Die Band um Marian Gold kommt im März nach Mannheim, im April nach Saarbrücken. Benjamin Fiege sprach mit dem Sänger über seine Ansage an die AfD, die Finger von „Forever Young“ zu lassen, über fehlverstandene Texte und die Arbeit an einem neuen Album.
Marian, sind Sie gut ins neue Jahr gestartet?
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Ja, ich bin gut reingekommen. Wir hatten einen TV-Auftritt in der ARD bei dieser Silvester-Party. Recht spät. Danach konnten wir mit den anderen Künstlern wunderbar ins neue Jahr reinfeiern und uns die Kante geben.
Ich dachte immer, solche Sendungen werden lange vorher aufgezeichnet …
Die war live! Hat mich auch gewundert.
Keine Musik für die AfD
Die letzte Schlagzeile im alten Jahr über euch handelte davon, dass ihr der AfD verboten hattet, euren Hit „Forever Young“ zu nutzen.
Ja, der Song und auch einige andere wurden auf Veranstaltungen der AfD gespielt, und der eine oder andere AfD-Anhänger hat seine Uploads auf Social Media mit unseren Stücken unterlegt. Wir haben das der AfD verboten. Beziehungsweise, wenn man sagt: Leute, wir finden euch scheiße, lasst das, müsste das doch eigentlich reichen. Wenn man einen Funken Ehrgefühl im Leib hat, spielt man nicht Songs von Künstlern, die einen scheiße finden. Wir haben der AfD da unseren Standpunkt klargemacht. Allerdings hat man als Künstler juristisch wenig Handhabe. Die Partei ist clever genug zu behaupten, sie würde selbst gar keine Musik nutzen, aber den DJs auf Veranstaltungen freie Hand bei der Auswahl der Musik lassen … Für uns war es wichtig, öffentlich ein Statement abzugeben und uns politisch zu verorten. Heute ist es einfacher, politisch Position zu beziehen. Es reicht, auf der Seite der demokratisch orientierten Parteien zu sein. Früher war das komplizierter.
Habt ihr Euch denn auch in eurer Anfangszeit politisch verorten lassen?
Es ist schade, dass du mir diese Frage stellst. Wir haben eigentlich immer klare Kante gezeigt und gezeigt, wo wir politisch stehen. Wir sind von der Herkunft eine bürgerliche Band, deswegen würde ich uns als linksliberal bezeichnen. Aber diese Bezeichnung hat heute keinen Sinn mehr. Es geht darum, eine rechtsradikale Partei zu verhindern. Wir wissen ja, was passieren kann, wenn demokratische Parteien es nicht schaffen, sich zu organisieren und gemeinsam gegen diese Bedrohung vorzugehen.
Ich meinte tatsächlich eher, ob ihr mal mit einer Partei zusammengearbeitet hattet …
Nein, das haben wir nie. Wir waren junge Hippies, und Hippies waren nicht so für Parteien.
Würdet ihr grundsätzlich Parteien verbieten, eure Musik zu verwenden? So wie Herbert Grönemeyer neulich?
Ich finde Herbert total super. Der ist politisch hellwach und hat meiner Ansicht nach immer das Richtige getan. In dem Punkt aber bin ich nicht mit ihm einer Meinung. Ich lasse mich in der Situation, in der wir gerade sind, von jeder demokratischen Partei gerne instrumentalisieren. Da finde ich, da muss man aus seinen eigenen politischen Verkrustungen raus, weil wir da einfach ein viel größeres Problem haben. Der Kampf gegen den Faschismus ist eine Sisyphos-Aufgabe, eine, die sich mit jeder Generation immer wieder neu stellt.
Sind Sie optimistisch, dass der Turnaround da gelingt?
Ich bin ein unverbesserlicher Optimist und kann mir nicht vorstellen, dass wir Deutschen so doof sind, den selben Fehler zweimal zu machen. Man merkt, dass es Widerstand gegen diese rechten Tendenzen gibt. Und er ist sicherlich größer als vor 80 Jahren.
Kunst und Haltung
Haben Sie den Eindruck, dass Künstler sich heute mehr ihrer Verantwortung bewusst sind und Haltung zeigen? Das war in den 1980er und 1990er Jahren selten, zumindest auf Mainstream-Level.
Ich bin da nicht Ihrer Ansicht! Gerade die Kulturszene fand ich immer stark politisiert, da gab es immer Leute, die sich engagiert haben. Ich würde aber überhaupt bei dem Punkt „Verantwortung“ widersprechen. Ich bin deswegen Künstler, weil ich dadurch keine Verantwortung trage, für nichts und niemanden. Kunst existiert am besten aus reiner Verantwortungslosigkeit heraus. Sie ist ein Freiraum. Eine Spielwiese, auf der ich alles machen kann. Und im besten Fall unterhalte ich jemanden damit.
Viele Leute sorgen sich, dass wir wieder in düstere Zeiten zurückfallen. Alles erinnert wieder an den Kalten Krieg. In dem Zusammenhang fand ich ein Zitat von Ihnen spannend. Sie sagten, die 1980er wären das letzte Jahrzehnt unbeschwerten Daseins gewesen. Ich hätte das eher über die 1990er gesagt!
Die 1980er Jahre waren für mich 1986 vorbei. Mit Tschernobyl. Klar, wir steckten in diesem Ost-West-Konflikt, in dieser Konfrontation. Aber irgendwie war die Welt doch einigermaßen aufgeräumt. Da es Social Media und Internet noch nicht gab, waren die Leute nicht so informiert darüber, was außerhalb ihrer Hemisphäre an grausamen Dingen passiert. Wir lebten auf einer Insel der Seligen. Die Bedrohungen fühlten sich mehr so an, als würde man im Kino sitzen, man hatte Distanz. Mit Tschernobyl wurde das dann aber real, die Illusion war vorbei. Die 1990er waren dagegen sehr ideologiefrei. Totale Anarchie. Da fanden auch die besten Partys statt, an die ich mich erinnern kann. Als würde es kein Morgen geben. 9/11 war dann die nächste Zäsur. Seither sind unsere Strukturen in der Auflösung. Trump und Musk werden da nun eine neue Weltordnung schaffen, und wir können nichts gegen tun.
„Big in Japan“ und die Sache mit den Lyrics
Bleiben wir bei den 1980ern. Ihr hattet ja gleich zu Beginn drei Riesenhits. Zum Teil ja thematisch unwahrscheinliche Hits wie „Big in Japan“. Da ging es um Drogen. Junkies.
Das wollte keiner so genau hören. Die Leute fanden die Melodie nett und dieses Riff. Auf den Text hörte kaum jemand. Der Text ist in erster Linie für den Komponisten, weil er für ihn eine Inspiration ist. Mir ist es wichtig, einen guten Text zu haben, dann kann ich auch ein gutes Stück schreiben.
Nervt einen das, wenn die Leute die Texte ignorieren oder missverstehen?
Nein. Ich habe nicht den Anspruch, dass die Leute alles verstehen. Es ist ein Angebot eines verantwortungslosen Künstlers, der da nachsichtig sein muss.
Sind Sie überrascht, was Leute in Ihre Texte hineininterpretieren?
Das geht mir grundsätzlich so. Als kreativer Mensch bist du so eine Art Zufallsgenerator. Manchmal weiß man selber nicht, was man da macht, man folgt einem inneren Antrieb, einer Spur. Nicht immer ist alles strategisch.
Was hat denn der große Erfolg mit euch gemacht? War der auch eine Überforderung?
Nee, das war nicht schwierig. Alles war zwar von 0 auf 100 anders. Unsere erste Single ging nach sechs Wochen auf Platz eins in Deutschland. Und die nächsten Singles wurden Hits. Aber wir waren da Greenhorns, total naiv, haben wie selbstverständlich Welthits geschrieben. Das kann man vom Schicksal eigentlich nicht verlangen. So viel Schwein kann man gar nicht haben. Wir waren alles Nichtmusiker, keiner von uns konnte ein Instrument spielen. Nur weil es da diese neue Technologie gab, konnten wir überhaupt mitspielen. Songs schreiben, die Melodien in unseren Köpfen real werden lassen.
Der Durchbruch kam mit dem Abebben der Neuen Deutschen Welle. Hatte die Plattenfirma euch nahegelegt, auf Deutsch zu schreiben?
Vor unserem Plattenvertrag hatten wir englische und deutsche Songs wie „Traumtänzer“ oder „Leben ohne Ende“. Super Stücke. Aber dann eben „Big in Japan“, „Sounds Like A Melody“ und „Forever Young“. Da fiel die Entscheidung leicht, in welcher Sprache wir weiter schreiben. Englisch ist ohnehin so etwas wie eine Muttersprache für mich, ein Drittel meiner Familie ist Engländer. Daher hatte ich immer eine starke Bindung zum angelsächsischen Kulturkreis.
Bereut ihr es eigentlich, bis 1995 nie Live-Konzerte gegeben zu haben? Mittlerweile tourt ihr ja gern und häufig.
Nein, wir haben alles richtig gemacht. Möglicherweise hätten wir unsere Karriere ruiniert, wenn wir live aufgetreten wären. Instrumentell, von unseren musikalischen Live-Fähigkeiten her, wäre das eine Katastrophe geworden. Wir konnten alle drei nicht spielen. Wir wussten mit der entsprechenden Technik umzugehen, aber nicht mit echten Instrumenten. Und mit Halb- oder Vollplayback oder mit einer Legionärsband live aufzutreten, das wäre nicht authentisch gewesen.
Derzeit auf Tour
Von den heutigen Skills der Band kann man sich live auf der Tour auch in Mannheim, Stuttgart, Frankfurt und Saarbrücken überzeugen. Es wird eine Greatest-Hits-Show …
Ja, das ist es ja immer bei uns. Uns gibt es seit 40 Jahren, wir haben in der Zeit auch regelmäßig Alben veröffentlicht. An gutem Material herrscht da kein Mangel.
Begleitend gab es neulich ein Best-of-Album, bei dem die Fans über die Titelliste abstimmen durften. Gab es da für Sie Überraschungen?
Ja, die gab es, aber keine besonders guten (lacht). Bei zwei Stücken, die es nie zur Single geschafft hatten, hatte ich die Hoffnung, dass sie in der Vorschlagsliste landen. Zwei meiner Lieblingsstücke. Live werden wir sie trotzdem spielen. Auch wenn sich die Fans das nicht gewünscht haben. Das kündige ich bei Konzerten dann genauso an. (lacht) Danach kennt der Jubel oft keine Ende. Manchmal muss man es den Leuten eben hinterher tragen.
Beim nächsten Best-of sind die Songs dann wohl dabei. Gibt es denn auch neue Songs zu hören?
Wir stecken in den Arbeiten an einem neuen Album, es wird wohl 2026 veröffentlicht. Dabei lassen wir Erfahrungen einfließen, die wir zuletzt mit dem Album „Eternally Yours“ gemacht haben, für das wir mit einem Orchester unsere großen Hits neu arrangiert und eingespielt haben. Es wird aber kein orchestrales, sondern ein Studio-Album werden.
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