Urban Priol (foto: Michael Palm)

Urban Priol im Interview: „Linnemann ist das Einstecktuch von Merz“

Wenn sich die Ereignisse überschlagen, können Kabarettisten die Dinge für uns ein bisschen ordnen. Und mit ihrem Humor dafür sorgen, dass wir im Weltschmerz nicht zergehen. Benjamin Fiege sprach mit Kabarettist Urban Priol über die Lehren aus der Bundestagswahl, die neue Rolle des politischen Spaßmachers und seinen Auftritt in Zweibrücken.

Herr Priol, haben Sie sich nach Wahlkampf und Bundestagswahl schon einigermaßen erholt?

anzeige

Ich habe den Wahlabend mit vielen Freunden zusammen verbracht und das Ganze im Fernsehen verfolgt. Und dann ging es am nächsten Tag direkt weiter, wir sind jetzt in diesem Zwischenreich der Findung, es bleibt spannend. Viel Zeit zur Erholung ist da nicht.

Ist Wahlkampf prinzipiell für Sie eher stressig? Oder entspannter, weil einem die Themen frei Haus geliefert werden

Manchmal ergibt sich sogar zu viel Material. Normalerweise nehme ich mir nach meinem Jahresrückblick zwei, drei Wochen und stelle mich dann langsam wieder um aufs Tourprogramm. Das war nun schwieriger durch Winter-Wahlkampf und Februar-Wahl. Es war schon viel Arbeit. Da kam der Hofnarr doch manchmal an seine Grenzen.

Sie stammen aus Aschaffenburg. Durch den Anschlag war die Stadt im Wahlkampf Thema. Es wurde gefühlt viel über, aber wenig mit Aschaffenburgern gesprochen …

Das haben Sie sehr richtig gesagt. Über Aschaffenburg wurde sehr viel gesprochen. Aschaffenburg sei der Wendepunkt und werde jetzt für eine andere Politik sorgen. Dem würde ich gern entgegenhalten: Geht mal etwas pfleglich mit dem Städtchen um. Hier herrschen immer noch Betroffenheit und Trauer. Wie die Stadtgesellschaft miteinander umgegangen ist, das war sehr positiv. Es wurde zur Mäßigung aufgerufen und darum gebeten, diese schreckliche Tat nicht zu instrumentalisieren. Leider ist dann doch das Gegenteil davon eingetreten.

„Klimawandel fiel hintenrunter“

Der Wahlkampf war sehr auf Migration und illegale Migration verengt. War das notwendig?

Nicht in dem Ausmaß. Alle anderen Themen fielen völlig hinten runter. Wie etwa der Klimawandel. Der ist in Sachen Aufmerksamkeit auf dem Relegationsplatz gelandet. Da scheint die Hoffnung zu bestehen: Wenn wir nicht über ihn reden, wird er von allein verschwinden.

Hat der Wahlkampf der AfD in die Karten gespielt?

Mich hat positiv gestimmt, dass trotz des Trigger-Themas Migration durch den Merz-Move im Bundestag, CDU und AfD nicht profitiert, sondern eher Stimmen eingebüßt haben.

In Wahlkämpfen heißt es ja immer: Das ist jetzt eine Schicksalswahl. Ist da dieses Mal aber etwas dran? Ist diese Legislaturperiode die letzte Patrone für unsere Demokratie?

Seit 1949 gibt es grundsätzlich nur Schicksalswahlen. Aber es ist schon klar, dass wir eine ernste Lage haben und die demokratischen Parteien gut beraten sind, ihre Kräfte zu bündeln und mit Querschüssen aufzuhören. Die Leute wollen, dass sich die Parteien zusammenraufen und Probleme angehen und sich nicht gegenseitig blockieren. Sonst haben wir bei der nächsten Wahl wirklich ein Problem.

Merz hat sich hingestellt und gesagt: Links ist vorbei …

Seine berühmte Löwenbräukeller-Rede. Da war von links-grünen Spinnern die Rede. Das war nicht sehr hilfreich. Wahrscheinlich war er wegen irgendwas angefressen und hatte wieder mal seine Impulse nicht unter Kontrolle. Die Kreidevorräte waren wohl auch aufgebraucht. Wenn das der Stil sein sollte, bezweifele ich, dass das eine stabile, gute Regierung wird.

Mit Scholz, Lindner und Habeck haben drei namhafte Politiker die ganz große Bühne verlassen. Wen werden Sie vermissen?

Ich finde gut, dass Robert Habeck sein Bundestagsmandat annimmt und freue mich auf die eine oder andere Rede von ihm. Seinen doch sehr anderen Stil braucht man in dieser aufgeheizten Stimmung. Christian Lindner hinterlässt eine Lücke, die sich selbst schließen wird. Und bei Olaf Scholz hat man sich doch schon während seiner Amtszeit gefragt, ob er überhaupt noch da ist.

„Streit ist wichtig, aber …“

War’s das mit der FDP?

Wenn Sie sich im Sinne einer sozialliberalen Partei, die wir eigentlich dringend bräuchten, reformieren könnten, könnten sie vielleicht wieder kommen. Es sieht aber nicht danach aus. Mit ihrem aktuellen Stil bräuchte man sie nicht.

Sie sagten mal: Es ist ein Phänomen, dass Angela Merkel mit ihrer eigenen Politik nicht in Verbindung gebracht wird. War das, in gewisser Weise, auch ein Problem der Ampel, als es am Anfang noch gut lief?

Sie konnte sicherlich ihre Erfolge zu Beginn nicht verkaufen. Aber im Grunde war schon im ersten Jahr, nach der Landtagswahl in Niedersachsen, bei der die FDP rausflog und danach den FDP-pur-Weg einschlug, der Weg der Ampel beendet. Streit ist zwar wichtig für eine Demokratie, aber er muss konstruktiv sein.

Wir hatten jetzt eine gute Wahlbeteiligung. Man kann daher vielleicht nicht von einer Politikverdrossenheit reden, aber von einer Politikerverdrossenheit. Spürt man da auch als Kabarettist eine Verantwortung, es mit dem Bashing vielleicht nicht zu übertreiben?

Wo satirisches Bashing und Überzeichnen angebracht ist, sollte man es weiter tun. Aber: Es ist schon eine neue Situation. Wir Kabarettisten müssen den Leuten heute auch Mut machen. Es ist nicht alles so schlimm, wie es dargestellt wird. Wir stehen nicht vor dem Kollaps. Der Eisberg ist noch weit entfernt.

Wie schafft man es, in all dem Negativen das Humorige zu finden? Ist das Handwerk oder Naturell?

Man braucht beides. Man muss von einer fatalistischen Grundfröhlichkeit beseelt sein, dann kann man den satirischen Honig aus der Sache raussaugen. Es ist schwieriger geworden, aber es geht. 

Treibt es die Leute in diesen Zeiten eher ins Kabarett oder haben sie die Nase voll von Politik?

Sie bleiben zum Glück nicht weg. Es ist in den letzten Jahren ein stärkerer, politischer Diskurs entstanden, es wird mehr diskutiert als in den lähmenden 16 Jahren zuvor, in der sich Mehltau über das Land gelegt hatte. Das ist gut, davon lebt die Gesellschaft. Es kommen jetzt auch deutlich mehr jüngere Menschen ins Kabarett. Oft sitzen da drei innerfamiliäre Generationen in der Show. Eine schöne Entwicklung.

„In der analogen Zeit entspannter“

Die Zeiten sind unfassbar schnelllebig geworden. Wie schwierig ist es, sein Programm aktuell zu halten? Wie dynamisch ist es?

Bevor ich abends auf die Bühne gehe, habe ich vier, fünf Stunden Nachrichten-Konsum hinter mir, bei dem ich mir die Frage stelle: Was baust du heute noch ein, was fliegt dafür raus? Es gibt im Programm kleinere feste Blöcke, der dramaturgische Spannung wegen, ich arbeite auch mit einer tollen Dramaturgin zusammen. Der Rest ist aber im Wandel, eine ewige Baustelle. Jeder Abend ist anders. Es kam schon vor, dass ich fünf Minuten vor Show-Beginn noch etwas hinzufügen musste. Und in der Pause checke ich auch immer, ob was passiert ist. Denn: Das Publikum macht das ja ebenfalls, da wird in der Pause direkt zum Smartphone gegriffen. Das war in der analogen Zeit entspannter. 

Wie bewerten Sie denn aktuell den Zustand des Kabaretts in Deutschland?

Man hat den Eindruck, im Fernsehen weicht es mehr und mehr der Comedy …Es gibt zum Glück, gerade im Öffentlich-Rechtlichen, noch gute Kabarett-Programme. Ich würde auch die Abgrenzung zwischen Comedy und Kabarett nicht so scharf ziehen. Beides vermengt sich ja hier und da.

Zu Ihrem Repertoire gehören Imitationen, von Strauß über Kohl und Merkel bis Söder. Gibt es eine Figur, an der sie gescheitert sind?

Wenn, dann hing das wohl damit zusammen, dass die Person einfach zu langweilig ist. Bei Typen, die Ecken und Kanten beziehungsweise besondere Merkmale haben, fiel es mir immer leicht. 

„In Bayern haben wir noch Kracher zu bieten“

Man hat den Eindruck, dass der moderner Politiker-Typus stromlinienförmiger ist. Wo setzt man etwa bei Carsten Linnemann an?

Der ist im Grunde das Einstecktuch von Merz, damit ist über ihn eigentlich alles gesagt. In Bayern haben wir aber zum Glück noch einige Kracher zu bieten. Ansonsten muss man sich die Worthülsen und Phrasen der Politiker genau anschauen und aufdecken, was sich dahinter eigentlich verbirgt.

Gab’s denn mal richtig Ärger wegen eines Gags? Sie haben ja mal fast für diplomatische Verwicklungen mit Polen gesorgt …

Wegen eines Gags nicht. Die Geschichte mit Polen beruhte auf einem Missverständnis. Es ging um den Flugzeugabsturz des Präsidenten Kaczynski. Da gab es von allen Seiten Beileidsbekundungen. Ich wies darauf hin, dass plötzlich alle Kaczynski betrauern und vorher keine Sau etwas mit ihm zu tun haben wollte. Das war ja damals eine heiße Phase im Europa-Parlament. In der polnischen Schwesterzeitung der „Bild“ wurde daraus dann die Schlagzeile: Deutscher Komiker bezeichnet polnischen Präsidenten als Schwein. Die kannten unsere Redewendung dort nicht. Unser Programmdirektor wurde dann in die polnische Version der Tagesschau zugeschaltet, hat dort die Freiheit der Satire bei uns erklärt. Vom Sender wurde das also gut abgepuffert.

Jetzt sind Sie bald in Zweibrücken. Die AfD hat da richtig abgeräumt. Macht man sich als eher links verorteter Kabarettist heute Gedanken, wie das Publikum da so drauf ist, vor dem man möglicherweise spielt?

Ach, ich war ja neulich im Osten auf Tour, da wurde ich auch gefragt, ob ich mein Programm deswegen umstelle. Mache ich natürlich nicht. Da muss ich durch und da müssen auch die Zuschauer durch. Zum Glück sind ja nicht alle „blau“. Die meisten sind immer noch froh, dass es auch noch die anderen Stimmen gibt.

Kommen Sie mit den Menschen in diesen eher blau gefärbten Städten auch ins Gespräch? Sind das dann sinnvolle Gespräche oder läuft das eher ab wie im Internet?

Ja, das passiert, rund um die Auftritte. Da habe ich keine Berührungsängste. Leider ist es meistens aber wirklich wie im Internet. Bei vielen dringen keine Argumente durch, da ist ein Tunnelblick da und eine echte Diskussion nicht möglich. Wenn ich das merke, dann lasse ich es. Das ist fürs eigene körperliche Wohl besser.

Angekündigt werden Sie für den Auftritt in Zweibrücken als „politische Abrissbirne“. Was gibt es denn derzeit noch abzureißen?

Auf was können wir uns gefasst machen?

Das festgefahrene Denken in den Köpfen, da kann man noch einiges abreißen. Konkret wird es viel um die Bundestagswahl gehen – und all das, was bis dahin noch so passiert. Nicht umsonst heißt das Programm: Im Fluss … bfi

Zur Person & Termin

Urban Priol, Jahrgang 1961, ist ein vielfach ausgezeichneter Kabarettist aus Aschaffenburg. Bekannt wurde er vor allem durch die politische Kabarett-TV-Show „Neues aus der Anstalt“ (ZDF). Mittlerweile liegt sein Schwerpunkt mehr auf der Bühne und einem TV-Jahresrückblick. Mit seinem Programm „Im Fluss“ kommt er am Donnerstag, 13. März, 20 Uhr, in die Festhalle Zweibrücken.

anzeige

Zeen is a next generation WordPress theme. It’s powerful, beautifully designed and comes with everything you need to engage your visitors and increase conversions.

Zeen Subscribe
A customizable subscription slide-in box to promote your newsletter
[mc4wp_form id="314"]
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner