Joy Bogat (foto: Paulina Metzscher)

Track By Track: Joy Bogat über „Fabric Of Dreams“

„Maybe being soft is what makes us worthy of trust.“ Das ist das Motto der Künstlerin Joy Bogat. Ihre Musik bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Soul, Alternative RnB und Indie. Flächen aus Synthesizern und Stimmen, Spoken Word und groovende Beats verweben sich dabei mit spielerischer Leichtigkeit. Gerade ist ihr Debütalbum „Fabric of Dreams“ erschienen. Ein Album, das in den vergangenen drei Jahren entstanden ist „und genau das geworden, was ich mir erhofft habe. Wie eine Leinwand, auf der ich alle meine Einflüsse unterbringen konnte. Jeder einzelne Song träumt von etwas anderem“, so Bogat, die in Hannover lebt und arbeitet. Der Titel spielt darauf an, sich vom Blick der Gesellschaft zu befreien, davon, sich nicht mehr von Werbung und Social Media diktieren zu lassen, woraus unsere Träume gewebt sein sollen und dürfen. Welche Gedankenspiele sich so hinter den einzelnen Tracks verbergen, verrät uns die Gute in diesem Track-By-Track-Interview.

01 Milk and Honey

So wie jeder Mensch wahrscheinlich irgendwann mal den Moment hat, in dem er oder sie sich konfrontiert damit sieht, wie der eigene Körper von der Gesellschaft wahrgenommen wird, hatte ich diesen Moment auch, als ich „Milk and Honey“ geschrieben habe. Ich war so müde davon, mich, meine Narben und meinen Körper zu kritisieren und zu verstecken und wollte mir einen Ort erträumen, an dem all das sein darf, eine Utopie, eine Art Paradies. Eine Welt, in der nur ich darüber bestimme, aus was für einem Stoff meine Träume sein dürfen – „Milk and Honey“ ist dadurch nicht nur Opener sondern auch Namensgeber des Albums geworden. Und da es im Song auch um die Natürlichkeit unserer Körper geht war klar, dass es bei einem schlichten und organisch souligen Sound bleiben wird. 

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02 Raise My Glass

Das Verrückte an diesem Song, in dem ich sinnbildlich auf meine Vorfahren anstoße, ist, dass ich den Song geschrieben habe, als ich bereits schwanger war und es aber noch nicht wusste. Letztes Jahr bin ich Mutter geworden und habe in dem Zug verstärkt darüber nachgedacht, wo ich herkomme und was ich der nächsten Generation vermitteln möchte. Darin liegt eine unheimliche Stärke, die ich feiern wollte, auch musikalisch – es geht los mit dieser Synthesizer-Linie, die eine offene Stimmung erzeugt und dann geht treibend mit den Drums in den Chorus. Die gesprochenen Strophen sind stilistisch inzwischen typisch für mich würde ich sagen – für „Raise My Glass“ hat es aber einfach so gut gepasst, denn Familiengeschichten sind immer groß – da braucht es mehr als nur acht Zeilen. 

03 No Gravity

Ein bisschen wie im luftleeren Raum sollte sich „No Gravity“ anhören, denn so fühlt es sich für mich als Schwarze deutsche Frau meistens an, wenn ich mich mal wieder zwischen den Stühlen fühle und mich nirgendwo zugehörig fühle. Es geht um den Zustand in einem Selbst, die dunklen Momente, in denen man sich allein und unverstanden fühlt und dennoch spürt, dass einem selbst furchtbar viel Schönheit innewohnt.

There’s no gravity in here – I’m floating freely – And if they have forgotten me  – I don’t mind – It’s still dark in here – Feels like the walls are caving in on me – But it’s beautiful in my mind 

04 Backwards

Mein Anspruch für das Album war, neben persönlichen Themen auch politischer zu schreiben, weil ich bei so vielen Themen eine Dringlichkeit sehe. „Backwards“ habe ich mal als Track für einen Klima-Sampler angefangen zu schreiben, ich wusste damals, dass ich keine lauten Protest-Songs schreiben kann/möchte und habe deshalb daran erinnern wollen, dass nur weil andere lauter sind als du selbst, du mindestens genauso vertrauenswürdig sein kannst. Mein Motto „maybe being soft is what makes us worthy of trust“ stammt aus diesem Song. Bei allen Krisen, die es heutzutage gibt, ist die Versuchung so groß, den Fernseher auszuschalten und die Wahrheiten unter den Teppich kehren zu wollen. „Backwards“ ist ein Reminder, dass wir uns damit letztendlich keinen Gefallen tun, denn je mehr sich unter diesem Teppich anhäuft, desto wackliger wird die Grundlage, auf der wir stehen.

05 Thirsty

Der spährischste Track auf dem Album und meine Art von Konsumkritik. In meiner Jugend habe ich viel von der Serie „Def Poetry Slam“ (2002-2007) geschaut, wo unter anderem Lauryn Hill und Kanye West ihre Texte als Spoken Word vorgetragen haben, und daraus entstand meine Liebe zu dieser Form der Lyrik, die diesen Song prägt. Der Song kommt ohne Drums aus, man wartet auf und erwartet den Beat zum Schlussteil, aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden, denn die Zeile „My cup is full of love, faith, empowerment.“, die von Chören gesungen den Song beendet, sollte Luft lassen für genau das. Wir häufen so viel an heutzutage, rennen von einem Sale zum nächsten und in der Musik ist es manchmal ähnlich finde ich, Songs gehen durch riesige Produktionen kaputt. Da wollte ich mit „Thirsty“ gegensteuern und in diesem Song Platz lassen für den Inhalt, für die Worte. 

06 Confide In You 

Ich liebe ja manchmal schräge Akkorde und Kombinationen, die erstmal weird klingen. Und der Synthesizer im Chorus von „Confide In You“ fällt da komplett rein und passt super zu dem Grundgefühl des Songs, der aus einer isolierten Position heraus „um Hilfe bittet“. Ich hab den Song damals am Bass geschrieben, wahrscheinlich ist er deshalb der most indie track, den ich je geschrieben habe. 

07 Dreaming

Puh, dieser Song hat schon so viele Arrangements durchlaufen, fast hätte ich ihn vom Album geschmissen, weil ich mit dem Sound nicht zufrieden war, aber dann haben wir mit einem Gitarristen die jetzige Version gefunden und ich liebe den RnB-Vibe, den der Song bekommen hat. Ich bin jemand, der sehr viel und bildhaft träumt und schon immer hat es mich fasziniert, dass wir alle in unsere eigenen Traumwelten driften, wenn wir einschlafen und bloß noch physisch neben jemandem liegen, im Kopf aber ganz weit weg sind. Sich am nächsten Morgen davon erzählen zu können ist der beste Start in den Tag. 

08 Everything At Once

Zu Corona-Hochzeiten ging es so vielen Menschen in meinem Umfeld psychisch schlecht, das war erschreckend mitzuerleben. Ich wollte einen Reminder an uns alle, dass es gut ist, viel fühlen zu können. Wir waren ja alle ein wenig gefangen in unseren Wohnungen und für uns allein, da ist es kein Wunder, dass so viel aus unserem Inneren an die Oberfläche kam. Das Sound-Gewand von „Everything At Once“ ist wunderbar organisch geworden, der balladigste Song des Albums mit Klavier und vielen Stimmen. 

09 Confidence

„Confidence“ ist auf dem Album eine Art langes Interlude geworden. Der Song folgt keiner klassischen Songstruktur und baut sich kontinuierlich auf. Das repetitive Instrumentale des Schlagzeugs und der Keys geht später voll auf, wenn der Beat sich verändert und etwas Treibendes bekommt. Thematisch wollten wir aus dem Gedanken, dass sich Selbstbewusstsein manchmal erst bemerkbar macht, wenn man für sich allein ist, etwas Feierbares machen, zu dem man tanzen kann. Und so geht „Confidence“ wunderbar über zum vorletzten Song des Albums. 

10 Why Should We Lie

Einer von zwei Songs, die ich allein produziert hab. „Why Should We Lie“ ist ursprünglich am Klavier entstanden, zu der Zeit habe ich aber auch viel mit der Software Ableton herumprobiert, in der dann die Produktion und der Sound entstanden ist. Ich hab es selbst an mir schon viel zu oft beobachtet, wie ich aus meiner Mitte gerissen werde, sobald ich auf Social Media bin, das Handy oder den Laptop anmache und mich konfrontiert sehe mit so vielen Menschen, die ihr Leben scheinbar so viel besser als ich im Griff haben. Dem wollte ich einen Song entgegensetzen, der sich dahingehend für Ehrlichkeit ausspricht. Wir alle wissen das ja eigentlich, dass hinter Social Media so viel Fake steckt, vergessen es aber viel zu oft. Warum also lügen und mitmachen bei dem Ganzen? 

11 A Way Out 

„A single mind can’t tell you the truth“. Die erste Zeile aus diesem Song kommt aus dem Buch Dunkelblum von Eva Menasse, es gibt einen Abschnitt, in dem es darum geht, dass man sich lieber darauf verlassen sollte, was das Kollektiv sagt als eine einzelne Person, weil wir alle in unserer eigenen Wahrheit gefangen sind. Im Song habe ich darüber geschrieben, aber auch darüber wie oft wir in unseren alten Mustern gefangen sind und es uns so schwer fällt, neue Wege einzuschlagen und von mehr zu träumen als von uns selbst. Im Outro des Songs wird ein Zitat eingespielt vom Indigenen Davi Kopenawa der Yanomami, das mich schon lange begleitet und den Song perfekt abrundet. „The white people? They do not dream as far as we do. They sleep a lot but only dream of themselves.“ 

Das ganze Album träume von verschiedenen Dingen. All in all wünsch ich mir aber einfach für uns alle, dass wir gemeinsam Dinge (er)träumen können. 

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