Marika Hackman - Big Sigh (foto: Chrysalis)

Marika Hackman – Big Sigh

Erscheinungsdatum
Januar 12, 2024
Label
Chrysalis
Unsere Wertung
9

Fünf Jahre nach „Any Human Friend“ (2019) legt die britische Singer-Songwriterin Marika Hackman mal wieder ein Album mit ausschließlich eigenem Material vor. „Big Sigh“ ist ein waschechtes Pandemie-Album – und für die Künstlerin auch eine Art Befreiung.

Irgendwann wollte Marika Hackman einfach mal ausbrechen. Anfang 2020 war die Gute plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, isoliert. Seit 13 Jahren, seit ihrem 19. Lebensjahr, hatte sie sich in einem ständigen Kreislauf aus Schreiben, Aufnehmen, Pressen und Touren befunden. Plötzlich mal nichts zu tun, war quälend. Die unheimliche Stille, die damit einherging: kaum auszuhalten. „Ich habe ziemlich starke Angstzustände. Normalerweise ist das zu bewältigen, aber während der Pandemie zwei Jahre lang keine Kontrolle zu haben, war unmöglich.“

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Da an Schreiben nicht zu denken war, nahm sie Cover-Songs auf. Im Inneren wuchsen dabei die Zweifel, ob sie jemals wieder einen eigenen Song fertigstellen könnte. Bis zu einem Abend im Jahr 2021, als sie an einem sehr ungewöhnlichen Ort fündig wurde: einem Klo. Die Beschränkungen waren aufgehoben worden, und Marika ging in die Kneipe. „Ich hatte an diesem Tag zu Hause einen Song geschrieben und ihn schnell auf mein Handy aufgenommen, da ich mich mit Freunden treffen musste. Als ich in der Kneipe war, ging ich auf die Toilette, um ihn mir anzuhören, und stellte fest, dass er ein Knaller war. Mir lief vor lauter Erleichterung das Wasser im Mund zusammen“.

Mit „Hanging“ fing alles an

Dieser Song findet sich natürlich auch auf dem neuen Album. „Hanging“ heißt das Stück, Hackman verarbeitet darin das Ende einer Beziehung. Ein Track, der nicht nur zu den stärkeren Nummern der Platte gehört, sondern die gegensätzlichen Themen des Albums auch perfekt verkörpert: der Kontrast zwischen laut und leise, die Vermischung von Industrial und Pastoral sowie die Unschuld der Kindheit gegenüber der rauen Realität des Erwachsenseins.  

Zu den weiteren Glanzlichtern gehört natürlich die Lead-Single „No Caffeine“. In dieser wird das Klavier wie in „House of Horrors“ eingesetzt, um das Gefühl von taumelnder Panik zu verstärken. Überhaupt kommt dem Klavier auf dem Album eine tragende Rolle zu. In dem Instrumental-Stück „The Lonely House“ dominieren die Piano-Klänge, auch im cineastischen „The Ground“, das hier und da an Radioheads „Draydreaming“ erinnert.

„Blood“ und „The Yellow Mile“ bieten unterdessen kratzige Akustikgitarren, während „Vitamins“ der Cousin von Portisheads „The Rip“ ist – ein langsamer, halluzinogener Abstieg in unheimliche Synthies, langsames Klirren von Metall und ein großer apokalyptischer Höhepunkt. Auch „Slime“, eine wunderbare Indie-Pop-Nummer, bleibt haften.

Selbst ist die Frau

Hackman spielte alle Instrumente außer den Bläsern und Streichern selbst ein, produzierte die neue Platte auch zusammen mit Sam Petts-Davies und ihrem langjährigen Mitarbeiter Charlie Andrew. Entstanden ist so ein Album, auf dem es ein ständiges Hin und Her zwischen organischer Instrumentierung und der härteren Dynamik synthetischer Verzerrung gibt.

Zu Hackmans Stärke gehören natürlich schon immer die Texte. Diese schaffen diesmal Bilder von Grauen, Sehnsucht und schräger Romantik. Hackman: „Die Art und Weise, wie ich auf dieser Platte über Liebe und Sex geschrieben habe, unterscheidet sich sehr von ,Any Human Friend‘, das ein Fest des sexy Spaßes und der viszeralen, ranghohen Geilheit war. Das hier hingegen ist sensibel – eine nachdenklichere Reflexion.“ 

Abrechnung mit der eigenen Angst

Marika rechnet dabei auch mit ihrer Angst ab. Zum ersten Mal wurde sie im Alter von 17 Jahren mit akuter Angst konfrontiert, als ihr Blinddarm platzte – ein beinahe tödlicher Vorfall, der durch eine Sepsis im Krankenhaus noch verschlimmert wurde. Hackman: „Das war ein großer Schock für meinen Körper. Ich war noch ein Kind, und danach hatte ich schnell weitere Traumata, mit denen ich nicht fertig wurde. Damals hatte ich meine erste Panikattacke, und seitdem bin ich ängstlich.“

Diese Konfrontation mit dem Tod veränderte Marika tiefgreifend – sie wurde zum Ausgangspunkt ihrer musikalischen Karriere. Sie begann nicht nur bald nach diesem Vorfall mit dem Musikmachen, sondern es gab ihr auch einen ihrer größten thematischen Züge: eine ironische, verstörende Beschäftigung mit körperlichen Ausscheidungen – Blut, Übelkeit und darüber hinaus. Das sind all die physischen Elemente des Lebens, die ihr das Gefühl geben, außer Kontrolle zu sein, die sie im wirklichen Leben so verzweifelt vermeidet, aber in ihrer Musik konfrontiert sie die Körperlichkeit mit brutalem, trockenem Humor, wie zum Beispiel in „Vitamins“:“Mum says I’m a waste of skin / A sack of shit, and oxygen“. 

Anspieltipps
Hanging
Vitamins
No Caffeine
Slime
Blood
The Yellow Mile
9
Ein zufriedener Seufzer unsererseits.
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