Schiller in Mannheim (foto: fiege)

Live: Schiller in Mannheim

Nein, er ist kein Mann der großen Worte: Außer ein paar Danksagungen hält sich Christopher von Deylen alias Schiller auf der Bühne verbal lieber zurück. Er lässt lieber die Musik für sich sprechen. So wie Freitagnacht beim Carstival auf dem Mannheimer Maimarktgelände, in der die Zuhörer in rund 400 Autos Zeugen einer besonderen Zusammenarbeit wurden.

Kitsch. Wundervoller deutscher Kitsch. So hat  Neil Tennant die Musik von Schiller mal bezeichnet, wie Christopher von Deylen, der hinter dem Pop- und Ambient-Projekt steckt, jüngst in einem RHEINPFALZ-Interview  verraten hat. Worte, die einem wieder in den Sinn kommen, wenn man da so während des Schiller-Konzerts – Motto: „Lichtsommer“ – in seinem Auto sitzt und sich die Videos anschaut, die über die 300 Quadratmeter große Leinwand flimmern. Film gewordene Versuche, die Ästhetik und die Atmosphäre der Schiller-Musik irgendwie visuell zu fassen. Und was sieht man da zumeist? Farbexplosionen. Sonnenaufgänge. Sonnenuntergänge. Wasserfälle. Atemberaubende, einsame Landschaftsaufnahmen. Und Palmen. Immer wieder Palmen. Ganz hübsch, aber: wonderful German Kitsch eben, hier und da garniert mit Elementen aus der Weltmusik. Als hätte jemand aus Instagram, jenem sozialen Netzwerk, das wie kein anderes versucht, Sehnsüchte zu wecken, eine Live-Show gemacht.

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Feel-Good-Musik zum Abschalten

Aber vielleicht liegt ja auch genau darin das Erfolgsgeheimnis von Schiller. Von der Kühle, von der Seelenlosigkeit, die elektronischer Musik oft nachgesagt wird, ist bei von Deylens Musikprojekt nichts zu spüren. Im Gegenteil: Hier geht es um Wärme, um Emotionen. Schiller ist nie politisch, nie provokant, vielmehr will er Räume zum Träumen schaffen. Feel-Good-Musik zum Abschalten. Zum sich fallen lassen. Und die kann er wie kein Zweiter, wenn man sich seine Erfolgsbilanz so anschaut. Sechs Nummer-Eins-Alben sprechen eine deutliche Sprache.

Keine Frage: Schillers Musik funktioniert hervorragend im Autokino. In seine  chilligen, atmosphärisch-dichten Klangwelten im Liegen oder Sitzen einzutauchen, das bietet sich geradezu an. Und so stehen an diesem Abend in Mannheim auch vergleichsweise wenig Zuschauer neben ihren Autos, wie das bei den meisten Carstival-Konzerten zuletzt der Fall war. Die Menschen bleiben lieber in ihren Blechbüchsen  und lassen zu den dezenten Beats die Seele baumeln.

Zeitreise durch zwei Jahrzehnte Schiller

Christopher von Deylen und seine Crew – Cédric Monnier (Synthesizer, Bass), Robin Tadic (Loops, Electronics) und Oliver Keller (Electric, Akustikgitarre) – bieten ihren  Zuhörern dazu auch allerlei Gelegenheit. Im ersten, rund einstündigen Set des Abends nehmen sie sie mit auf eine Zeitreise durch die vergangenen zwei Schiller-Jahrzehnte und spielen das, was von Deylen als die „Essenz“ des Projekts begreift. Die großen Hits, klar, aus einer langen, illustren Karriere, darunter „Ruhe“, „Berlin – Moskau“, „Shangri La“ oder „Ultramarin“. 

Zwischendurch: eine grandiose Lichtshow. Laserfächer, wie sie den späten Pink Floyd Freudentränen in die Augen getrieben hätten. „Oooh“ und „Aaaah“ aus dem Publikum. Da funktioniert der Mensch im Jahr 2020 dann doch noch irgendwie wie seine in Höhlen hausenden Vorfahren. Licht ist immer noch faszinierend. Ein Spektakel.

Improvisation auf höchstem Niveau

Im zweiten Set begrüßte von Deylen dann einen besonderen Gast auf der Bühne: Thorsten Quaeschning von Tangerine Dream, neben Kraftwerk wohl die bedeutendsten Repräsentanten elektronischer Musik im deutschsprachigen Raum. Quaeschning ist seit 2005 Teil der 1967 existierenden Formation. Zuvor war er bei ihr als Techniker aktiv. Mittlerweile ist er ihr musikalischer Leiter. Ein Mann mit großer kreativer Energie, die sich Schiller gern zu Nutze macht. Und so boten die beiden Größen den Zuhörern eine knapp 45 Minuten lange Jam-Session, oder besser: eine Live-Komposition. Improvisation auf allerhöchstem Niveau, sowohl für Zuhörer als auch Künstler ein unvergessliches Erlebnis.

Am Ende: „Ruhe“. Gleich ein zweites Mal an diesem Abend. Und vielleicht ist es am Ende auch ein Verdienst der Musik, dass sich die rund 400 Autofahrer so gechillt wie selten vom Maimarktgelände bewegen. Ganz geduldig. Ohne Drängeln, ohne Hupen. Dafür mit viel „Ruhe“ im Kopf.

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